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Filmfestival Freiburg: Sprung über die Grenze

Die seh- und hörbehinderte Theresa Chan im Wettbewerbs-Film "Be with me" aus Singapur. Festival Fribourg

Das bisher vor allem in der Romandie präsente Festival will vermehrt die Sprachgrenze zur Deutschschweiz überwinden.

Am Sonntag schloss das Internationale Filmfestival in Freiburg mit den Preisverleihungen für die besten Filme des Südens.

Sehnsucht nach Liebe und Nähe, Sprachlosigkeit und Missverständnisse zeichnen die bisher im Wettbewerb gezeigten Filme in Freiburg aus. Universelle Themen, die in Singapur, Iran und Ägypten ihre je eigenen Ausdrucksformen gefunden haben.

So drückt sich die Liebe im Film “Be with me” von Eric Khoo aus Singapur fast ausschliesslich in SMS-Botschaften, E-Mails und Briefen aus. Minutenlang beobachtet man einsame Menschen, in sich versunken, wie sie warten, schreiben, essen und andere beobachten. Im Zentrum steht die seh- und hörbehinderte Theresa Chan, die neue Fähigkeiten entwickelt, um sich aus der Isolation zu befreien.

“Be with me” ist ein beklemmender Film, der im ersten Moment mit seinen stummen, langen Einstellungen fast Abwehr auslöst, dann aber immer mehr die Gesichter zum Sprechen bringt, die Figuren zum Leben erweckt und durch die geschickte Verknüpfung der einzelnen Geschichten einen faszinierenden Kosmos schafft.

Damit hebt er die Isolierung der einzelnen Figuren ansatzweise auf, allerdings nur gerade so weit, dass Hoffnung und Sehnsucht greifbar werden. “Be with me” zeigt ungeschminkte Gesichter aus Singapur, die die spiegelnden Fassaden dieser Metropole Lügen strafen.

Im Namen der Ehre

Der iranische Film ist seit langem im internationalen Kino präsent. Auch der zweite lange Spielfilm “Be Ahestegi…” (“Nach und nach…”) von Maziar Miri, der in Freiburg im Wettbewerb läuft und die Schwierigkeiten der jungen Generation mit den Tabus und Gesetzen ihrer Gesellschaft zeigt, ist Erfolg versprechend.

Der Film zeigt, wie ein junger Mann, dessen geistig verwirrte Frau plötzlich spurlos verschwindet, durch die Gerüchte und üblen Nachreden der Nachbarn fast in den Wahnsinn getrieben wird.

“Du hast uns entehrt”, lautet der Vorwurf der Familie an den Ehemann, der seine Frau nicht unter Kontrolle halten kann. Der soziale Druck wird zum Alptraum, bis dem Mann schliesslich die Vorstellung, seine geliebte Frau könnte tot sein, wie eine Erlösung erscheint.

Fulminantes Plädoyer für ein selbstbestimmtes Leben

Auch in der libanesisch-ägyptischen Koproduktion “Dunia” geht es um die Ehre in der traditionellen muslimischen Gesellschaft. Der in Ägypten gedrehte Spielfilm der libanesischen Regisseurin Jocelyne Saab thematisiert in sinnlichen Bildern die Selbstfindung einer jungen Frau im Kampf gegen starre soziale Normen.

Der Film stellt die sexuelle Verstümmelung von Mädchen im Namen der Ehre nur als Anfang einer weiblichen Musterbiografie vor, in der Eigensinn, Kreativität und Individualität wiederholt beschnitten werden.

“Dunia” ist ein fulminantes Plädoyer für ein selbstbestimmtes Leben. Er ist der erste von “Visions sud est” (DEZA, Trigon-Film, FIFF) subventioniere Film.

Überwindung der französisch-deutschen Sprachgrenze

So international die in Freiburg gezeigten Filme auch sind, so schwer tut sich das seit über 20 Jahren vor allem in der Romandie präsente Festival mit der Überwindung der Sprachgrenze zur Deutschschweiz. Mit der neuen administrativen Direktorin, der Bernerin Franziska Burkhardt, soll nun auch vermehrt das deutschsprachige Publikum angesprochen werden.

“Wir sind hier in Freiburg an einer Sprachgrenze”, erklärt Franziska Burkhardt gegenüber swissinfo. “Es ist auch ein Problem zwischen Mehrheit und Minderheit, und das manifestiert sich dort am stärksten, wo es gelebt wird.”

Burkhardt war verantwortlich für die Finanzierung der deutschen Untertitelung der Wettbewerbsfilme. “Zweisprachigkeit kostet viel Geld”, sagt sie. Konkret habe dieses Projekt 60’000 Franken gekostet.

“Es gibt noch viel zu tun”

Die Direktorin will die deutsche Sprache auch im Festivalteam präsenter machen. Ausserdem sollen in Zukunft Diskussionsforen, die bisher simultan auf Französisch übersetzt wurden, auch auf Deutsch übersetzt werden.

“Es gibt noch viel zu tun”, sagt Burkhardt nüchtern, “aber dafür müssen wir mehr Geld haben. Und um mehr Geld von privaten Sponsoren zu bekommen, müssen wir in der Deutschschweiz bekannter werden. An erster Stelle steht deshalb die kommunikative Arbeit.”

Bereits hat die neue Direktorin diesbezüglich erste Erfolge zu verbuchen. So habe das Deutschschweizer Fernsehen bereits in den Mittags- und Abendnachrichten über das Festival berichtet. Und sobald das Festival diesen Sonntag zu Ende geht, beginnt die Planung für 2007. An Visionen mangelt es Franziska Burkhardt nicht.

swissinfo, Susanne Schanda, Freiburg

Das Internationale Filmfestival Freiburg, das heuer sein 20. Jubiläum feiert, entstand aus dem 1980 gegründeten Dritt-Welt-Festival.
Weil es damals für Filme aus Afrika, Asien und Lateinamerika noch kaum Verleiher gab, sollte mit einem Festival die kulturelle Vielfalt dieser drei Kontinente aufgezeigt werden.
1986 etablierte sich das Dritt-Welt-Filmfestival in Freiburg, wo die Vorführungen am erfolgreichsten waren.
1998 entstand daraus das Internationale Filmfestival Freiburg, das die Filmszene des Südens präsentiert.

Im Wettbewerb um den “Regard d’Or” stehen 10 Spielfilme:
“As Tentaçoes do Irmao Sebastiao” (Brasilien)
“Be Ahestegi…” (Iran)
“Be with Me” (Singapur)
“Bei Ya Zi De Nan Hei” (China)
“Bidan-gudu Saga-jigo Ohshinda-the-ni” (Südkorea)
“Dunia” (Ägypten, Libanon, Frankreich)
“Heremias” (Philippinen)
“Joeun Baewoo” (Südkorea)
“Shen Hai” (Taiwan)
“Un matin bonne heure” (Frankreich)

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