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Golf von Mexiko: BP wird Folgen zu tragen haben

Seit der Havarie von Deepwater Horizon weitet sich der Ölteppich im Golf schnell aus. Keystone

Die massive Ölverschmutzung, die von einer am 20. April explodierten Bohrinsel im Golf von Mexiko ausgeht, entwickelt sich schnell zu einem ökologischen Albtraum. In Florida, Louisiana, Alabama und Mississippi ist der Notstand ausgerufen worden.

Der Ölteppich breitet sich an der Küste von Louisiana aus. Bald dürfte er auch die Küsten von Mississippi, Alabama und Florida erreichen. Innert weniger Tage hat sich der Teppich um das Dreifache ausgedehnt.

Satellitenbilder zeigten am Sonntag eine Ölteppich-Fläche von fast 10’000 Quadratkilometer – rund einem Viertel der Fläche der Schweiz. US-Präsident Barack Obama ist am Sonntag in die Krisenregion geflogen – der Wirbelsturm “Katrina” hatte 2005 dieselbe Region verwüstet und dem damaligen Präsidenten Bush ein Politdesaster beschert.

Die Katastrophe dürfte multinationale Ökonzerne wie den Betreiber der betroffenen Bohrplattform, British Petroleum (BP) schwer treffen, glaubt der schweizerisch-niederländische Geologe Stephan M. Luthi.

Luthi ist Professor für Produktions-Geologie und steht an der Universität Delft der Geotechnologie-Abteilung vor. Vorher hatte er für die amerikanische Erdölexplorationsfirma Schlumberger Oilfield Services gearbeitet.

swissinfo.ch: Wie konnte so ein Unfall überhaupt passieren?

Stephan M. Luthi.: Wir wissen es nicht. Etwas ist geschehen auf dem Weg zwischen dem Ölvorkommen und der Plattform. Die Explosionsverhütung, also eine Reihe von Ventilen im Rohr bis zur Wasseroberfläche, hätte eigentlich auf jeglichen Überdruck reagieren sollen.

Doch es funktionierte nicht. Daraus resultiert in erster Linie das Risiko für die Umwelt. Zweitens lässt sich vermuten, dass entweder unter starkem Druck stehendes Öl oder eine Gas-Öl-Mischung unvermittelt nach oben drückte, dort explodierte und sich entzündete.

Wenn ein solcher Mix zur Oberfläche steigt, kommt es zu zahlreichen elektrischen Spannungen, und dann genügt ein Funken, um das Ganze hochgehen zu lassen.

swissinfo.ch: Die Offshore Ölsuche dringt in immer grössere Tiefen vor. Was für Gefahren ergeben sich da?

S.M.L.: Hochdruck, wie wir jetzt sehen. Aber im vorliegenden Fall im Golf stimmt es kaum: Das Bohrloch am Grund liegt etwa 1500 Meter tief unter Wasser, von wo es nochmals rund 5 km tiefer ging. Das entspricht nicht wirklich einer tiefen Bohrsituation.

Heute stösst man bis 9 km unter den Boden vor, und das in viel abgelegeneren Regionen als im Golf von Mexiko.

swissinfo.ch: Wie grosse dürfte der Umweltschaden langfristig ausfallen?

S.M.L.: Auch das ist schwierig einzuschätzen. Die Angaben, wieviel Öl wirklich ausfliesst, widersprechen sich. Zu Beginn sprach BP von rund tausend Barrel pro Tag, dann wurden 5000 daraus. Doch anscheinend wurden 7000 Barrel produziert, am Tag, als es geschah.

Demnach haben sie wohl Tests gemacht und in ein Ölvorkommen gebohrt, um zu schauen, wieviel sie überhaupt pumpen könnten, bevor sie mit der täglichen Produktion beginnen.

Diese Schätzung dürfte wohl realistischer sein. Aber die Ölmenge bleibt beträchtlich.

swissinfo.ch: Das in den Golf ausfliessende Öl ist leicht. Wie ist dies mit den Lecks zu vergleichen, die zu früheren Ölkatastrophen führten?

S.M.L.: Im Fall der Exxon Valdez floss schweres Rohöl aus, das Klumpen bildet und teigig ist. Leichtöl tritt viel schneller aus, verflüchtigt sich aber auch schneller. Es ist leichter brennbar. Man versuchte ja auch, es anzuzünden.

swissinfo.ch: Ist diese Methode nicht umstritten?

S.M.L.: Innerhalb von Ölsperrengebinden lässt es sich anzünden. Ich weiss nicht, ob diese Methode so umstritten ist, ich weiss aber auch nicht, ob es im vorliegenden Fall die geeignete Methode ist, weil es eh ein Flickwerk bleibt.

Das Leck zwischen Grund und Oberfläche sollte eben so schnell wie möglich gestopft werden. All das Behelfswerk auf der Wasseroberfläche scheint mir etwas aufs Geratewohl unternommen. Anscheinend verfügen die Leute im Golf nicht über die Hilfsmittel, die wir bei uns in der Nordsee haben.

swissinfo.ch: Weshalb? Im Golf wird ja sehr häufig nach Öl gebohrt. Weshalb gibt es keine Hilfsmittel für den Fall eines Lecks?

S.M.L.: Die Verantwortlichkeiten sind nicht klar geregelt. Muss der Staat eingreifen, oder die Küstenwache, oder die Genietruppen der Armee?

Dasselbe hatten wir bereits beim Hurrikan Katrina. Wer war verantwortlich für die Deichbauten? Wie sich herausstellte, war eine Behörde in einem Fall verantwortlich, eine weitere im zweiten Fall. Und da zwischen Behörden wenig koordiniert wurde, mag dies das Ganze noch verschlimmert haben.

swissinfo.ch: Hat die Sicherheit beim Offshore Bohren in den letzten Jahrzehnten zugenommen?

S.M.L.: Sehr stark. Einige behaupten sogar, dass die Mondlandung im Vergleich zu dem, was für das Tiefsee-Bohren aufgewendet worden ist, nur ein Kinderspiel gewesen ist.

Eigentlich passiert sehr wenig, wenn man die Unfälle aufzählt. Es ist darum schade, dass es nun zu dieser Katastrophe im Golf gekommen ist, denn die Sicherheitsbilanz der letzten zehn bis fünfzehn Jahre ist sehr gut gewesen.

swissinfo.ch: Wie gross ist das Potenzial für Offshore-Öl?

S.M.L.: Offshore-Erdölvorkommen sind kein Potenzial mehr, sondern ein Fakt. Die jüngsten Funde vor Brasilien beweisen dies. Dort bohren sie durch einige Kilometer Salz hindurch, was extrem schwierig ist.

Und darunter wurden, in grosser Tiefe, sehr bedeutende Ölvorkommen entdeckt.

Wahrscheinlich wird man dasselbe auch in Westafrika tun, weil diese Küste Afrikas das Spiegelbild jener in Brasilien darstellt.

swissinfo.ch: Wird dieser Unfall im Golf zu strengeren Auflagen für diese Art von Bohrungen führen?

S.M.L.: Das weiss man nicht. Die Küste von Louisiana ist äusserst kompliziert, mit all den sumpfigen Flussarmen und Sandbänken. So eine Region ist gegen eine Ölpest praktisch nicht zu schützen. Es gibt so viele Wege, einzudringen, und die Küste selbst ist derart weitgestreckt, dass es massive Eingriffe bräuchte.

Auch die Ökosysteme dort sind äusserst heikel. Es ist möglich, dass diese Ölpest Auswirkungen auf die Gesetzgebung haben wird. Doch die Gesetze bezüglich Offhore- und Tiefsee-Bohrungen sind bereits sehr strikt.

Teilweise belässt diese Regulierung die Verantwortung auch den Unternehmen. Keine der Erdölfirmen nimmt dies auf die leichte Schulter, da wohl bekannt ist, was auf dem Spiel steht.

BP wird wohl in vielerlei Hinsicht bestraft werden. Zum Beispiel, was die künftigen Konzessionen (Bohr-Erlaubnisse) betrifft, was die Orte betrifft, wo BP bohren darf, und wie BP bezüglich Sicherheitsvorschriften kontrolliert werden wird.

Auch wird die Reputation von BP grossen Schaden nehmen.

Die internationalen Erdöl-Multis haben ein grosses Problem. Sie haben zu wenig Zugang zum Öl, nur zu rund 15% der bekannten Vorkommen, was eigentlich einer Nische entspricht. Die restlichen 85% sind für die nationalen Ölfirmen reserviert.

Deshalb müssen die Internationalen Erdöl-Firmen in risikoreichen Regionen bohren, zum Beispiel in der Tiefsee.

Der ganze Druck liegt also auf ihnen. Sie sind auf ihre Nische eingeengt, in der sie sich hervor tun müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Interview: Dale Bechtel, swissinfo.ch

(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

Der Ölteppich im Golf von Mexiko droht sich zu einer der grössten Umweltkatastrophen der USA auszuwachsen.

Bisheriger ‘Höhepunkt’ war 1989 das Öl-Schiff “Exxon Valdez”, das vor der Küste Alaskas auf ein Riff auflief. Der US-Kongress schränkte daraufhin die Öl-Schifffahrt vor der Küste Alaskas ein.

Der immer noch wachsende Teppich im Golf hat eine Länge von schätzungsweise mehr als 200 Kilometern und ist rund 110 Kilometer breit. Knapp 800’000 Liter Öl laufen pro Tag ins Meer.

Schlimmstenfalls könnten es bis zu 15,9 Mio. Liter pro Tag werden, sagte Innenminister Ken Salazar am Sonntag.

Zum Entsetzen vieler Anhänger hatte Obama erst kürzlich Tiefseebohrungen zur Öl- und Gassuche gebilligt.

Diese sind nun aber erst einmal ausgesetzt worden.

Gemäss Stephan M. Luthi war die Deepwater Horizon dafür vorgesehen, in Tiefsee-Sand zu bohren.

Das sind geologische Schichten, die als ölreich bekannt sind. Der Sand wurde durch Strömungen angeschwemmt, ähnlich wie Lawinen, die sich vom abfallenden Kontinentalschelf lösten und bis in den flachen Tiefseeboden rutschten.

Die Bohrinsel, auf der sich der Unfall ereignete, konnte technisch Wassertiefen von bis zum 2400 Meter bewältigen, und wies eine maximale Bohrfähigkeit von 9100 Metern auf.

Sie hatte Platz für 130 Arbeiter. Sie lag halb unter Wasser über dem Bohrort, hatte Pontone und vier zur Hälfte unter Wasser befindliche Säulen.

Die Plattform war also nicht am Grund festgemacht.

Sie gehörte dem Transocean Offshore Erdölbohr-Unternehmen.

Transocean ist das weltgrösste Offshore Bohrunternehmen.

Gegründet in den USA, hat es seinen Hauptsitz seit 2008 in Zug.

Weltweit betreibt das Unternehmen 138 mobile Bohrplattformen und beschäftigt 20’000 Mitarbeitende.

Seine Kunden sind internationale Energieunternehmen, nationale Ölfirmen und unabhängige Kontraktoren.

Transocean arbeitet sowohl im Öl- als auch im Gas-Bereich, im Golf von Mexiko, Ostkanada, Brasilien, Nordsee, Westafrika, Asien, und natürlich im Nahen Osten.

Im Fall der Ölkatastrophe vor Louisiana hat BP als Betreiber der Plattform die Verantwortung übernommen und Kompensationen versprochen.

Auch US-Präsident Obama hat BP als letztlich verantwortlich bezeichnet.

swissinfo.ch

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