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Endlager für radioaktive Abfälle gesucht

Behälter für hochradioaktive Abfälle im Zwischenlager in Würenlingen. Die Endlagerung ist noch ungelöst. Keystone

Wo radioaktive Abfälle aus Atomkraftwerken entsorgt werden sollen, ist seit Jahren umstritten. Jetzt hat die Schweizer Regierung den Startschuss für die Standortsuche gegeben. Die betroffene Bevölkerung wird finanziell entschädigt.

Die Standortsuche soll unter der Leitung des Bundesamts für Energie (BFE) in drei Etappen stattfinden und insgesamt zehn Jahre dauern.

Ziel sei es, im Jahr 2030 ein Lager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle und 2040 ein Lager für hochradioaktive Abfälle in Betrieb zu nehmen, sagte Energieminister Moritz Leuenberger: “Dabei steht die Sicherheit an erster Stelle.”

Als erstes sollen während rund zweieinhalb Jahren geeignete Standortgebiete nach sicherheitstechnischen und geologischen Kriterien ausgesucht werden. Dafür soll die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) Vorschläge machen.

Bisher hat die Nagra den Opalinuston im Zürcher Weinland und die Gebiete “Jurasüdfuss-Bözberg” und “Nördlich Lägern” vorgeschlagen.

Akzeptanz schaffen

Die nächste Phase sieht die Auswahl von mindestens zwei Standorten pro Abfallkategorie in den ausgewählten Gebieten vor. An diesem Prozess, der laut Plan des Bundesrates ebenfalls rund zweieinhalb Jahre dauern dürfte, sollen sich die Standortregionen beteiligen können.

Das heisst allerdings nicht, dass sie ein Veto gegen einen vom Bund beschlossenen Standort einlegen können. “Aber sie können dabei mitreden, wo genau und wie die Endlager gebaut werden”, sagt Michael Aebersold, Leiter der Sektion Entsorgung radioaktiver Abfälle beim BFE, gegenüber swissinfo.

Es gehe darum, bei der Bevölkerung der betroffenen Regionen Akzeptanz zu schaffen, so Aebersold weiter.

Ein Endlager für radioaktive Abfälle in der Region zu haben, bringe durchaus wirtschaftliche Vorteile, und die gelte es aufzuzeigen. “Durch einen solchen Standort werden Arbeitsplätze geschaffen, es gibt einen Innovationsschub, die Steuereinnahmen können steigen, und in vergleichbaren Fällen hat sich gezeigt, dass die Häuser nicht an Wert verlieren”, erläutert Aebersold.

Finanzielle Abgeltungen

Die Regionen, in denen ein Endlager zu stehen komme, würden finanzielle Abgeltungen erhalten. “Sie bekommen Geld für einen Service, den sie dem ganzen Land bieten”, sagt Aebersold. Wie sie das Geld konkret einsetzen würden, sei Sache der Regionen.

Schliesslich werden in einer dritten Phase, die zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren dauert, die verbliebenen Standorte mit Sondierbohrungen und weiteren geologischen Untersuchungen geprüft.

Erst nachdem die Grundlagen für Kompensationszahlungen sowie für die Beobachtung der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen erarbeitet worden sind, kann ein Rahmenbewilligungsgesuch eingereicht werden.

Der Wellenberg scheidet aus

Bisher sind die Vorhaben, Endlager für radioaktive Abfälle zu bauen, in den betroffenen Regionen auf massiven Widerstand gestossen.

“Aus demokratischen Gründen” kommt der Wellenberg in Wolfenschiessen im Kanton Nidwalden laut Bundesrat Leuenberger als Standort nicht mehr in Frage, weil er bereits zwei Mal an der Urne abgelehnt wurde.

In Zukunft können kommunale oder kantonale Abstimmungen ein Endlager nicht mehr verhindern.

Wenn die Rahmenbewilligung vom Parlament genehmigt wird, ist laut dem neuen Kernenergiegesetz eine Volksabstimmung zur Standortfrage möglich, allerdings ausschliesslich auf nationaler Ebene. So weit kann es frühestens 2019 kommen.

Die Nagra begrüsst das Verfahren zur Wahl des Standorts und die Führungsrolle des Bundes. Auch der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse hat sich positiv dazu geäussert.

In der Vernehmlassung zum Sachplan Geologische Tiefenlager des Bundes sind sich Parteien und Verbände nicht über die Grösse des Lagers einig: Laut Sozialdemokraten und Grünen soll es sich auf die fünf bestehenden AKW ausrichten, laut den Bürgerlichen sollen auch kommende AKW einbezogen werden.

swissinfo, Susanne Schanda

1978: Der Bundesrat beauftragt die Nagra mit der Prüfung von Lagermöglichkeiten radioaktiver Abfälle in der Schweiz.

1985: Auf Grund geologischer Untersuchungen im kristallinen Gestein präsentiert die Nagra den Bundesbehörden das “Projekt Gewähr”.

1988: Der Bundesrat erachtet den Entsorgungsnachweis für die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle in der Schweiz als erbracht.

1995/2002: Die Stimmenden in Nidwalden sagen zwei Mal Nein zu Plänen für ein Lager im Wellenberg.

2001: Das Zwischenlager für radioaktive Abfälle in Würenlingen (Kanton Aargau) nimmt den Betrieb auf.

2002: Die Nagra reicht nach Untersuchungen den Entsorgungsnachweis für das Tiefenlager im Opalinuston in Benken im Zürcher Weinland ein.

2004: Bundesrat Leuenberger fordert, Alternativen zum Endlager Benken zu prüfen.

2006: Der Bundesrat hält die Lagerung von hoch- und mittelradioaktiven Abfälle aus den Atomkraftwerken in der Schweiz für möglich.

2008: Der Bundesrat gibt grünes Licht für die Standortsuche.

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