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Ein Ausgleich zwischen Eigennutz und Selbstlosigkeit

Keystone/Universität Zürich

Sowohl mit Egoismus als auch mit Uneigennützigkeit lasse sich menschliches Verhalten motivieren, sagt Ökonom Ernst Fehr, Gewinner des diesjährigen Marcel-Benoist-Preises.

Der Professor für Mikroökonomik und experimentelle Wirtschaftsforschung erhält mit den Benoist-Preis das schweizerische Pendant zum Nobelpreis, weil er mit seiner Verhaltensforschung das vorherrschende Modell des ausschliesslich eigennützig agierenden “homo oeconomicus” widerlegt.

Für das menschliche Verhalten, das die laufende Finanzkrise auslöste, macht der an der Uni Zürich lehrende Österreicher Ernst Fehr in erster Linie den falschen gesetzlichen und regulatorischen Rahmen verantwortlich. Es sei weniger auf die egoistische Verhaltensweise von Einzelpersonen zurückzuführen.

Fehr glaubt, sogar Egoismus und Geiz könnten für die gute Sache eingespannt werden. Im September war er als Gewinner des Marcel-Benoist-Preises nominiert worden, am 17. November hat er die Auszeichnung offiziell entgegengenommen.

swissinfo: Glauben Sie, dass Uneigennützigkeit gesellschaftlich genau so wichtig ist wie Geldgier?

Ernst Fehr: Ökonomen haben ein ganzes Jahrhundert lang angenommen, dass jedermann als Egoist agiere, wenn es um sein eigenes Verhalten geht. Eine wissenschaftliche Basis, um herauszufinden, ob noch weitere Verhaltens-Motive existieren, gab es nicht.

Doch heute verfügen wir über Instrumentarien, die zeigen, wie egoistisch oder altruistisch sich die Leute verhalten.

Bestimmt gehört das Eigeninteresse zu den gängigen Komponenten im Repertoire menschlichen Verhaltens. Doch der Umstand, dass man sich auch an anderen Motiven ausrichtet, ist wichtig für das Funktionieren eines wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeldes.

swissinfo: Wie lässt sich das beweisen?

E.F.: In der wirklichen Welt lässt sich ja immer einwenden, dass die Leute sich nur deshalb fügen, weil sie sich vor Polizei und richterlichen Strafen fürchten.

Im Labor hingegen lassen sich Austausch-Situationen konstruieren, wo eine Person sich an gesellschaftliche Verpflichten hält, die Gegenpartei aber keine Bestrafung befürchten muss.

Der einzige Grund, weshalb die Gegenpartei dies nicht ausnützt, liegt also darin, dass auch sie eine Art nicht-egoistisches Verhalten kennt.

swissinfo: Liegt also der wahre Grund der laufenden Finanzkrise in der Geldgier?

E.F.: Gier und Geiz haben sich in den letzten 25 Jahren nicht vermehrt – doch es galten falsch ausgelegte Regulierungen. Falsch war die regulatorische Infrastruktur, bestehend aus einem gesetzlichen Rahmen und der Ideologie des sich selbst regulierenden Marktes.

Märkte funktionieren nie von alleine. Es braucht Gesetze dazu, die beachtet werden und objektive Richter, die darüber wachen. Innerhalb eines richtigen gesetzlichen Rahmens hätte die Krise vermieden werden können, bei aller Gier nach Geld.

swissinfo: Wie reguliert man egoistisches oder geiziges Verhalten?

E.F.: Der Eigennutz ist Teil der menschlichen Natur und das lässt sich nicht ändern. Das Angenehme an egoistisch vorgehenden Leuten ist, dass ihr Verhalten einfach vorausgesehen und mit richtigen Anreizen umgelenkt werden kann.

Kommt man den Reichen mit Steuergeschenken entgegen, um sie zu Stiftungen für gute Zwecke anzuspornen, werden sie das tun. Nicht weil sie plötzlich selbstlos geworden wären, sondern weil der richtige Anreiz ihre Gier in eine gesellschaftlich nützliche Richtung umlenkt.

Das klassische Beispiel falscher Anreize ist wohl die Bonus-Politik für die Saläre von Investment-Bankern. Sie erhalten die Boni auf Grund ihrer kurzfristigen Gewinne und nicht auf Grund ihres längerfristigen Beitrags an das Unternehmen.

swissinfo: Geht es also darum, den richtigen Ausgleich zwischen Eigennutz und Altruismus zu finden?

E.F.: Sogar Uneigennützigkeit kann sich unter Umständen negativ auswirken. So wirkt ein Altruismus, der sich auf eine kleine Zahl von Insidern bezieht, aber Aussenstehenden gegenüber feindlich gesinnt ist, negativ aus.

Auf diese Weise können sich Leute, die glauben, die weisse Rasse sei besser, gegenüber der eigenen Rasse uneigennützig verhalten. Dafür diskriminieren sie Schwarze oder Nichtweisse extrem.

Im Durchschnitt mag es zutreffen, dass Eigennutz anderen schadet, während Altruismus anderen zugute kommt. Aber diese beiden Verhaltensmotive sind deshalb noch nicht an sich gut oder böse.

Meine Rolle besteht nicht darin, Altruismus zu predigen, sondern ihn zu verstehen. Ich möchte Institutionen aufbauen, die den gesamten Mix von Motiven berücksichtigen und dies in ein gesellschaftlich optimales Verhalten ummünzen.

swissinfo: Wie lautet Ihre “Message” für die Gesellschaft?

E.F.: Eine kleine Anzahl von Idealisten kann den grossen Unterschied ausmachen. Um stark kooperative Resultate zu erreichen, ist eine grosse Anzahl an Altruisten gar nicht nötig. Man muss nicht schon mit einer Mehrheit beginnen, aber eine Mehrheit lässt sich aufbauen.

swissinfo-Interview: Matthew Allen, Zürich
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

Professor Fehrs Labor-Experimente testen, wie Menschen auf gewisse Situationen reagieren, ohne dass negative Konsequenzen befürchtet werden müssen.

In einem Test zum Beispiel erhält das Subjekt A 100 Franken. Es wird aufgefordert, zu entscheiden, wie dieses Geld mit dem Subjekt B geteilt werden soll.

B kann das Angebot von A entweder akzeptieren oder zurückweisen, indem es alles Geld an A zurückgibt.

Erwartungsgemäss müsste B sogar das Angebot von nur 1 Franken annehmen, aber so kleine Angebote werden oft als beleidigend abgelehnt.

Für die Tests werden oft Universitäts-Studenten, aber auch andere Gruppen benutzt, wie gefährliche Kriminelle oder Autisten.

Bei anderen Tests werden den Probanden im voraus Hormone verabreicht, oder es werden ihnen sogar gewisse Hirnregionen zeitlich begrenzt ausgeschaltet.

Der österreichische Ökonomie-Professor ist Direktor des Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung (IEW) an der Universität Zürich.

Er ist Mitglied zahlreicher weiterer akademischer Institutionen weltweit.

Sein Arbeitsgebiet überschneidet die Disziplinen Ökonomie, Politik-wissenschaften, Soziologie und Neurowissenschaften.

Als seine Spezialität gelten die Entwicklung der menschlichen Kooperation und Verhaltensforschung bei Finanzen (“behavioural finance”).

Zu den bekanntesten Publikationen gehört das 2002 zusammen mit Urs Fischbacker herausgegebene Werk: “Why social preferences matter – the impact of non-selfish motives on competition, cooperation and incentives”.

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