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Frauen: Betrogen und verkauft

Auch in der Schweiz findet Frauenhandel statt - eine neue Beratungsstelle kümmert sich um die Opfer. Keystone

Gewalt an Frauen ist eine Realität, vor der die Gesellschaft auch in der Schweiz die Augen nicht länger verschliessen kann.

Eine besondere Art dieser Gewalt ist der Frauenhandel. Eine neue Beratungs-Stelle in Zürich will Opfern auf dem Weg in ein normales Leben helfen.

Die Schweiz hat im Kampf gegen Frauenhandel Nachholbedarf. Die neue Stelle wurde vom Frauen-Informationszentrum in Zürich (FIZ) ins Leben gerufen.

Bisher gab es in der Schweiz kein spezifisches Beratungsangebot für Frauen, die Opfer solcher Gewalt wurden. Die Täter werden nur sehr selten zur Verantwortung gezogen. Die betroffenen Frauen haben Angst, ihre Peiniger anzuzeigen.

Schätzungsweise 3000 Opfer pro Jahr



Wie viele Opfer von Frauenhandel es in der Schweiz gibt, ist nicht genau bekannt. Nach Schätzungen des Bundesamts für Polizei (fedpol) sind es pro Jahr zwischen 1500 und 3000. Diese Frauen werden ausgebeutet und sind nicht nur Opfer von sexueller und physischer, sondern auch psychischer Gewalt.

Und nur selten werden die Täter zur Verantwortung gezogen. Von durchschnittlich 30 Anzeigen wegen Menschenhandel pro Jahr enden nur gerade 1-7 in einer Verurteilung. Die Opfer werden aber nur aussagen, wenn sie Schutz und Sicherheit erhalten.

Und hier setzt das FIZ Makasi an und will konkret Abhilfe schaffen. Am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, am Donnerstag, hat die neue Beratungsstelle den Betrieb aufgenommen.

Ausweg aus einer auswegslosen Situation

Ziel ist es, den Frauen die Unterstützung zu geben, die sie brauchen, um aus einer schier hoffnungslosen Situation einen Ausweg zu finden. “Wir wollen solchen Frauen Schutz und Sicherheit bieten”, erklärt Marianne Schertenleib vom FIZ am Mittwoch in Zürich.

Erst dann seien Frauen bereit, ihre Peiniger auch vor Gericht zu bringen und eine Aussage zu machen. Denn die Dunkelziffer ist hoch. Die meisten Frauen, die Opfer solcher Geschäfte wurden, haben Angst, sich den Behörden anzuvertrauen.

Wenn sie es schaffen, auszubrechen, stehen sie meist vor dem Nichts: Kein Wohnort, keine Papiere, kein soziales Netz, keine Aufenthaltsbewilligung.

Traumatisiert und ohne Wissen

“Frauen, die den Weg zu uns finden, sind meist schwer traumatisiert und kennen auch ihre Rechte als Opfer nicht,”, sagt Marianne Schertenleib vom FIZ. Unterstützt werden die Frauen psychologisch, aber auch finanziell und rechtlich.

Leider gebe es in der Schweiz noch keinen Zeuginnenschutz. Und auch keine Aufenthaltsbewilligung für Opfer von Frauenhandel wie zum Beispiel in Italien, erklärt Doro Winkler vom FIZ gegenüber swissinfo.

Opferschutz verbessern



Für die FIZ-Frauen und die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Zürich, Dore Heim, ist klar: Um den Frauenhandel wirkungsvoller bekämpfen zu können, braucht es einen besseren Opferschutz und eine effizientere rechtliche Verfolgung von Frauenhandel.

“Opfer von Frauenhandel haben wenig Rechte und oft noch weniger Chancen, sich selbst zu wehren”, umreisst Dore Heim das Problem. “Die Opfer sind eigentlich unsichtbar. Und dies schützt die Täter und Hintermänner.”

Zusammenarbeit mit Strafverfolgern

Dass die Strafverfolgung nicht zum Besten läuft, wird auch auf Seite der Behörden nicht verneint. Denn nur wenn die Frauen aussagen, können die Täter zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Beratungsstelle kommt den Bedürfnissen der Strafverfolgungs-Behörden entgegen, wie der Zürcher Bezirksanwalt Jaroslav Jokl vor den Medien erklärt. “Wir Strafverfolger brauchen die Aussagen der Opfer.”

Für die Polizei gebe es nämlich von derart traumatisierten Frauen oftmals kaum brauchbare Informationen. Die Frauen müssten zuerst seelisch wieder so stabil sein, dass sie ein Strafverfahren durchstehen könnten.

Ohne präzise Aussagen von Opfern sei das Ergebnis einer Anzeige oftmals eine Einstellung des Verfahrens, oder “noch schlimmer ein Freispruch vor Gericht”, so Jokl weiter.

Dazu komme, dass viele dieser Frauen sich illegal in der Schweiz aufhielten. Sie würden daher oft selber in Strafuntersuchungen gezogen und oft rasch in ihr Heimatland ausgeschafft.

“Und hier hilft das FIZ Makasi”, erklärte der Bezirksanwalt weiter. Die Polizei soll denn in Zukunft Frauen, die bei einer Razzia oder einer andern Polizeikontrolle aufgegriffen werden, auch aktiv auf die neue Stelle aufmerksam machen.

Es gelte der “Hydra” des Frauenhandels die Köpfe abzuschlagen. Oder zumindest dafür zu sorgen, dass diese Köpfe wenigstens nicht so schnell nachwüchsen.

Sprunghafter Anstieg beim FIZ

Wollen die meist illegal anwesenden Frauen gegen ihre Hintermänner aussagen, können sie nach einer Eingabe beim kantonalen Migrationsamt zumindest während des Strafverfahrens in der Schweiz bleiben.

Diese “Duldung” ist ein Ergebnis von Gesprächen zwischen Stadt- und Kantonspolizei Zürich, Staats- und Bezirksanwaltschaft, Migrationsamt und FIZ.

Das FIZ setzt sich seit 30 Jahren gegen Gewalt an Frauen ein. Im letzten Jahr haben sich 81 Opfer von Frauenhandel gemeldet. Ein sprunghafter Anstieg. Dies sei auch ein Grund für die neue Stelle, sagt Marianne Schertenleib.

Die Opfer, die zum FIZ finden, kommen aus der ganzen Welt – aus Lateinamerika ebenso wie aus Asien, und in den letzten Jahren zunehmend auch aus Afrika und dem Osten Europas.

swissinfo, Rita Emch

FIZ Makasi hat vorerst eine Stelle, längerfristig sollen daraus drei werden.
Die Kosten werden pro Jahr auf 280’000 Franken veranschlagt; die Finanzierung ist nur bis Ende 2005 gesichert.
Das FIZ Makasi wird bisher vor allem von nicht-staatlichen Stellen finanziert.
Von staatlicher Seite sind noch kaum Gelder geflossen.
Makasi bedeutet “stark” auf Lingala (zentralafrikanische Sprache)

Opfer von Frauenhandel in der Schweiz:
Nach Schätzungen des Bundesamts für Polizei: 1500-3000
Hohe Dunkelziffer.
Anzeigen: Pro Jahr rund 30, davon enden 1-7 in einer Verurteilung.

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