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Eine Abstimmung der Vernunft

Pressekommentare: Osthilfe-Ja als Sieg der beiden Ministerinnen Calmy-Rey und Leuthard. swissinfo.ch

Die Schweizer Presse interpretiert das Ja des Stimmvolks zum Osthilfegesetz als pragmatische Zustimmung zur Politik des bilateralen Weges.

Das Ja zu einheitlichen Familienzulagen zeige einen klaren Willen, Familien zu unterstützen. Doch die Presse warnt: In der Familienpolitik bleibe noch viel zu tun.

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Bilaterale Abkommen

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Bilateralen Abkommen I und II zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) regeln die bilateralen Beziehungen auf den verschiedensten Ebenen. Die EU ist die wichtigste Partnerin der Schweiz – politisch, kulturell und wirtschaftlich. 1992 hatte das Schweizer Stimmvolk Nein gesagt zu einem Beitritt des Landes zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Seither wird der bilaterale…

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Der Bilateralismus sei “demokratisch gefestigt”, schreibt die Neue Zürcher Zeitung (NZZ). Die Schweiz erweise sich damit als verlässliche Verhandlungspartnerin, die auch bereit sei, begründete finanzielle Verpflichtungen zu übernehmen.

Dennoch: “Das magere Plus an Ja-Stimmen erlaubt auf dem bilateralen Weg weiterhin keine grossen Sprünge.”

Der Tages Anzeiger und auch die Südostschweiz schreiben von einer weiteren aussenpolitischen Niederlage der Schweizerischen Volkspartei SVP, welche die Volks-Abstimmung mit ihrem Referendum gegen das Osthilfegesetz erzwungen hatte.

“Seit dem Nein von 1994 zu den UNO-Blauhelmen konnte sich die SVP in diesem für sie wichtigen Bereich nicht mehr gegen den Bundesrat durchsetzen”, schreibt der Tages Anzeiger.

Eine Bestätigung des eingeschlagenen Wegs sieht auch das Boulevardblatt Blick, “selbst wenn es etwas kostet”. Die selbstgewählte Isolation sei für die Mehrheit der Stimmbürger offensichtlich keine Alternative zur bilateralen Annäherung an Europa.

Zu grosses Risiko eines Neins

Denn dieser Mehrheit wäre das Risiko eines Neins zu gross gewesen, glaubt die Neue Luzerner Zeitung. Sie bewertet die Zustimmung denn auch als “Eintrittspreis, den die Schweiz für den Zugang zu den neuen Märkten im Osten Europas entrichtet”.

Dass der Entscheid nicht ganz uneigennützig gefällt wurde, hebt die Zeitung der Bund hervor: “Hier eine Milliarde für den Osten, da Goodwill der EU für die Schweiz.”

Trotzdem gibt es auch warnende Stimmen: Die Schweiz baue jetzt zwar solidarisch mit am gemeinsamen Europa, heisst es dazu in der Basler Zeitung. Doch das knappe Resultat zeige, dass der bilaterale Weg “keine komfortable Strasse”, sondern “eher ein steiniger Pfad” sei, der immer wieder neue Kraftanstrengungen verlange.

Warnungen aus der Westschweiz

Die Freiburger Nachrichten schreiben, dass “die urbane Schweiz den Ton angibt”. Auch sei das Abstimmungsergebnis diesmal ohne Graben zwischen der deutschen und der frankophonen Schweiz zustande gekommen.

Le Temps hingegen schaut nach dem Resultat schon nach Brüssel: “Es wäre nützlich, wenn unsere europäischen Partner von der Konstanz der Europa-Abstimmungsergebnisse Kenntnis nähmen”.

In erster Linie die Europäische Kommission, von der man wisse, dass sie einen Plan gegen die Steuerfreiheit der Kantone aushecke. Würde die Kommission jetzt diese Steuerfreiheit ins Visier nehmen, würde damit der Bundesrat lächerlich gemacht.

Tessin: “Nein ist kein Zeichen von Konservatismus”

Sowohl der Corriere del Ticino als auch La Regione konstatieren, dass das Nein im Tessin “klar voraussehbar” war. “Die abweisende Haltung des Tessins gegenüber der EU ist kein Zeichen von Konservativismus oder von mangelnder Solidarität”, erklärt La Regione, die Südschweiz sei bekanntermassen sozialpolitisch fortschrittlich.

“Das Nein ist eher die Folge von Ängsten und Unsicherheit”, so die La Regione weiter, denn die Bevölkerung sehe, wie sich die wirtschaftliche Kluft gegenüber anderen Kantonen verfestige, sprich verstärke.

Handlungsbedarf

“Jetzt Tagesschulen”, schreibt der Tages Anzeiger zum deutlichen Ja zu einheitlichen Familienzulagen. “Der unsinnige Wirrwarr von 26 kantonalen Regelungen verschwindet.”

Interpretiert wird das Ja als weiteres Signal, nach einer nationalen Lösung für den Mutterschaftsurlaub, für eine gesamtschweizerische Familienpolitik.

Einen “familienpolitischen Handlungsbedarf” ortet auch die Aargauer Zeitung, denn mit einheitlichen Kinderzulagen “ist noch nicht viel für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf getan”.

Noch viel zu tun

“Ob es sich um Kinderkrippen handelt, um Schulzeiten, um Elternurlaub, Stipendien oder angepasstere Arbeitszeiten für Frauen, sprich Mütter – alles ist noch zu tun”, schreibt La Liberté. Schliesslich seien das wichtige Gründe, weshalb es keine Kinder mehr gebe.

“Die Geburt von gestern ist minim”, schreibt 24 Heures. Es habe 90 Jahre gedauert, von der Ausrichtung der ersten Familienzulage bis zur landesweiten Vereinheitlichung. “Die Familienpolitik ist noch ein Baby in unserem Land.”

swissinfo, Alexander Künzle

Über zwei nationale Vorlagen hat das Stimmvollk am Abstimmungs-Sonntag vom 26. November entschieden.

Das Osthilfegesetz und die darin enthaltene Kohäsions-Milliarde wurde mit 53,4% angenommen.

68% der Stimmenden haben Ja gesagt zum Familienzulagengesetz.

Stimmbeteiligung: 44,9%.

Das Ja der Schweizer Stimmbürger sei im Interesse der Schweiz, lautet der Tenor der westeuropäischen Presse am Montag.

Laut Handelsblatt haben “die Schweizer erneut so abgestimmt, dass ihr Verhältnis zur EU und zur Kommission in Brüssel keinen Schaden erleidet”.

Die Süddeutsche Zeitung kommentiert, die Schweizer “wissen genau, wann sie Brüssel entgegenkommen müssen”.

Der Beitrag sei “ein günstiger Eintrittspreis in lukrative Märkte. Die Schweizer können jetzt sicher sein, dass ihren Unternehmen in Polen, Tschechien oder Ungarn keine Steine in den Weg gelegt werden.”

Das Ja sei eine “Schlappe” für die Schweizerische Volkspartei, urteilt der österreichische Der Standard.

Der ebenfalls österreichische Kurier kommt zum Schluss: “Das dritte europapolitische Ja der Stimmbürger innerhalb von eineinhalb Jahren könnte nun wieder eine Debatte über den EU-Beitritt der Schweiz entfachen.”

Anders sieht es der französische Le Monde. Die Schweizer hätten mit der Abstimmung ihre Unterstützung für die Europapolitik der Regierung, die den bilateralen Weg gewählt habe, bestätigt.

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