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Schweizer Pensionskasse rettet Berliner Traum

Der alte Holzmarkt in Berlin
Der alte Teil des alternativen Genossenschafts-Projekts Holzmarkt mitten in Berlin. Petra Krimphove

Berlin widersetzt sich der Gentrifizierung. Zumindest an einigen Orten. Mit Hilfe der Schweizer Pensionskasse Abendrot erfüllt sich eine alternative Genossenschaft den Traum vom anderen Leben in bester Lage am Flussufer. Abendrot wiederum sieht eine solide Anlage.

Noch vor einigen Jahren reihten sich am Flussufer unweit von Ostbahnhof und Alexanderplatz einige von Berlins bekanntesten Spreebars aneinander. Sie hatten einfach auf brachem Gelände Bretterbuden-Bars und Liegestühle aufgestellt und wurden bald zum Aushängeschild der Berliner Partykultur. Doch dann kamen die Investoren mit ihren Plänen für lukrative Wohnkomplexe am Fluss, und die Party hatte vielerorts ein Ende. 

Auch die weit über Berlin für ihre Partys bekannte provisorische Bar25, eine Mischung zwischen Strandbar und Technoclub, sollte einem Neubau weichen. Das Grundstück gehörte der stadteigenen Berliner Stadtreinigung BSR, und diese bot es per Ausschreibung zum Verkauf an. “Wir hatten damals die Alternative, uns eine Zeit lang zu wehren und dann vertrieben zu werden oder selber ein Gebot mit einem Nutzungskonzept einzureichen”, erinnert sich der 42-jährige Juval Diezinger, einer der Mitbetreiber der Bar25, die 2010 das Gelände verlassen musste.

Der neue Teil des Holzmarkts
Blick auf den neuen Teil des alternativen Genossenschafts-Projekts Holzmarkt im Zentrum Berlins. Petra Krimphove

Diezinger und seine Mitstreiter gründeten eine Genossenschaft, entwarfen ein tragfähiges Konzept für das 18’000 Quadratmeter grosse Grundstück und machten sich auf die Suche nach einem Investor. Die Berliner wussten, dass die Gründer der Schweizer Pensionskasse Abendrot, Hans-Ulrich Stauffer und Eva Zumbrunn, selbst aus dem kapitalismus-kritischen Umfeld stammten und ihre Ideen teilten. Bereits 2012 hatte Abendrot ein altes Umspannwerk in Berlin erworben, das in Künstlerateliers umgebaut worden war.

“Eine Art Seelenverwandtschaft”

Und tatsächlich stiess die Idee des Holzmarkt-Dorfs bei den Schweizern auf offene Ohren. “Mir hat das Konzept der Genossenschaft gleich gefallen”, erinnert sich Hans-Ullrich Stauffer und konstatiert eine Art “Seelenverwandtschaft” zu den Betreibern. Abendrot sei eben keine klassische Pensionskasse, sondern versuche in Projekte zu investieren, die abseits des Mainstream Freiräume schafften, den gesellschaftlichen und ökologischen Kriterien der Pensionskasse entsprächen und sich nicht allein Gewinnmaximierung zum Ziel setzten. 

Bei der Überzeugung half vielleicht, dass Juval Diezinger ebenfalls aus der Schweiz kommt. Vor fast 20 Jahren zog es den Schauspieler aus dem Emmental nach Berlin. Bald begann er in der Gastroszene zu arbeiten und war an erfolgreichen alternativen Projekten beteiligt. “Wir haben eine Sprache gesprochen und haben die gleichen Werte”, sagt Diezinger über die Begegnung mit Stauffer. “Das war ein echter Glücksfall.”

Die Pensionskasse wiederum fühlt sich mit ihrer Investition auf der sicheren Seite. “Ein Grundstück in bester Lage an der Spree, damit kann man nicht verlieren”, sagt Stauffer im Gespräch mit swissinfo.ch. Abendrot gab das Höchstgebot ab – das Stauffer nicht näher beziffern möchte – kaufte das Gelände der BSR bereits 2013 ab und vermietet es seither in Erbpacht an die Holzmarkt-Genossenschaft mit seinen 150 Mitgliedern.

Pensionskassen blicken über die Grenze

Immobilien sind für Pensionskassen in Zeiten extrem niedriger Verzinsungen zur interessanten und unverzichtbaren Anlagemöglichkeit geworden. Schliesslich ist die Kasse darauf angewiesen, ihr Kapital renditebringend anzulegen. “In der Schweiz ist der Immobilienmarkt begrenzt”, sagt Stauffer. Daher richtet die Stiftung seit etwa fünf Jahren ihren Blick auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten auch über die Grenze nach Deutschland. In der Regel investiere man eher in Immobilienfonds als in einzelne Projekte, sagt Stauffer.

Pensionskassen entdecken Immobilien

Das Anlagevermögen der 1866 Pensionskassen in der Schweiz beträgt fast 800 Milliarden Schweizer Franken. Sie repräsentieren die seit 1985 obligatorische zweite Säule der Schweizer Alters-und Hinterbliebenenversorgung (AHV). Über vier Millionen Schweizer sind aktiv bei den Pensionskassen versichert. Die starke Abhängigkeit vom Kapitalmarkt bereitet diesen jedoch zunehmend Probleme.

Laut einer aktuellen Studie der swisscanto Vorsorge AG investieren die Pensionskassen wegen sinkender Erträge auf dem Kapitalmarkt ihr Geld zunehmend in Immobilien.

So wuchs der durchschnittliche Immobilienanteil in ihrem Portfolio zwischen 2007 und 20017 im Inland von 16 auf 20,7%. Immobilien im Ausland stellen nach wie vor eine Ausnahme dar, aber auch ihr Anteil wuchs in diesem Zeitraum von 1,1 auf 1,9%.

Auch die KPMG Pensionskassen-Benchmark-Studie nennt Immobilien den “Fels in der Brandung” für die Pensionskassen. Fast 80 % der Ausland-Investitionen würden dabei über indirekte Produkte wie Fonds getätigt. Direkte Immobilienanlagen im Ausland – wie der Abendrot-Kauf des Holzmarkt-Geländes – spielen dagegen nach wie vor eine stark untergeordnete Rolle.  

Die Berliner Genossenschaftler hatten vor dem Deal mit den Schweizern bewiesen, dass sich alternative Clubkultur und Unternehmergeist nicht ausschliessen. Gegenüber auf der anderen Spreeseite hatten sie nach dem vorläufigen Aus der Bar25 das florierende Szene-Restaurant Kater Holzig eröffnet. Hans-Ullrich Stauffer sah auf seinen Berlin-Besuchen die langen Schlangen vor dem Eingang und fühlte sich bestätigt, dass die Betreiber gute Konzepte auf die Beine stellen können. Kater Holzig genoss Kultstatus und warf Gewinn ab.

“Dann kam der Stiftungsrat aus der Schweiz und wir mussten Rede und Antwort stehen”, erinnert sich Juval Diezinger mit einem Lachen. Die Bar25 stand für eine hedonistische Berliner Partykultur, hier wurde tagelang exzessiv getanzt und gefeiert. Nicht unbedingt das, was Anleger unter einer seriösen Investition verstehen. Doch die Genossenschaftler überzeugten: “Die haben Phantasie und buchhalterisches Know-how”, schwärmt Stauffer.

Gesetzter, aber mit dem alten Charme

Vier Jahre nach dem Kauf liegt der im Mai frisch eröffnete Holzmarkt nun wie ein kleines Dorf zwischen Spreeufer und der gleichnamigen breiten Strasse. Auf dem grössten Teil ist das einstige Provisorium bunt hingewürfelten soliden Häusern gewichen, die ein Halbrund um den zum Fluss ausgerichteten Dorfplatz bilden. Hier hat die Genossenschaft ein hochklassiges Restaurant mit Tischen direkt am Wasser, ein Café, eine Bäckerei, Büros, Ateliers und eine Kindertagessstätte gebaut, mit viel Platz zum Verweilen. Das alles sieht weitaus gesetzter aus als der Vorgänger, versprüht aber dennoch weiterhin den Charme, der Berlin auf der ganzen Welt berühmt gemacht hat.

Ein anderer Abschnitt – genannt Pampa – bewahrt mit windschiefen Holzbauten, Bars und viel Raum zum Chillen noch die ehemalige Bar25 Atmosphäre. Schon jetzt sei erkennbar “dass der Holzmarkt einer der interessantesten Orte nicht nur dieser Gegend, sondern der ganzen Stadt sein wird”, schrieb die linksalternative Tageszeitung taz anlässlich der Eröffnung. Eine Art Ritterschlag und die Bestätigung, dass die alternative Genossenschaft mit dem ehrgeizigen Projekt nicht ihre Seele verkauft hat.

Seit der auch in den Medien gross gefeierten Eröffnung strömen Berliner und Touristen an eine Reminiszenz oder auch eine moderne Form dessen, was Berlin einmal ausmachte.  Der Holzmarkt ist weiterhin ein offener Ort, hier gibt es für ganz Berlin Konzerte, Kino, Theater oder einfach nur ein Bier am Wasser. “Ohne die Stiftung Abendrot hätten wir das nicht geschafft”, sagt Juval Diezinger. Die wiederum loben ebenfalls das gute Miteinander. Doch, so Hans-Ulrich Stauffer, der Aufwand sei für die Pensionskasse in diesem Fall schon ungewöhnlich hoch gewesen. “Noch so ein Projekt würde ich nicht begleiten.”

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