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Ein Tabu wird gebrochen

Sieben Tessiner Gemeinden stimmten 1999 der Fusion zu Capriasca zu. Keystone

In der Schweiz wird der Ruf nach der Zusammenlegung von Gemeinden immer lauter. Der Druck zur Fusion kommt nicht selten "von unten".

Nicht nur finanzielle Gründe stehen im Mittelpunkt. Der Wunsch nach guten, kompetenten und preiswerten Dienstleistungen ist genauso massgebend.

Die kleinräumige Schweiz kennt zur Zeit noch exakt 2758 Gemeinden. Rund 1500 davon haben weniger als 1000 Einwohnerinnen und Einwohner. “Diese Zahl verändert sich täglich und zwar nach unten”, sagt Sigisbert Lutz, Direktor des Schweizerischen Gemeindeverbandes. Er rechnet, dass es mittelfristig noch etwa 2000 Gemeinden in der Schweiz geben wird.

Seit 1970 sind es bereits 300 weniger geworden. Was einst kaum zu bewerkstelligen war, nämlich Gemeinden zusammenzuschliessen, geht heute etwas einfacher über die Bühne.

Entgegen der landläufigen Annahme, es gehe nur im finanzielle Aspekte, spielen auch ganz andere Gründe hinein und machen eine Gemeindefusion noch heute zur Gratwanderung: “Nebst der Betriebswirtschaft spielen da auch Bauch, Herz und Traditionen mit”, sagt Lutz.

Keine Fledermaus

Beispiel: Als sich vier Bündner Gemeinden im Lugnez zur neuen Gemeinde Suraua zusammenschlossen, konnte man sich nicht auf das neue Gemeindewappen einigen.

Darauf erhielten die Schülerinnen und Schüler den Auftrag, ein Wappen zu entwerfen. Das Siegerprojekt zeigte eine Brücke, unter der eine Fledermaus durchflog (weil es in der Gemeinde mehr Fledermäuse gebe als Einwohner). Allen gefiel das Wappen, nicht aber der Kantonsverwaltung. Eine Fledermaus auf dem Wappen, das gehe nicht. So finden sich jetzt im “genehmigten” Suraua-Wappen ein Fluss und drei Sterne.

Damit Gemeinden, die eine Fusion in Betracht ziehen, nicht in all die Fallen tappen, die auf dem Weg zum Zusammenschluss liegen, hat das Zentrum für Verwaltungsmanagement der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Chur einen “Leitfaden für Gemeindefusionen” herausgegeben.

Reform läuft an

Ursin Fetz ist Mitautor des Leitfadens. Gegenüber swissinfo erklärt er, dass der Druck von Bund und Kantonen auf die kleineren Gemeinden, eine Fusion zu prüfen, zugenommen habe.

Noch wesentlicher sei jedoch der Druck der Bürgerinnen und Bürger. Diese verlangten ein professionelles Gemeindewesen. “Dazu kommt, dass in der Schweiz, anders etwa als in Deutschland, keine eigentlich Gemeinden-Strukturreform stattgefunden hat. In Deutschland sind Gemeinden mit weniger als 100 Einwohner kein Thema mehr.” Diese Reform stehe in der Schweiz nun vor der Tür.

Geld nicht an erster Stelle

Für Fetz ist klar: Grössere Gemeinden können Aufgaben selbständiger und effizienter bewältigen. Sie sind autonomer, kompetenter und “preiswerter”. Zudem würden die Kantone finanziell entlastet. Damit eine Gemeindefusion überhaupt gelinge, sei sehr wichtig, “dass die Kommunikation glückt”.

Dass sich jedoch eine Gemeindefusion kurzfristig finanziell “lohnt”, will Fetz nicht unterschreiben. Langfristig schon, denn mehrere Gemeindeschreiber, mehrere Schulbehörden und mehrere Verwaltungen seien sicher teurer als eine.

Peter Lüthi, der Gemeindepräsident der Berner Gemeinde Wichtrach, kann aus Erfahrung sprechen. Seine Gemeinde ist 2002 aus den zwei Gemeinden Ober- und Niederwichtrach entstanden.

Er sagt, dass die Fusion zuerst mal Geld gekostet habe. Doch rechnet er, dass in etwa drei Jahren eine Steuersenkung von einem Zehntel möglich sein sollte, die Fusion sich schliesslich finanziell lohnen dürfte.

Autonomere Gemeinde

Lüthi sagt es deutlich: “Der Nutzen einer Fusion zeigt sich nicht beim Fusionsentscheid, sondern bei der Umsetzung der Fusion.”

Der finanzielle Aspekt komme bei ihm nicht an erster Stelle. Die Fusion zeige, dass die Gemeinde Wichtrach autonomer geworden sei.

Dazu komme die Orts- und Raumplanung. Nun seien Dinge machbar, die früher bei den getrennten Gemeinden schlicht nicht möglich gewesen wären. Lüthi.” Wichtrach kann heute stärker auftreten, das Gewicht der Gemeinde ist gewachsen, sie ist attraktiver geworden.”

swissinfo, Urs Maurer

In der Schweiz gibt es zur Zeit 2758 Gemeinden.

Mehr als 1500 davon haben weniger als 1000 Einwohner.

Seit 1970 haben rund 300 Gemeinden fusioniert.

Gemeinden ab 3000 Einwohner haben eine optimale Kostenstruktur.

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