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“Englisches Essen ist viel besser als sein Ruf”

Auch wenn der Nordosten Englands Probleme mit Obdachlosigkeit, Drogenmissbrauch und Littering hat, gefällt es Stephanie Züger-Legler dort ausserordentlich gut. Die 35-jährige Auslandschweizerin schätzt die Warmherzigkeit der Einheimischen und das englische Schulsystem.

swissinfo.ch: Warum haben Sie die Schweiz verlassen?

Stephanie Züger-Legler: Ich bin vor drei Jahren mit meiner Familie aus beruflichen Gründen ausgewandert.

swissinfo.ch: Haben Sie vor, einmal wieder in die Schweiz zurückzukehren?

S.Z.-L.: Wir wollten eigentlich nur ein Jahr bleiben, ich war noch im Mutterschaftsurlaub. Der Nordosten Englands hat mich dann aber so fasziniert, dass ich auf unbestimmte Zeit verlängern wollte. Eine Rückkehr in die Schweiz bleibt immer offen, zum Glück.

Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten, unter anderem zum Gastland und über dessen Politik, sind ausschliesslich jene der porträtierten Person und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

swissinfo.ch: Welcher Arbeit gehen Sie nach?

S.Z.-L.: In England kennt man die Berufslehre und Fortbildung nicht wie in der Schweiz. Meine Qualifikationen als Kauffrau und Direktionsassistentin waren im Bewerbungsprozess wenig hilfreich. Ausserdem bin ich mittlerweile alleinstehend und habe keine Familie hier, die mich mit der Kinderbetreuung unterstützen könnte – das erschwerte die Jobsuche weiter.

Ich habe ungefähr 200 Bewerbungen geschrieben und gejobbt – als Barista in einem Buchladen, als Rezeptionistin und in einem Call-Center – bis ich endlich eine Stelle als Persönliche Assistentin an der Newcastle University gefunden habe. Einen Job, den ich liebe und in dem ich mich gerne weiter entwickeln will. Daneben studiere ich bei der Open University PPE (Politik, Philosophie und Wirtschaft).

Aber an erster Stelle kommt natürlich meine wunderbare Tochter, die im September 2017 mit der Schule begonnen hat. In England fängt im Jahr, in dem man fünf wird, die Schule an – da stehen auch schon Mathe, Lesen und Schreiben auf dem Lehrplan, aber auf eine sehr spielerische Art.

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swissinfo.ch: Wo leben Sie gegenwärtig?

S.Z.-L.: Mitten in Newcastle upon TyneExterner Link, ganz im Norden Englands. Zwischen den Hügeln Northumberlands und einer atemberaubenden Küste.

swissinfo.ch: Wie ist die Küche in Grossbritannien?

S.Z.-L.: Ich mag vor allem die Pubs, die vielen internationalen Restaurants und das Bier. Die lokalen Ales sind ein Genuss. Englisches Essen ist viel besser als sein Ruf – vor allem mit einem modernen Twist.

In Tynemouth an der Küste gibt es zum Beispiel ein kleines “Baracken-Restaurant”, das statt den herkömmlichen “Fish and Chips” köstliche aber dennoch einfache Fischkreationen mit lokal gefangenem Fisch und Meeresfrüchten zubereitet. Auch ein “Sunday Lunch” kann etwas Wunderbares sein.

swissinfo.ch: Was ist in Grossbritannien attraktiver als in der Schweiz?

S.Z.-L.: Der Nordosten Englands ist ziemlich arm, das spürt man natürlich, wir haben ein offensichtliches Problem mit Obdachlosigkeit, Drogenmissbrauch und Littering – ganz im Gegensatz zur sauberen, reichen Schweiz. Viele Hauser sind schlechter gebaut und isoliert. Das sind wahrscheinlich die grössten Unterschiede.

Dennoch ist es attraktiv, hier zu leben, in einem Mix aus Studenten und Migranten aus aller Welt und den herzlichen “Geordies”, wie man die Einheimischen hier nennt. Ich habe gelernt, dass man mit weniger manchmal mehr erreichen kann. Mir sagt das Schulsystem zu, von der Tagesstruktur profitieren Kinder, Eltern und Arbeitgeber, der Unterricht ist enthusiastisch, individuell und spielerisch.

Ausserdem schätze ich die Warmherzigkeit und das vielseitige Kulturangebot in Newcastle, speziell die vielen kostenlosen Angebote für Kinder. Dann sind da noch die Küste und die Natur Northumberlands mit einmaligen “Dark Skies” und manchmal sogar Nordlichtern.

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swissinfo.ch: Wie denken Sie aus der Ferne über die Schweiz?

S.Z.-L.: Mir wird immer wieder bewusst, welch Privileg es ist, in der Schweiz geboren und aufgewachsen zu sein. Die Schweiz sehe ich als Musterbeispiel für einen gut funktionierenden, demokratischen Staat mit relativ wenig Ungerechtigkeit und Bürokratie.

Genau so sehr wie mich das Leben als Schweizerin bereichert und geprägt hat, hat es mir jedoch gutgetan, aus der Wohlfühlzone auszubrechen und neue Wege zu finden. Ich bin dadurch psychisch stabiler geworden, habe weniger Zukunftsängste und Empathie für verschiedene Lebensumstände gewonnen.

swissinfo.ch: Wie ist die politische Lage in Grossbritannien, besonders jetzt nach dem Entscheid, die EU zu verlassen?

S.Z.-L.: Natürlich ist Brexit ein allgegenwärtiges Thema. Speziell im Norden ist jedoch auch die ungerechte Verteilung von politischer Mitsprache und Wohlstand zwischen den Klassen, aber auch zwischen dem Norden und dem Süden von Bedeutung.

Ich habe mich von der passiven Beobachterin zur aktiven Studentin der Politik gemausert. Mir liegt unter anderem das NHS (Nationales Gesundheitssystem, N.d.R.) am Herzen, das ich mittlerweile sehr liebgewonnen habe.

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swissinfo.ch: Nehmen Sie an Schweizer Wahlen und Abstimmungen teil?

S.Z.-L.: Ja, ich stimme regelmässig brieflich ab.

swissinfo.ch: Was vermissen Sie von der Schweiz am meisten?

S.Z.-L.: Meine Familie, den öffentlichen Verkehr, die Migros und zauberhafte Schneeabenteuer in Braunwald. Und die Verfügbarkeit von relativ günstigen, lokal produzierten frischen Lebensmitteln. Ach ja, und die Sauna – Nacktheit in nüchternem Zustand geht in England gar nicht. Darum kommen Sauna und Spa etwas zu kurz.

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