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Frankreich schränkt Ausländerrechte ein

Die Abschiebung zahlreicher Roma-Familien hat Frankreichs Ausländerpolitik in den letzten Monaten in die Schlagzeilen gebracht. Keystone

Während in der Schweiz heftig über die Ausschaffungs-Initiative gestritten wird, verabschiedet Frankreichs Nationalversammlung diskret einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Ausländischen Straftätern soll die Staatsangehörigkeit entzogen werden können.

Der Gesetzestext, den der ehemalige Sozialist Eric Besson, Minister für Immigration und nationale Identität, entworfen hat, beschränkt die Rechte der Ausländerinnen und Ausländer in einigen sensiblen Bereichen.

Ein “verschmutztes” Projekt

Etienne Pinte sprach sich gegen das Projekt aus. Der ehemalige Bürgermeister von Versailles, Abgeordneter des Departements Yvelines in der Nationalversammlung, ist bei weitem kein Linker. Pinte ist Mitglied der Regierungspartei UMP und war ein enger Mitarbeiter des gaullistischen Autoren, Politikers und mehrfachen Ministers Alain Peyrefitte.

“Zu Beginn ging es lediglich darum, drei EU-Richtlinien umzusetzen”, erinnert sich Pinte. Zum Schluss sei das Projekt aber “verschmutzt” worden, erklärt der Abgeordnete: “Durch Opportunismus und den Wunsch, die Wähler der extremen Rechten anzusprechen”, seien für Ausländer sehr ungünstige Artikel in den Entwurf, der noch vom Senat abgesegnet werden muss, aufgenommen worden.

In der Schusslinie von Eric Besson und der Regierung stehen die illegalen Ausländer. Von dieser Volksgruppe scheint Nicolas Sarkozy besessen zu sein, seit er 2002 im Innenministerium mit der Regierungstätigkeit angefangen hat, die er seit 2007 im Elysee-Palast als Präsident ausübt.

Laut der Internationalen Arbeits-Organisation (ILO) leben in Frankreich etwa 400’000 “Clandestins”. Geht es nach dem Gesetzesentwurf, sollen Menschen ohne Papiere vor einer Ausweisung bis 45 Tage in Gewahrsam genommen werden können. Ausser aus humanitären Gründen sollen sie danach während mehrerer Jahre nicht mehr auf französisches Staatsgebiet zurückkommen dürfen.

Wahltaktiken

Für die Ausschaffungen hat das Innenministerium Quoten festgesetzt: 2010 sind es 28’000. Man ist schon fast am erklärten Ziel: 21’385 Menschen wurden bis zum 1. Oktober ausser Landes geschafft.

“Ich kann verstehen, dass man Ausländer ausschaffen will, die sich illegal im Land aufhalten”, erklärt Etienne Pinte. “Die Vorstellung aber, dass man dafür Quoten hat, schockiert mich. Milchquoten, ok. Aber doch nicht Quoten für Ausländer.”

“Es geht darum, Zahlen zu machen, aus niedrigen wahltaktischen Gründen”, sagt Claire Rodier, Juristin bei der Gruppe für Informationen und Unterstützung der Einwanderer (Gisti). “Die Zahlen sind übrigens künstlich aufgebläht. Damit die Quote erreicht wird, ist man gezwungen, rumänische und bulgarische Roma auszuschaffen, die das Recht haben, sofort wieder zurückzukommen. Absurd.”

Der Gesetzesentwurf beschränkt sich nicht auf Menschen ohne Papiere, und das ist die grosse Neuheit. Wie die Schweizerische Volkspartei (SVP) hierzulande spielt auch ein Teil der Rechten in Frankreich mit der Gleichsetzung Delinquenz-Immigration. Nicolas Sarkozy selbst hat das Beispiel gegeben.

Ende Juli brach der Präsident nach Unruhen in Grenoble ein Tabu. “Die französische Staatsbürgerschaft muss verdient werden. Man muss sich ihrer würdig zeigen. Wer auf einen Polizisten schiesst, ist es nicht mehr wert, Franzose zu sein”, erklärte Sarkozy.

Aberkennung der Staatsbürgerschaft

Nicolas Sarkozy gräbt damit eine fast ebenso populistische Idee wie die Todesstrafe aus: die Aberkennung der französischen Staatsbürgerschaft. Und er operiert gleichzeitig mit einer ziemlich zwiespältigen Unterscheidung zwischen Franzosen “französischer Herkunft” und Franzosen “ausländischer Herkunft”. Das erinnert an eine dunkle Periode Frankreichs, als das Vichy-Régime Tausenden von Personen die französische Staatsbürgerschaft entzog, hauptsächlich Juden.

Die Massnahme, die im Gesetzesentwurf aufgenommen wurde, ist stark symbolisch. In der Praxis jedoch wird sie sehr beschränkt sein. “Es handelt sich vor allem um einen Ankündigungseffekt aus wahltaktischen Gründen”, betont Claire Rodier.

Die Aberkennung der Staatsbürgerschaft, die heute bei Urhebern terroristischer Aktionen angewendet wird, kann ausgedehnt werden auf weniger als seit zehn Jahren eingebürgerte Franzosen, die wegen Polizistenmord verurteilt wurden. Das Projekt Besson betrifft auch straffällig gewordene Ausländer, allerdings gedämpfter als die Ausschaffungs-Initiative der SVP in der Schweiz. In Frankreich wird man nur jene ausschaffen können, die weniger als drei Jahre auf französischem Territorium leben.

Hexenjagd

“Was ich bedaure, ist das Klima der Hexenjagd”, sagt Etienne Pinte. Als Sarkozy 2002 Innenminister wurde, hatte ihn der Abgeordnete davon überzeugt, die “doppelte Strafe” einzuschränken. Das heisst die Möglichkeit eines Richters, einen Ausländer nach Verbüssung seiner Gefängnisstrafe auszuschaffen. Heute hat sich das Klima ziemlich geändert.

Gehört Frankreich heute zum Clan der repressivsten Länder Europas gegenüber den Ausländern, namentlich solchen in einer irregulären Situation?

“Schwierig zu sagen”, meint Claire Rodier. “Die Niederlande und Dänemark sind eindeutig restriktiver, zum Beispiel in Sachen Familien-Zusammenführung. Frankreich ist eher vergleichbar mit Italien, mit dieser kleinen Nuance: Bisher existierte bei uns ein wirklicher gesetzlicher Rahmen, der es den Richtern erlaubte, behördliche Entscheide zu bestreiten. In Italien hingegen ist die Handlung des Richters rein formell. Aber genau dieser Rechtszustand wird in Frankreich derzeit angeknabbert.”

Französische Staatsbürger, die vor weniger als zehn Jahren eingebürgert wurden und zu einer Strafe wegen Mord oder Mordversuchs an “einer Amtsperson der Behörden” (Polizei, Feuerwehrleute, usw.) verurteilt wurden, können die französische Staatsbürgerschaft verlieren.

Spezielle Wartezonen sollen geschaffen werden können, ähnlich jenen, die es in Flughäfen bereits gibt, um Gruppen von mindestens zehn Ausländern in der Nähe von Grenzübergängen aufzufangen.

Eine Person ausländischer Herkunft, europäisch oder nicht, die sich länger als drei Monate, aber nicht länger als drei Jahre in Frankreich aufgehalten hat, können an die Grenze zurückgeführt werden, wenn sie die öffentliche Ordnung bedrohen, besonders bei Straftatbeständen wie Diebstahl, aggressiver Bettelei oder auch bei illegaler Besetzung von öffentlichem oder privatem Terrain.

Es gibt eine Verpflichtung, während der Frist bis zur freiwilligen Ausreise
ein Verbot zur Rückkehr auf französisches Territorium auszusprechen.

Ausschaffungshaft dauert 32 bis maximal 45Tage. Der Verwaltungsrichter entscheidet erstinstanzlich.

Die ausländische Wohnbevölkerung ist eine kleine Minderheit in Frankreich: 3,65 Millionen Personen von 63 Millionen in Frankreich lebenden Menschen sind ausländischer Nationalität.

Die Karte zeigt, dass der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung in Französisch-Guyana –allerdings ein Spezialfall – und in der Ile de France, der Grossregion Paris, am höchsten ist. Dort erreichen fünf Departemente einen Anteil von über zehn Prozent.

Für den Demografen Hervé Le Bras, Professor an der Hochschule für Sozialwissenschaften, “kann man in der Region Paris von einer Ghettoisierung sprechen, denn die Migranten konzentrieren sich im Nordwesten von Paris und in la Seine-Saint-Denis, während sie in den noblen Quartieren weniger zahlreich sind, besonders in les Yvelines und in Hauts-de-Seine.”

Die ausländische Wohnbevölkerung ist am meisten präsent in den städtischen Gebieten wie im Elsass, im Departement Rhône-Alpes, Paca, Languedoc-Roussillon. Die Entwicklung zwischen den Erhebungen von 1999 und 2006 zeigte laut Le Bras “eine Verteilung der ausländischen Bevölkerung, die in Frankreichs Osten zunimmt. Dort war sie bisher abwesend.” Das sei ein Phänomen, das sich zweifellos durch die Ankunft von europäischen Staatsangehörigen verstärkt habe.

(Übertragung aus dem Französischen: swissinfo.ch)

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