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Freiburg wählt ersten schwarzen Präfekten der Schweiz

Einige Schweizer Medien schreiben von "Barackomanie", um den Erfolg von Carl-Alex Ridoré zu erklären. Keystone

Im Freiburger Saanebezirk ist der erste dunkelhäutige Präfekt der Schweiz gewählt worden. Der aus Haiti stammende Carl-Alex Ridoré ist gleichzeitig auch der erste Sozialist, der die Bastion der Christlichen Volkspartei CVP erobert hat.

Am 1. September wird der 36-jährige Rechtsanwalt Carl-Alex Ridoré auf der Präfektur Freiburg den Christdemokraten Nicolas Deiss ersetzen, den Bruder des ehemaligen Bundesrats. Die Funktion ist im Kanton Freiburg, wo der durch Volkswahl bestimmte Präfekt sowohl als Rechte Hand der Kantonsregierung wie auch als politisches Gegengewicht eingesetzt wird, sehr begehrt.

Carl-Alex Ridoré wirkt besonnen und scheint die Wahl seiner Worte sorgfältig abzuwägen, aber er steht im Blickpunkt seit dem er 2001 in die Politik eingestiegen ist.

swissinfo: Sie schätzen es nicht, dass die Medien über Ihre Person vom “Freiburger Barack Obama” sprechen. Der demokratische Präsidentschaftskandidat in den USA hat zwar auch kein Kernthema daraus gemacht, aber Ihr Sieg ist dennoch auch ein Sieg für die Multikulturalität?

Carl-Alex Ridoré: Es ist keineswegs so, dass ich nicht darüber sprechen will, aber es war nie ein Argument in meiner Wahlkampagne. Ich bin durchaus einverstanden mit Obama und ich betrachte mich nicht als Fahnenträger einer Idee.

Ich habe verschiedene Aktivitäten ausgeübt (Gesang, Sport, Pfadfinder…) und das hat mir den Weg in die Politik geöffnet. Ich mag den Kontakt mit andern Leuten, mein Interesse gilt den Menschen. Sie treiben mich an, etwas zu tun. Ich mag diese Region. Die wichtigsten politischen Themen sind für mich ältere Menschen, der Öffentliche Verkehr, die Raumplanung und die Gestaltung der Agglomeration Freiburg.

Natürlich ist die Wahl eine grosse Freude, weil sie die Multikulturalität gewissermassen in die Normalität, also an die richtige Stelle rückt.

Ich stelle mir umgekehrt auch die Frage, ob man Obama auch schon als Ridoré der USA bezeichnet hat? (Lacht)

swissinfo: Sie haben der Christlichen Volkspartei die siebte und letzte Präfektur entrissen, die diese im Kanton hatte, ein historisches Ereignis?

C.-A.R.: Wir wollen nicht übertreiben. Viele Analysten stellen zwar tatsächlich eine langsame Erosion des christlich-demokratischen Imperiums seit den 60er-Jahren fest. Ich habe mich als Aktiver der Wahl gestellt und nicht als Beobachter der CVP. Aber es ist wahr, dass diese Partei vielleicht tatsächlich zu lange gezögert hat, Kandidaten für die verschiedenen Posten im Kanton aufzubauen, insbesondere für jenen des Präfekten im Saanebezirk.

swissinfo: Weshalb hat denn der Präfekt in Freiburg eine derart grosse politische Bedeutung?

C.-A.R.: Er ist eine Art Saint Nicolas (mytischer Patron von Freiburg) der Gemeinden: Er hat die Rolle des Vermittlers, aber er muss auch entscheiden und führen.

Der Präfekt ist hier insbesondere für die Beziehungen zu andern Kantonen wichtig, vor allem jener aus dem Saanebezirk, weil er ein Drittel der Bevölkerung und die Kantonshauptstadt umfasst.

Er muss Initiator der Region und des Gemeindeverbandes sein, Garant für die öffentliche Ordnung. Er hat auch Magistratsfunktionen in juristischen Fragen, und er ist Rekursinstanz für alle möglichen Entscheidungen.

swissinfo: 2006 hat die Sozialdemokratische Partei SP in den Gemeinden Freiburg und Villars-sur-Glâne gewonnen. Die Partei hat auch in den Eidgenössischen Wahlen 2007 gut abgeschnitten. Steuert Freiburg nach links?

C.-A.R.: Ja, seit einigen Jahren zeigen die Umfragen eine Zunahme, weil die SP besser auf die Anliegen der Bevölkerung eingeht. Im Allgemeinen wurde behauptet, dass der Saane-Bezirk links abstimmte, aber rechts wählte.

Die Stadt hat – wie viele andere Orte auch – eine starke Urbanisierung erlebt. Abgesehen von dem was man “Grand Fribourg” (Stadt und angrenzende Gemeinden der Agglomeration) nennt, gibt es auch in den ländlichen Gemeinden eine wachsende Bevölkerung, die in der Stadt arbeitet und die deshalb in den Wohnorten homogener wird.

swissinfo: Haben Sie Kontakte mit Haiti, mit Ihrem Herkunftsland?

C.-A.R.: Meine Eltern haben mich und meine Schwester in beiden Kulturen grossgezogen. Durch sie habe ich seit ganz klein eine enge Beziehung zu diesem Land behalten. Ich hatte die Gelegenheit, viermal dort hinzugehen. Eine Zeitlang hatte ich sogar die Absicht, mich dort zu engagieren. Das bleibt eine Option, in 20 oder 30 Jahren, die ich nicht ausschliesse.

swissinfo: Haben Sie eigentlich auch Schwachstellen?

C.-A.R.: Ich habe vielleicht zu hohe Ansprüche an meine Umgebung…

swissinfo: …und an sich selbst?

C.-A.R.: Vielleicht…

Interview swissinfo, Isabelle Eichenberger
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

Die meisten Kantone in der Romandie, und einige Kantone in der Deutschen Schweiz haben einen Präfekten (Regierungsstatthalter) nach französischem Modell.

Diese administrativen Bezirke haben aber fast in allen Kantonen andere Strukturen.

Die Präfekte repräsentieren die kantonale Regierung in ihrem Bezirk, tragen zum Ausgleich der Interessen zwischen Kantonen und Gemeinden, Bürgerschaft und Staat bei.

In einigen Kantonen berät und beaufsichtigt der Präfekt die Verwaltung, die Feuerwehren, Vormundschafts- und Polizeibehörden. Er ordnet den Strafvollzug an und kann besondere Vollzugsformen bewilligen.

Der Präfekt entscheidet über den Grundstückerwerb durch Personen im Ausland, über die Erteilung von Pflegekinderbewilligungen.

Er wird vom kantonalen Parlament gewählt, ausser im Kanton Freiburg, wo er für 5 Jahre von der Gemeindeversammlung der Distrikte im Majorzsystem gewählt wird.

Carl-Alex Ridoré ist 1972 in Freiburg geboren. Seine Eltern stammen aus Haiti. Mit 16 Jahren ist er eingebürgert worden.

Ridoré hat den Doktortitel in Jurisprudenz. Er ist verheiratet und Mitglied der Sozialdemokratischen Partei.

2001 wurde er in den Gemeinderat von Villars-sur-Glâne gewählt, 2006 ins Kantonsparlament.

2007 hat er die Wahl ins Eidgenössische Parlament nur knapp verfehlt.

Er ist Präsident der Sozialdemokratischen Partei des Saanebezirks.

Am 22 Juni 2008 wurde er mit fast 60% der Stimmen zum Präfekten des Saanebezirks gewählt.

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