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Homosexuelle im Kosovo: Kamera gibt ihnen eine Stimme

Für Pierre-Kastriot Jashari ist Fotografie "eine Sprache, um über den Menschen zu sprechen". Anne-Camille Vaucher

Im Kosovo sind Homosexuelle oft dazu verurteilt, ihre sexuelle Identität zu verstecken. Ihr Leben ist aber auch in der albanischen Diaspora in der Schweiz schwierig. Der kosovarisch-schweizerische Fotograf Pierre-Kastriot Jashari wollte ihnen eine Stimme geben.

“In meinem Volk hat es Homosexualität nie gegeben.” Diese Worte eines Imams im Kosovo, der offen erklärt, homophob zu sein, werden durch die Rhythmen der elektronischen Musik verwischt, zu denen sich die LGBTIQ-Gemeinschaft in Pristina endlich, ausdrücken kann, sicher vor unerwünschten Blicken, wenn auch an geheim gehaltenen Orten.

In Fotos und Videos fasst das Projekt von Pierre-Kastriot Jashari, einem Schweizer Fotografen albanischer Herkunft, zusammen, wie unmöglich es für sexuelle Minderheiten im Kosovo ist, frei zu leben. Auch wenn es in der Hauptstadt Pristina heute eine Pride-Parade gibt, und ein Teil der Bevölkerung offen ist für Vielfalt, bleibt der kulturelle Würgegriff hart.

Für seine Porträtserie Bonu Burrë! (“Sei ein Mann”) hat Pierre-Kastriot Jashari den Preis für Menschenrechts-Fotografie in Genf erhalten, die Bilder zeigen aber auch seine eigene Geschichte. Während seines Fotografiestudiums an der kantonalen Kunstschule in Lausanne (École cantonale d’art de Lausanne, ECAL), als er sich mit der Komplexität seines eigenen Coming-outs konfrontiert sah, machte sich der junge Mann auf die Suche nach Landsleuten, die versuchten, sich von den ideologischen Fesseln zu befreien, um ihre Homosexualität offen leben zu können.

Aus Sicherheitsgründen musste Pierre-Kastriot Jashari die Anonymität der meisten Protagonisten seines Projekts wahren – er tat dies mit Hilfe von Lichteffekten oder Inszenierungen. “Wenn ihre Familien herausfinden würden, dass sie homosexuell sind, riskieren einige von ihnen, auf die Strasse gestellt zu werden.”

Im Kosovo, erzählt er, sei einer seiner Freunde auf der Strasse von Polizisten angegriffen worden, die völlig ungestraft davonkamen. Strukturen zur Unterstützung sexueller Minderheiten gebe es keine. Die Armut und die grassierende Korruption erschwerten das Schicksal der Minderheiten zusätzlich, analysiert der Fotograf. “Wenn ich mit Menschenrechts-Aktivisten im Kosovo spreche, erklären diese, sie hätten dringendere Probleme zu lösen, bevor sie sich mit der LGBTIQ-Gemeinschaft befassen könnten.”

Pierre-Kastriot Jahsari
In seiner Heimatstadt war es dem Fotografen manchmal zu eng. Anne-Camille Vaucher

Die Last der Traditionen spürt man auch in der albanischen Diaspora in der Schweiz. “Auch wenn die Schweiz mehr Freiheit bietet, sind die meisten albanischen Homosexuellen mit den gleichen Schwierigkeiten konfrontiert, egal ob sie hier leben oder im Kosovo”, erklärt der 24 Jahre alte Fotograf. Als Beispiel führt er den extremen Fall eines Freundes auf, den die Eltern in den Kosovo geschickt hatten, nachdem sie das Fotos seines Partners entdeckt hatten; in der Hoffnung, dass ein Imam ihren Sohn “von seinen homosexuellen Neigungen heilen” könnte.

Pierre-Kastriot Jashari hatte das Glück, dass er seine Heimatstadt Biel (Kanton Bern) für sein Studium verliess, was ihm ermöglichte, seine sexuelle Orientierung zu hinterfragen. “Wäre ich nicht gegangen, hätte ich nie den Raum gehabt, dies zu tun”, sagte er.

“Ich fühlte mich nirgendwo zu Hause”

Der junge Mann hat keine Angst davor, seinen eigenen Weg einzuschlagen, Klischees loszuwerden und gegen Diskriminierung zu kämpfen. Er ist in Biel geboren, seine Eltern sind politische Flüchtlinge, die in den 1990er-Jahren aus dem Kosovo geflohen waren.

Er hat erlebt, wie schwierig es sein kann, die eigene Identität zu finden, wenn man an der Grenze zwischen zwei Kulturen aufwächst: “Auch wenn wir gut integriert waren, liess man uns manchmal spüren, dass wir nicht wie die anderen waren.” So bekam er zum Beispiel als Kind zu hören, “Albaner sind gewalttätig” oder “du hast einen flachen Kopf”.

Worte, die verletzen und schlecht heilende Wunden hinterlassen. “Ich stand meiner eigenen Integration mit Ablehnung gegenüber. Während langer Zeit fühlte ich mich nicht als Schweizer.” Er ist aber auch kein Kosovare, wenn er in sein Herkunftsland zurückkehrt: “Dort nennt man uns Schatzis.” Es ist ein Problem, das der junge Mann nur schwer lösen konnte: “Ich fühlte mich nirgendwo zu Hause.”

“Ich konnte keine Dinge mehr tun, die ich hasste”

Pierre-Kastriot Jashari hielt schon diese Kindheit zwischen zwei Welten gerne mit der Familienkamera fest. “Ich nahm alles auf und verbrachte Stunden mit der Bearbeitung am Computer”, erinnert er sich.

Als er im Gymnasium war, beschaffte er sich eine Fotokamera, inspiriert von einem Cousin, der Fotograf ist. Er lernte allein, fast im Geheimen, die Kamera zu bedienen, um den an seiner Schule angebotenen Kursen auszuweichen, weil er dachte, dort habe er keinen Platz. Seine Lehrer entdeckten seine Leidenschaft erst, als er mit Erfolg eine Maturarbeit in Fotografie ablieferte, für welche er Gesichter aus seinem Herkunftsland festgehalten hatte.

Doch der junge Mann hatte gelernt, dass man von der Leidenschaft allein nicht leben kann, sondern studiert, um sich eine bessere Zukunft aufbauen zu können. Er schrieb sich daher an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne (EPFL) ein. “Nach einem Tag wurde mir klar, dass ich mich nicht länger dazu zwingen konnte, Dinge zu tun, die ich hasste.”

In der Folge wandte er sich stattdessen einer Ausbildung in Fotografie an der ECAL zu; ein Entscheid, der in seinem Umfeld kaum verstanden wurde. “In unserer Kultur sollte ein Beruf produktiv sein. Meine Eltern wollten nicht, dass ich diesen Weg einschlage, den sie nicht kannten. Aber ich liess ihnen keine Wahl.”

“Ich muss einen Teil meines Selbst in meine Projekte einbringen”

Die Fotografie wird zu der Sprache, mit der er über das “Dasein der Menschen” spricht. In seinem ersten grösseren Werk zeigte er Bilder, bei denen es um Fragen der sexuellen Orientierung geht, ein Thema, das ihn zu der Zeit “auffrass”, wie er erklärt.

“Ich muss einen Teil meines Selbst in meine Projekte einbringen”, sagt Pierre-Kastriot Jashari weiter. Aktuell richtet er seine Kamera auf die Jugend im Berner Jura, der Randregion um die Stadt Biel, wobei die unterschiedliche Herkunft der Jugendlichen ein zentrales Element sein soll.

Diese Arbeit erfolgt im Rahmen der Enquête photographique Berner Jura 2019-2020Externer Link. Diese war von vier Bieler Institutionen aus dem Kulturbereich, darunter die Bieler Fototage, ausgeschrieben worden. Die Jury entschied sich einstimmig für sein Projekt.

Diese Auszeichnung ermöglicht ihm nun, sich vertieft mit der sozialen Durchmischung dieser ländlichen Region auseinanderzusetzen. Der Berner Jura ist für ihn gleichbedeutend mit den Besuchen seiner Familie bei albanischen Freunden während seiner Kindheit. “Ich war immer beeindruckt vom Kontrast zwischen der typischen Atmosphäre eines Schweizer Dorfes und diesen sehr traditionellen albanischen Familien”, erklärt er.  

Wie er auch müssen die jungen Leute, die er nun im Berner Jura trifft, beim Erwachsenwerden den Spagat zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen machen. “Einige erklären, sie seien keine Schweizer, auch wenn sie noch fast nie in ihr Herkunftsland gereist sind”. Ein Gefühl, das Pierre-Kastriot Jashari gut kennt.

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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