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Evaluationen in den Volksschulen – ein Reizthema

Viele Lehrer beklagen sich über die "Regelungswut" in den Schulen. Keystone

Die externe Schulevaluation wurde als vielversprechendes Instrument zur Qualitätssicherung der Volksschule eingesetzt. Mittlerweile sehen viele Lehrkräfte darin eher ein Ritual, das für sie überdies noch mehr Vorgaben und Kontrollen der Bildungsverwaltung bringt.

Die Evaluation der Volksschulen wird heute in 20 Kantonen durchgeführt. In der Deutschschweiz haben die zuständigen Fachstellen, die den Bildungsdirektionen oder den Pädagogischen Hochschulen angegliedert sind, bereits weit mehr als 1000 Schulen evaluiert.

Die Arbeit der externen Schulevaluation (ESE) ist als Element der Qualitätssicherung in den kantonalen Volksschulgesetzen verankert. Die Tätigkeit aller Evaluationsfachstellen basiert also auf einer politischen Entscheidung.

Unter Druck geraten

Die Kosten pro Evaluation belaufen sich laut einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) auf 20’000 bis 60’000 Franken, der Mitarbeiterstab pro Fachstelle beträgt 6 bis 10 Personen. Kosten und Aufwand der ESE werden von jenen Politikern ins Visier genommen, welche die Sparschraube anziehen wollen und dafür lieber bei der “aufgeblähten Bildungsverwaltung” als beim Unterricht ansetzen.

Kritisiert wird die ESE auch von vielen Lehrkräften sowie dem Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH). Die finanziellen und personellen Ressourcen kämen den Schülerinnen und Schülern mitnichten zugute, monieren zahlreiche Lehrerinnen und Lehrer.

“Nach der Abschaffung der Schulinspektion haben viele Kantone ausschliesslich auf die externe Schulevaluation als Qualitätssicherung gesetzt. Das war ein Fehler”, sagt Beat W. Zemp, LCH-Zentralpräsident, gegenüber swsissinfo.ch.

“In der Zwischenzeit hat sich auch in internationalen Expertenkreisen die Einsicht durchgesetzt, dass die externe Schulevaluation nur einer von vielen Faktoren ist, welche zur Qualitätssicherung beitragen.”

Unproduktives Ritual?

Die externe Schulevaluation bringe in den meisten Fällen keine neuen Erkenntnisse, so Zemp weiter. “Das heisst aber nicht, dass man sie ersatzlos abschaffen kann. Durch die Offizialisierung der Berichte werden Schulen mit kritischen Befunden aufgefordert, Tabuthemen aufzugreifen und Verbesserungsmassnahmen zu ergreifen.”

Für den überwiegenden Teil der guten Schulen bringe die externe Schulevaluation aber nichts, beziehungsweise zu wenig. “Ich halte nichts davon, sämtliche Schulen alle paar Jahre mit einer ‘Inspektion’ zu beglücken. Viel besser wäre es, nur dort mit der externen Schulevaluation einzugreifen, wo von Eltern oder Schülern immer wieder Klagen zu hören sind”, sagt Zemp.

Die Handlungsempfehlungen, welche die Evaluatoren abgeben, seien “meist nichtssagend”, kritisiert seinerseits ein Zürcher Volksschullehrer gegenüber swissinfo.ch. “Berichte ohne jegliche Aussagekraft bringen die Schule keinen Schritt weiter. Die Evaluationen drohen zu einem unproduktiven Ritual zu verkommen.”

ESE gerechtfertigt

Nicht ganz so sieht es ein Volksschullehrer aus dem Kanton Aargau. “Unsere Schule wurde vor ein paar Jahren extern evaluiert – ein umfangreiches und ziemlich aufwendiges Verfahren, in das Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, Eltern und Schulleitung einbezogen wurden”, sagt er gegenüber swissinfo.ch.

Aber niemand habe dieses Verfahren seines Wissens als “stressig” erlebt. “Die von aussen beteiligten Leute waren kompetent, engagiert und fair.” Und da sich die Evaluationsergebnisse – “gut bis sehr gut und jedenfalls weit über dem Schnitt” – mit der Einschätzung und dem Ruf, die seine Schule geniesse, mehr oder weniger gedeckt hätten, sei man natürlich entsprechend erfreut gewesen.

Für Peter Steiner, Experte für Schulevaluationen von der Pädagogischen Fachhochschule Nordwestschweiz, ist ein externer Blick auf die Schulen “gerechtfertigt”. Die ESE sei ein vergleichsweise junges Element des kantonalen Qualitätsmanagements, so Steiner in der NZZ. Deshalb sei es klar, dass man noch “Optimierungsmöglichkeiten” habe.

Alle Schulen müssten dazu verpflichtet werden, periodisch Rechenschaft darüber abzulegen, was sie für die Qualitätssicherung tun, sagt LCH-Zentralpräsident Zemp gegenüber swissinfo.ch. “Wir setzen auf eine professionelle und kontrollierte Selbstevaluation der Schulen und Lehrpersonen, wie sie bereits in anderen Ländern mit Erfolg praktiziert wird.”

Dazu gehöre zum Beispiel für die Lehrpersonen “das Einholen eines 360-Grad-Feedbacks, d.h. von der Schulleitung, den Kolleginnen und Kollegen und den Schülerinnen und Schülern beziehungsweise Eltern”. Das bringe viel mehr, als eine Paradelektion zu halten, wenn die externen Schulevaluatoren einmal in drei oder vier Jahren im Schulhaus seien.

Erziehungsdirektor gegen “Regelungswut”

Sukkurs erhalten evaluationskritische Lehrkräfte und der LCH vom Berner Erziehungsdirektor und Regierungspräsidenten Bernhard Pulver. Er schreibt laut einem Bericht der SonntagsZeitung ein Buch über die Schule der Zukunft.

Der grüne Spitzenpolitiker kritisiert im Manuskript – das Buch wird laut Pulver erst nach seinem Präsidialjahr fertiggestellt – die “Regelungswut” in der Bildungspolitik. Es würde ein Klima des gegenseitigen Misstrauens geschürt. Die Folge davon seien “Kontrollwahn” und immer neue Messgrössen für Leistung und Vorgaben. Leistungen müssten zwar gemessen werden, aber der Mensch müsse im Zentrum stehen. “Wer Vertrauen schenkt, wird Motivation und Engagement ernten.”

Kernelemente der Schule sind für den Berner Erziehungsdirektor motivierte Lehrkräfte mit genügendem Freiraum, eine ganzheitliche Bildung, die behutsame Einführung der Basisstufe in der Volksschule und die Stärkung und Unterstützung der Eltern.

Ganzheitliche Schulevaluation: Erfassen des Stärke-Schwäche-Profils der Schule unter Einbezug des Schul- und Unterrichtsklimas.

Ganzheitliche Schulevaluation plus: Erfassen des Stärke-Schwäche-Profils unter Einbezug des Schul- und Unterrichtsklimas – ergänzt durch einen Leistungstest im Fach Deutsch.

Schulleitungs-Evaluation: Die Leitung einer Schule wird umfassend evaluiert, zum Beispiel die gewählte Leitungsstruktur, die Kompetenzen- und Aufgabenverteilung, die Rollengestaltung, das Prozessmanagement – unter besonderer Berücksichtigung von Wirksamkeit (Effizienz) und Wirkung (zum Beispiel Schulklima).

Evaluation des Qualitätsmanagements (Metaevaluation): Der Aufbau, die Funktionsweise und die Wirksamkeit des schulinternen Qualitätsmanagements werden evaluiert.

Erweiterte Selbstevaluation: Die Schule führt zu einem selbstgewählten Evaluationsschwerpunkt eine interne Evaluation durch. Die externe Schulevaluation unterstützt diesen Selbstevaluationsprozess und bringt einen unabhängigen Gesichtspunkt dazu ein.

(Quelle: Pädagogische Hochschule, Institut Forschung und Entwicklung der Fachhochschule Nordwestschweiz)

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