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Erster Schweizer Botschafter erlebt Japan im Umbruch

Paul Ritter, der erste Schweizer Botschafter in Japan in seinen späteren Jahren. zVg

Im späten 19. Jahrhundert entwickelte sich das rasch modernisierte Japan zu einem Militärstaat. Hautnah erlebte dies Paul Ritter. Für den jungen Diplomaten aus der neutralen Schweiz hatte sich Japan, das mit Reichtum und militärischer Stärke auftrumpfte, "sehr rasch zu einem modernen Staat entwickelt", wie er in Briefen an seine Eltern in Basel schrieb.

Seit 150 Jahren unterhalten die Schweiz und Japan diplomatische Beziehungen. Besonders die fast 200 sehr detailreichen Briefe von Paul Ritter geben einen lebhaften Einblick in diese Zeit des grossen Wandels. Er war 1892-94 Vizekonsul, 1895-1905 Generalkonsul und 1906 bis 1909 erster Schweizer Botschafter in Japan.

Ritter war damit nur wenige Jahrzehnte nach der so genannten Meiji-Restauration (genannt nach dem damaligen Kaiser), mit der sich Japan in die Moderne katapultiert hatte, für die Schweiz im Land der aufgehenden Sonne tätig.

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Paul Ritters Erinnerungsstücke

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Neben seinen offiziellen Berichten als Vizekonsul und Botschafter über die politische und wirtschaftliche Lage in Japan schrieb Ritter mindestens einmal monatlich einen persönlichen Brief an seine Eltern, die in seiner Heimatstadt Basel lebten. Die Nachkommen Ritters haben Briefe und Andenken wie etwa ein Selbstporträt als Familienerbstücke aufbewahrt. Sie bieten zum 150. Jahrestag der diplomatischen Beziehungen…

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In Kriegswirren

Ab Mai 1894 sollte sich der junge Ritter als Vizekonsul während zweier Monate ein Bild der wirtschaftlichen und sozialen Situation auf der koreanischen Halbinsel machen. Japan und China rangen damals um die Vorherrschaft in Korea.

Dort geriet er in den Donghak-Aufstand, der von koreanischen, chinesischen und japanischen Truppen unterdrückt wurde und schliesslich den Ersten Chinesisch-Japanischen Krieg auslöste. Die Kämpfe zwischen dem König mit seiner Bürokratie und dem Volk setzten Ritter zu. Er beschloss deshalb, zurück nach Japan zu fahren.

Doch sein Schiff konnte wegen schwerer Niederschläge in der Hafenstadt Incheon im Nordwesten Koreas einige Tage lang nicht auslaufen. Die Regenfälle interpretierte der junge Vizekonsul als Omen für die Zukunft Asiens, und er machte sich Gedanken über den Kampf zwischen China und Japan um die Kontrolle Koreas.

“Die Festung Seoul ist ganz im Besitz der Japaner, Chemulpo ebenfalls und immer schicken sie noch mehr Kriegsschiffe. Die Nahrung wird rar und die Koreaner haben eine blaue Angst”, schrieb er am 18. Juni 1894. “Ob sich China und Japan auf Koreas Boden bekämpfen werden ist ungewiss und kaum anzunehmen.” Ritter vermutete, dass die beiden Länder auf Kosten Koreas Frieden schliessen würden. “Ob so oder so, Korea muss in jedem Falle Haare lassen und zwar ein tüchtiges Bündel dieses Mal.”

Paul Ritter wurde 1865 in Basel geboren. Sein Vater war Besitzer eines Hotels.

Er studierte Recht in Basel, Göttingen, Jena, Leipzig und Paris.

1891 trat er ins Departement für auswärtige Angelegenheiten in Bern ein.

1892 wurde er Vizekonsul im neuen Schweizer Konsulat in Yokohama (Hafenstadt an der Bucht von Tokio), ab 1895 war er Generalkonsul.

Nachdem 1896 der erste “Freundschafts- und Handelsvertrag zwischen dem schweizerischen Bundesrathe und Seiner Majestät dem Taïkun von Japan” vom 6. Februar 1864 neu ausgehandelt worden war, verlieh die Eidgenossenschaft Ritter 1906 den diplomatischen Status eines Ministerresidenten. (Bis dahin war der Schweizer Konsul ausschliesslich im Namen der wirtschaftlichen Interessen des Landes in Japan tätig).

Noch im gleichen Jahr ernannte die Schweizer Regierung Ritter zum ersten bevollmächtigten Gesandten (Botschafter) in Japan.

1909 wurde er zum Schweizer Botschafter in den USA berufen, wo er in Washington während 8 Jahren tätig war.

Von 1917 bis 1920 war er der erste Botschafter der Schweiz in den Niederlanden

1921 starb Paul Ritter während eines Aufenthalts in Zürich an einem Schlaganfall.

(Quellen: Handbuch Schweiz – Japan, Historisches Lexikon der Schweiz)

Schliesslich erreichte er sicher den Hafen von Yokohama. “Hier ist es zwar auch nicht sehr rosig”, schrieb er am 26.7.1894. “Heiss wie seit 20 Jahren nicht mehr, dabei kein Regen, Feuersbrünste, Erdbeben, Seestürme, Wirbelwinde, Krieg, Pest und Cholera in China, für mich viel Arbeit und einen scheusslichen Hitzausschlag (Bibbeli).”

Er hasste den Krieg

Entgegen seiner Erwartungen verschlechterte sich die politische Situation zusehends. Am 1. August 1894, nachdem Japan den Königspalast in Seoul unter seine Kontrolle gebracht hatte, erklärten sich Japan und China den Krieg. Ritter spürte, dass sich die Kriegseuphorie über ganz Japan ausbreiten würde.

“Wir leben zur Zeit in ganz kriegerischem Lande”, schrieb er am 13. August 1894. “Wie Ihr wohl den Zeitungen entnommen haben werdet gilt die Sache Ernst. Die Japaner sind Feuer und Flamme und glauben sicher zu gewinnen. Man hört nur vom Krieg, immer vom Krieg.”

Ritter, der Japan, Korea, China und Russland von Besuchen her kannte, konnte die Lage objektiv einschätzen und die Vielzahl an Prinzipien und Ideen der verschiedenen Staatssysteme vergleichen. Daher fand er sowohl für die Haltung Japans wie auch für jene Chinas Verständnis.

Als Basler aber, in jener Stadt geboren, in welcher der Humanismus seine Wurzeln hatte, hasste er den Krieg und die Tatsache, dass Menschen anderen Menschen Leid zufügten.

Japan erzielte verschiedene Siege im Krieg. “Wenn dieser Krieg zu Ende sein wird, so wird ganz Japan den Grössenwahnsinn bekommen. Die Anzeichen kann man bereits jetzt bemerken”, berichtete Ritter in einem Brief vom 17. November 1894.

Zwar distanzierte er sich vom militarisierten Japan, doch das Land an sich liebte er immer noch. Seinen Eltern und Verwandten zeigte er das schöne Gesicht Japans und schickte ihnen in jenem Jahr “Neujahrsgeschenklein” wie japanische Briefmarken und Bilderbücher mit Ansichten des heiligen Berges Fuji.

Während des Sino-Japanischen Krieges (1894-95) pflegen Ärzte des Roten Kreuzes verletzte chinesische Soldaten in Guangzhou (Kanton). akg-images

Der Preis der raschen Modernisierung

Der grosse traditionelle Hofball wurde in jenem Herbst wegen des Krieges abgesagt. Auch die Bediensteten im Hause Ritter sprachen von nichts anderem mehr als von Politik und Krieg. Ritter spürte, wie sich die Freude am Krieg allmählich über ganz Japan ausbreitete.

“Die mächtige Freude am Kriege wird künstlich unterhalten und geschürt”, schrieb er am 2. Dezember 1894 in die Heimat. “Der Handel liegt darnieder, (…) das Geld wird rar, die Steuern werden höher und höher, (…) die Leute frieren und hungern und das alles für den Kriegsruhm.”

Im Januar übte der Konsul in einem Brief an die Eltern harsche Kritik an Japan. Es war kein normaler Brief, denn diesmal war er in sehr ernstem Ton gehalten. Im November 1894 hatten japanische Truppen im chinesischen Port Arthur ein Massaker an der Zivilbevölkerung und chinesischen Soldaten angerichtet, wie Journalisten von englischsprachigen Zeitungen berichteten.

Ritter war enttäuscht und wütend. “Die Greuelthaten von Port Arthur” hätten “dem erstaunten Europa unwiderleglich klar gemacht, (…) dass man unsere in Jahrhunderten ausgebildete und angelernte Civilisation sich nicht in 20 Jahren, wie es die Japaner sich einbilden es gethan zu haben, aneignen kann. Die Civilisation der Japaner ist etwas ganz oberflächliches, abgegucktes”, schrieb er am 18. Januar 1895.

“Es ist eine ganz verflixte Sprache, die man zuerst glaubt nie erlernen zu können”, schrieb Ritter am 28. Dezember 1892 an seine Eltern. “Fängt man aber an ein wenig zu sprechen und riskirt ein Sätzlein auszusprechen, von dem man glaubt kein Sterblicher könne es verstehen und man wird dennoch sofort verstanden, so bereitet das einem viel Vergnügen und man spickt sich neuerdings das Gehirn mit Vokabeln.”

Im gleichen Brief erzählte er, wie das Baseldeutsche “Ja” zu Verwirrung führen konnte: “In einer Beziehung erinnert das Japanische mich stets ans Baseldeutsche: ja (auf Baseldeutsch ausgesprochen) heisst im Japanischen nein, und da man in der Conversation alle Sprachen ein bisschen vermischt, so kommt es vor, dass wenn ich einem Schweizer antworte ‘ja’, er mich fragt, ‘ja = ja oder nein?’.”

Als Schweizer war Ritter natürlich mit der ersten Genfer Konvention des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) von 1864 “betreffend die Linderung des Loses der im Felddienst verwundeten Militärpersonen” vertraut.

“Japan ist in die Reihe der civilisierten Staaten eingetreten und hat sich vor denselben nun entehrt. Es hat die Genfer Convention gebrochen und die angenommenen Satzungen des ‘Rothen Kreuzes’ mit Füssen getreten und profaniert”, enervierte er sich im selben Brief.

Japan im Herzen

Kurz darauf verliess Ritter Japan. Er wurde noch im gleichen Jahr zum Generalkonsul in Japan befördert und reiste per Zug in etwa drei Wochen ins Land zurück. Als Anerkennung seines massgeblichen Anteils an der Entwicklung des Handels zwischen Japan und der Schweiz wurde er 1906 in den Status des “ausserordentlichen und bevollmächtigten Botschafters” erhoben. Somit war er der erste Schweizer Botschafter in Japan.

Japan gewann den Sino-Japanischen Krieg. Mit gemischten Gefühlen vertrat Ritter damals die Interessen der Schweiz in Japan, das sich weiter militarisierte. Trotzdem lebte er immer gern in Japan, wie seine Familie bestätigt.

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Als seine Enkel Chris Ritter (82) und Antoinette Baumgartner (78) geboren wurden, war Ritter bereits verstorben. “Unser Grossvater habe zwar viel von der Welt gesehen, erzählte unser Vater. Doch für Japan habe er besonders starke Gefühle gehegt”, erinnert sich Chris Ritter. “Drei Jahre nach seiner Ernennung wurde er Botschafter in Washington. Wie ich gehört habe, zügelte er alle seine Möbel von Japan in die USA.”

Auch Baumgartner erinnert sich gut an die Schilderungen. “Mein Grossvater liebte Japan sehr. Er fuhr gerne mit dem Fahrrad und scheint verschiedene Touren durch Japan gemacht zu haben. Seine grosse Sehnsucht war der Fuji. Gemeinsam mit deutschen Kollegen hat er diesen an einem Oktobertag bestiegen.”

Im Arbeitszimmer von Chris Ritter hängt ein grosses Porträt seines Grossvaters Paul Ritter. Dessen Blick ist nach vorne gerichtet und erweckt den Eindruck, dass Ritter trotz der turbulenten Zeiten, in denen er im Land tätig war, an eine gute Zukunft für Japan und die Schweiz glaubte.

(Übertragen aus dem Japanischen: Christian Raaflaub)

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