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Ein Stück Zürich kommt zurück

Ruedi Walter als Bauer Heiri in der "Kleinen Niederdorfoper" 1989. RDB

"Die kleine Niederdorfoper" heisst der Klassiker des Schweizer Musiktheaters. Das musikalische Lustspiel wurde 1951 im Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt, zuletzt 1989. Am Dienstagabend erlebte das Stück im Zürcher Bernhard Theater ein Revival.

Das legendäre Stück von Walter Lesch mit der Musik von Paul Burkhard war am Dienstagabend zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder in Zürich zu sehen. Unter der Regie von Max Sieber, Produzent der Fernsehshow Benissimo, ist ein 26-köpfiges Ensemble unter der Führung von Schauspieler Erich Vock das Wagnis eingegangen.

Denn das legendäre Schweizer Musical hat beinahe Kultstatus, nicht zuletzt wegen der damaligen hochkarätigen Besetzung: Ruedi Walter in der Hauptrolle als Bauer Heiri, Margrit Rainer, Anne-Marie Blanc, Sigfrit Steiner, Heinrich Gretler, Walter Roderer.

Ein Stück Schweizer Kultur

“Die kleine Niederdorfoper” spielt im Zürcher Niederdorf der 50er-Jahre in der Welt der biederen Bürger, leichten Damen und kleinen Gauner. Und alle treffen im Etablissement “Lämmli” zusammen, wo sich der naive Bauer Heiri aus Hausen, der sein Kalb verkauft hat, sein ganzes Geld von Dirnen und Gaunern abluchsen lässt.

Geprägt hat das Musical vor allem der 1990 verstorbene Ruedi Walter. Er spielte fast 40 Jahre lang die Rolle des Heiri. Das Lied “De Heiri hät es Chalb verchauft” wurde zum Gassenhauer.

“Es ist nicht nur ein Stück aus den 50er-Jahren, es ist auch ein Stück Schweizer Kultur. Die Musik, die Paul Burkhard geschrieben hat, ist nicht in den 50er-Jahren stehen geblieben, ich denke, sie ist unvergänglich”, sagt Erich Vock gegenüber swissinfo.ch.

Theater ist mehr als DVD und CD

“Es ist ein sehr emotionales Stück, wir spielen es ja unter dem Motto ‘ein Stück Zürich kommt zurück’. Und wenn man sieht, dass kurz vor der Premiere schon 23’000 Tickets verkauft worden sind, scheint es wirklich so zu sein, dass die Leute darauf gewartet haben, dass man das live wieder erleben kann. Es ist halt etwas anderes, eine DVD anzuschauen oder eine CD zu hören”, so Vock.

“Wenn man diese emotionale Musik, diese einfache, unterhaltsame aber auch sehr gefühlvolle Geschichte von diesem Bäuerlein, das am Schluss betrunken allein durch die Gasse davon wankt, sieht…das Theater ist live, und das macht Theater einmalig.”

Nostalgie statt Modernisierung

Sieber und Vock haben auf eine Modernisierung des Stücks, auf eine Anpassung an die heutige Zeit verzichtet, “weil das nicht geht”, wie Vock erklärt. “Selbstverständlich hat es auch etwas mit Nostalgie zu tun”, räumt er ein. “Wenn wir die ‘Niederdorfoper’ modernisiert hätten, dann wär’s nicht mehr die ‘Niederdorfoper’. Dann könnte man gleich ein eigenes Stück schreiben oder etwas anderes aufführen.”

Diese Geschichte gehöre in die 50er-Jahre. “Natürlich ist das auch Nostalgie – wenn man das jetzt sieht, alle diese Kostüme, die Frisuren, das ganze Bernhard Theater wurde von uns eingetaucht in die 50er-Jahre.”

Auch für Junge

Wenn es so wäre, dass deswegen nur ältere Generationen das Stück ansehen kommen, so wäre das für Vock nichts Schlimmes. Es gingen aber sicher auch viele Familien mit ihren Kindern gemeinsam dahin. “Eine 35-jährige Frau hat uns gedankt, dass wir das machen. Jetzt könne sie mit ihren Kindern ins Bernhard Theater kommen, sagte sie uns.”

Es spielten auch Leute mit wie eine Fabienne Louves, die eine grosse jugendliche Fangemeinde hätten. Und wenn die Jugendlichen dadurch ein Stück Schweizer Mundartkultur kennen lernten, würde er sich sehr darüber freuen, so Vock.

Keine Cervelat-Prominenz

Wenn man die Namenliste der Uraufführung im Jahr 1951 anschaut, erkennt man da lauter Schauspiellegenden. Auf der Besetzungsliste der Neuinszenierung des Klassikers indessen findet man viele Vertreter der so genannten Cervelat-Prominenz der Schweizer TV-, Radio- und Musikszene wie Maja Brunner, Sven Epiney, Viola Tami, Ueli Beck, Elisabeth Schnell, Fabienne Louves, Myrta Joannidis – ob das gut kommt?

Erich Vock: “Das kommt hervorragend.” Und er fügt bei: “Die Medien brauchen ja diese Prominenten, und am Schluss beschimpfen sie diese dann als Cervelat-Prominenz.”

Von den 26 Leuten des Ensembles gebe es einen einzigen, Sven Epiney, von dem man sagen könne, dass er keine grosse Schauspielererfahrung habe. “Wir spielen ja ein Musical, Myrta Joannidis, Fabienne Louves sind Sängerinnen, Maja Brunner hat sechsmal mit mir in einer Komödie gespielt.”

Ausser diesen vier Genannten und Viola Tami, die aber sechs Jahre Fernsehen gemacht habe, hätten alle eine klassische Schauspielausbildung, wendet Vock ein. “Wir haben ein wunderbares Ensemble.”

“Ruedi Walter wird immer Ruedi Walter bleiben”

Ensemble-Leiter Erick Vock spielt in der Neuinszenierung der “Kleinen Niederdorfoper” die Hauptrolle des Bauern Heiri – jene Rolle also, die damals von Ruedi Walter gespielt wurde, der das Stück prägte.

Auf die Frage, ob er nicht Angst habe, von den Zuschauern nun mit Ruedi Walter verglichen zu werden, ob er eine Chance gegenüber dieser Legende habe, antwortet Erich Vock:

“Darum geht es mir überhaupt nicht, ob ich die gleiche Chance habe wie Ruedi Walter. Ruedi Walter wird immer Ruedi Walter bleiben, und ich bin ich. Er hat diese Rolle kreiert, das ist völlig etwas anderes. Aber ich spiele diese Rolle, ich hoffe, ich spiele sie gut. Theater ist live, und dazu braucht es Schauspieler, die auf der Bühne stehen können.”

Jean-Michel Berthoud, swissinfo.ch

Die Neuinszenierung der “Kleinen Niederdorfoper” wird vom 3. November 2009 bis zum 31. Januar 2010 aufgeführt, Mittwoch bis Samstag jeweils um 20 Uhr, Sonntag um 16 Uhr.

Für den zweiten der drei Akte verwandelt sich das Bernhard Theater in das Unterhaltungslokal “Lämmli”, so dass die Zuschauerinnen und Zuschauer mitten im Geschehen sitzen (Bühnenbild: René-André Huber und Simon Schmidmeister).

Da das Theater zu klein ist für ein Orchester, haben bekannte Musiker die Lieder im Studio eingespielt: Adrian Stern (Gitarre), Carlo Brunner (Klarinette), Andi Hug von Patent Ochsner (Schlagzeug) sowie Musiker des Opernhauses. Der musikalische Leiter Erich Strebel wird die eingespielte Musik live am Flügel begleiten.

“Die kleine Niederdorfoper” wurde am 31. Dezember 1951 im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt. In der Rolle des Bauers Heiri trug Ruedi Walter dazu bei, dass das Stück zu einem Schweizer Musical-Klassiker wurde.

Walter Leschs und Paul Burkhards Geschichte spielt in der Welt der Dirnen, kleinen Gauner und biederen Bürger. Und alle treffen im “Lämmli” – einem Etablissement mit Charme und Herz – zufällig oder absichtlich, voll Sehnsucht oder Neugier, aus Geldmangel oder um Geld zu beschaffen, aus Lust oder Frust zusammen.

“Die kleine Niederdorfoper” ist ein Highlight in der Geschichte des Schweizer Mundarttheaters. Ein Sittengemälde der 50er-Jahre, das mit pittoresken Momentaufnahmen, sprühendem Witz und mitreissenden Ohrwürmern das Publikum zu begeistern vermag.

So begegnen wir dem Bäuerlein Heiri (Erich Vock), das sein Kalb verkauft und diesen temporären Reichtum in der Grosstadt feiern will. Oder dem naiven Ruthli (Viola Tami), das kurz vor seiner Hochzeit steht und plötzlich wieder seinem Verführer, dem Chansonnier André (Philippe Roussel) begegnet. Der Serviertochter Irma (Maja Brunner), die ein grosses Herz hat und die Seele vom “Lämmli” ist. Oder der Varieté-Sängerin Olly Moreen (Lea Hadorn), bei der es mit der Exotik nicht so weit her ist.

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