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Ende der Verhandlungen im Prozess Perinçek

Dogu Perinçek vor dem Bezirksgericht Lausanne. Keystone

Der Staatsanwalt am Bezirksgericht Lausanne fordert für den türkischen Nationalisten wegen Leugnung des Armenier-Genozids eine bedingte Geldstrafe und eine Busse.

Der Angeklagte hat gegen das Antirassismus-Gesetz verstossen, indem er den 1915 an den Armeniern begangenen Völkermord in der Schweiz als “internationale Lüge” bezeichnet hat.

Die Diskussion, ob die Armenier 1915 im damaligen Osmanischen Reich Opfer eines Völkermordes wurden oder nicht, müsse an den Universitäten geführt werden und nicht in Gerichtssälen, erklärte der Angeklagte Dogu Perinçek in seinem Schlussvotum.

Für den Präsidenten der türkischen Arbeiterpartei gibt es nach wie vor keinen Zweifel daran, wie die Antwort auf die Frage lauten muss: “Der Armenier-Genozid ist eine internationale Lüge”, wiederholte er seine Aussage, die im Jahr 2005 zu seiner Anklage geführt hatte.

Für seinen Anwalt, Laurent Moreillon, reichen diese Aussagen nicht aus für eine Verurteilung wegen Verstosses gegen das Antirassismus-Gesetz.

Streit über Genozid-Definition

Artikel 261 bis des Schweizer Strafgesetzbuches sei nicht geeignet für die Verurteilung wegen Leugnen des Armenier-Genozids, erklärte der Rechtsprofessor. Als der Gesetzgeber den Artikel beraten habe, sei immer nur vom Völkermord an den Juden die Rede gewesen, nie aber von Ereignissen in der Türkei.

In diesem Rechtsstreit gehe es um einen “débat d’étiquette” – einen Streit um die richtige Bezeichnung der Ereignisse. Die Türken hätten damals an der armenischen Bevölkerung Massaker, Vertreibungen und andere Grausamkeiten begangen.

Die Frage bleibe aber offen, ob diese Ereignisse als Völkermord zu bewerten seien oder nicht. Die Definition des Genozids sei äusserst umstritten. Einzelrichter Pierre-Henri sei auf jeden Fall ausserstande, diese Frage bis zur Urteilsverkündung am Freitag zu klären, sagte Moreillon.

Anerkannter Völkermord oder nicht

Für Staatsanwalt Eric Cottier und den Anwalt der Zivilpartei schiesst der Angeklagte mit dieser Fragestellung am Ziel vorbei. “Für die Schweiz und ihre Institutionen ist der Genozid an den Armeniern eine Realität”, sagte Cottier.

So habe etwa der Nationalrat und – implizit – auch der Bundesrat den Völkermord an den Armeniern anerkannt. Es gehe hier nicht darum, eine historische Debatte zu führen, sondern darum festzustellen, wie in der Schweiz die Frage des Genozids allgemein beurteilt werde, sagte der Staatsanwalt.

Wie Cottier ist auch Philippe Nordmann überzeugt, dass Perinçek als “einfacher Negationist” verurteilt werden muss. Der Anwalt der Gesellschaft Schweiz-Armenien (GSA), die als Zivilklägerin auftritt, bezeichnete Perinçek gar als Rassisten.

Negationisten als Komplizen der Täter

Indem er leugne, dass es sich bei den 1915 von Türken an Armeniern begangenen Massakern und Deportationen um einen Völkermord gehandelt habe, mache sich Perinçek zum Komplizen der damaligen Täter. Jeder Negationist zeige mit seiner Haltung, dass er die Ziele und die Ansichten der Völkermörder teile.

Der Staatsanwalt forderte eine Verurteilung Perinçeks zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 100 Franken. Diese Strafe entspräche laut altem Recht 90 Tagen Gefängnis. Zudem soll er eine Busse von 3000 Franken zahlen.

Die Schuld des Angeklagten wiege schwer, sagte Cottier. Er habe gewusst, dass er Probleme mit der Justiz kriege, wenn er in der Schweiz den Armenier-Genozid leugne.

Dennoch habe er es getan und damit in krimineller Absicht gehandelt. Oder wie Nordmann sagte: “Herr Perinçek ist ein Provokateur. Nun soll er für seine Provokationen gerade stehen.”

swissinfo und Agenturen

Dogu Perinçek, dem Chef der Türkischen Arbeiterpartei, werden Verstösse gegen die Antirassismus-Strafnorm zur Last gelegt. Er hatte im Sommer 2005 in Reden in den Kantonen Waadt, Zürich und Bern zur Armenierfrage gesprochen und dabei den Völkermord an den Armeniern im Jahr 1915 in Abrede gestellt.

In der Schweiz haben der Nationalrat und das Waadtländer Kantonsparlament den Genozid an den Armeniern ausdrücklich als solchen anerkannt. Dies hat zu Spannungen in den Beziehungen zwischen der Schweiz und der Türkei geführt.

Die Antirassismus-Strafnorm (Artikel 261bis Strafgesetzbuch) wurde 1994 in einer Volksabstimmung mit 54,7% Ja-Stimmen angenommen und trat 1995 in Kraft.

Sie verbietet, öffentlich zu Hass oder Diskriminierung von Menschen aufzurufen, die anderen Rassen, Ethnien oder Religionen angehören. Ebenfalls unter Strafe gestellt ist das Leugnen von Völkermorden.

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