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Nationalbank: Es ist vielleicht Zeit für ein Experiment

Nationalbank
Bis unters Dach gefüllt mit Geld: Fassade der Schweizerischen Nationalbank am Bundesplatz in Bern. Keystone

Die Wirtschaft schrumpft. Gleichzeitig ist der Handlungsspielraum der Schweizerischen Nationalbank (SNB) stark eingeschränkt. Einen Ausweg aus dieser Zwickmühle verspricht eine Theorie aus den USA. Einziger Haken: Es ist bisher nur eine Theorie.

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Die Schweizerische Nationalbank im goldenen Käfig

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Am Geldmarktapéro der Nationalbank diskutiert die Finanzelite , wie die Nationalbank in Gefangenschaft geriet. Eine Bestandsaufnahme.

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Die Nationalbank operiert im Krisenmodus. Und das, obwohl die letzte Rezession über neun Jahre zurückliegt. Nun droht ein neuerlicher Kater: ein Wachstumseinbruch. Lange brauchte man sich in solchen Situationen keine Sorgen zu machen. Der Schrank mit Katermittelchen war gut gefüllt. Die Nationalbank konnte die Wirtschaft ankurbeln, wenn es nötig war. Nur: Kann sie das auch heute?

Üblicherweise reagiert die SNB auf negative Wachstumszahlen, indem sie die kurzfristigen Zinsen senkt. 2001 beispielsweise von 3.5% auf 0.25%. Das hat den Franken vor einer übermässigen Aufwertung bewahrt. Schweizer Exportprodukte blieben im Ausland erschwinglich, Arbeitsplätze wurden erhalten. Auch 2008 hat die Nationalbank mit einer Zinssenkung auf die Krise reagiert, dieses Mal von 2.75% auf 0%. Dadurch haben sich die Kreditkosten der Unternehmen und Haushalte verringert. Die Folge: Höhere Investitionen. Der Wirtschaftseinbruch wurde abgefedert.

Ein Krug Wasser gegen den Kater

Heute gibt es bei einem Ausgangszins von -0.75% kaum mehr Spielraum für Zinssenkungen. Zur Katerbekämpfung stand in den letzten beiden Abschwüngen ein Krug Wasser zur Verfügung. Heute höchstens noch ein Espressotässchen.

Zinssenkungen sind aber nicht das einzige Instrument, das die Nationalbank nutzen kann, um die Wirtschaft anzukurbeln. Japan, beispielsweise, nutzt dazu seit 2001 verschiedene Formen der quantitativen Lockerung (quantitative easing, QE). Die Idee von QE besteht darin, dass die Notenbanken ihre Bilanzen vergrössern, indem sie Wertschriften kaufen. Das verringert die langfristigen Zinsen auch dann, wenn die kurzfristigen Zinsen nicht weiter gesenkt werden können. Denken Sie bei QE an einen stärkenden Orangensaft.

Weltrekord bei der Bilanzsumme

QE hat ähnliche Auswirkungen auf die Notenbankbilanz, wie die Verteidigung eines Mindestkurses. Während die Notenbank bei einem QE-Programm vornehmlich inländische Wertpapiere kauft, verteidigt sie einen Mindestkurs, indem sie ausländische Währungen erwirbt. Das hat die Schweiz getan bis 2015.

Dann hob die SNB den Mindestkurs zum Euro auf, weil sie dessen Verteidigung als “nicht nachhaltig” befunden hatte. Im Klartext: Die SNB war besorgt um die Grösse ihrer Bilanz. Damals lagen in den Tresoren der Notenbank 560 Milliarden Franken. Heute sind es über 820 Milliarden – rund 120% der jährlichen Wirtschaftsleistung. Im Vergleich: 2007 waren es erst 18%!

Die Schweiz ist mit diesen Zahlen internationale Spitzenreiterin, wie folgende Grafik zeigt:

Grafik
swissinfo.ch
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Nicht einmal in Japan, wo QE seit 17 Jahren läuft, ist die Bilanz der Notenbank so gross. Es wäre deshalb erstaunlich, wenn die SNB in der nächsten Krise versuchen würde, die Wirtschaft mittels grossangelegtem QE zu stützen. Damit ist auch ein erneuter Mindestkurs vom Tisch. Orangensaft gibt es zur Katerbekämpfung auch keinen mehr.

Man hofft, der Kater wird nicht zu schlimm

Porträt
Stephanie Schmitt-Grohé, Wirtschaftsprofessorin an der Columbia University. Eileen Barroso / Columbia University

Wenn man sich bei Schweizer Ökonominnen umhört, ist die Meinung jedoch klar: Am besten die Zinsen tief lassen und hoffen, dass der Kater nicht schlimm wird. Das ist riskant: Kommt die Krise, könnte die Nationalbank nichts tun, um die Wirtschaft zu stützen. Arbeitslosigkeit wäre die Folge.

Einen möglichen Ausweg skizziert eine neue Theorie aus den USA. Die Ökonomin Stephanie Schmitt-Grohé (Columbia University) zeigt in mehreren Beiträgen**, dass eine Zinserhöhung zu einem Wirtschaftsaufschwung führen kann. Nach dieser Theorie lässt sich ein Kater vermeiden und gleichzeitig sicherstellen, dass für den Fall der Fälle Wasser bereitsteht.

Die Idee ist einfach: Wir alle bekommen auf unseren Bankkonten Zinsen gutgeschrieben, weil sich unser Geld durch Inflation über die Zeit entwertet. Die Zinsen entschädigen also für die Inflation. Erhöht man nun die Zinsen über eine längere Zeit, muss auch die Inflation steigen. Das führt über sinkende Reallöhne zu einem Wirtschaftsaufschwung. Und zu mehr Spielraum für künftige Zinssenkungen.

Ein Sprung ins Dunkel

Die Theorie funktioniert, wenn sich die Notenbank die Hände binden kann. Paradoxerweise verlangt der Vorschlag also, dass der Handlungsspielraum der Notenbank eingeschränkt wird. In diesem Fall wirkt sich das jedoch positiv aus. Der Grund: Die Nationalbank muss, gemäss Theorie, mindestens mittelfristig höhere Zinsen versprechen – komme was wolle. Wenn die Unternehmen nämlich glaubten, dass die Notenbank ihre anfängliche Zinserhöhung bald wieder rückgängig machte, träte der gegenteilige Effekt ein: eine Wirtschaftskrise. Dann müsste die Nationalbank hart bleiben, um die Firmen und Haushalte davon zu überzeugen, dass sie es ernst meint mit dem geldpolitischen Experiment.

Die Wirksamkeit einer Zinserhöhung hängt also davon ab, wie glaubwürdig die Nationalbank versprechen könnte, die Zinsen über eine längere Frist anzuheben. Ausprobiert wurde das noch nie. Es wäre – zugegeben – ein Sprung ins Dunkel.

Alles ist Wagnis

Eine Zinserhöhung durch die Nationalbank am Donnerstag wäre also ein gewagtes Unterfangen. Belässt die SNB die Zinsen jedoch bei -0.75%, riskiert sie, in der nächsten Krise nichts für die Wirtschaftslage tun zu können. Die schwachen Wachstumszahlen (- 0.2% im dritten Quartal) führen uns vor Augen: Abwarten ist ähnlich riskant, wie Vorausschreiten. Doch bei der Schweizerischen Nationalbank gilt derzeit: Alles ist Wagnis.

*Autor Fabio CanetgExterner Link ist Makroökonom an der Universität Bern.
Mit Unterstützung von Tamara Bischof, Janna Mock und Fabio Nay.

**Schmitt-Grohé, S., und M. Uribe (2017): “Liquidity Traps and Jobless Recoveries,” American Economic Journal: Macroeconomics, 165-204.

Stephanie Schmitt-Cohé erklärt ihre Theorie übrigens in diesem Video (englisch):

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