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Ärger mit Einkaufstouristen: ein politischer Dauerbrenner

Autoschlange am Zoll in Basel
Drei von zehn Schweizer Bürger fahren zum Einkaufen regelmässig nach Deutschland, wo die Preise niedrig sind und sie die Mehrwertsteuer geschenkt bekommen. Keystone

Für Schweizer Grenzregionen ist der Einkaufstourismus eine Plage. Während die Nachbarländer, wo in Grenznähe immer mehr Einkaufszentren entstehen, wenigsten viel Geld mit den helvetischen Schnäppchen-Jägern machen, hat die Schweizer Seite nur Nachteile: Verstopfte Strassen, Lärm, Abgase und Mindereinnahmen in den Läden. Ihre Interessenvertreter fordern, dass die Landesregierung endlich einschreitet.

Fast 70% der Schweizer Bevölkerung kauft ab und zu im Ausland ein, 40% davon regelmässig. Der geschätzte Verlust für Schweizer Geschäfte wird sich bis Ende Jahr auf mehr als  neun Milliarden Franken belaufen. Der Einkaufstourismus hat laut einer Studie der Universität St. Gallen in jüngster Zeit zwar personenmässig leicht ab-, aber wertmässig um rund 10% zugenommen. Der Grund: Die Ausland-Shopper fahren etwas weniger oft über die Grenze, kaufen aber mehr ein.

Der wichtigste Grund für das Shoppen im Ausland sind niedrigere Preise. Mit dem nördlichen Nachbarland wird dieser Tourismus zusätzlich durch die deutsche Zoll- und Steuerpolitik begünstigt. 

Die Schweizer Konsumenten können sich nämlich die auf ihren Einkäufen erhobene Mehrwertsteuer von 19% bei der Rückkehr in die Schweiz am deutschen Zoll gleich wieder zurückerstatten lassen, selbst wenn sie nur für ein paar Euro einkaufen. Anders als in den anderen Nachbarländern gibt es in Deutschland dafür keine Bagatellgrenze. Dort wird die Mehrwertsteuer selbst dann zurückerstattet, wenn nur für ein paar Euro eingekauft wird. In Frankreich ist dies erst ab 175 Euro möglich, in Italien ab 155 und in Österreich ab 75. 

Und bis zu einem Betrag von 300 Franken pro Person werden  die Ausland-Shopper auch von der Schweiz nicht besteuert. 

Allianz der Grenzgemeinden 

Inzwischen haben sich Schweizer Grenzgemeinden zu einer Allianz zusammengeschlossen.

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Die Grenzstädte haben genug

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Hohe Preise in der Schweiz treiben Konsumentinnen und Konsumenten ins grenznahe Ausland. Nun wollen Grenzstädte den Einkaufstourismus bekämpfen.

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Schirmherr dieses “Netzwerks Grenzgemeinden” ist Hannes Germann. Der Präsident des Schweizerischen Gemeindeverbands ist auch Ständerat des Kantons Schaffhausen, wo vier Fünftel der Kantonsgrenze auch Landesgrenze sind.

“Der direkte Nachteil ist einerseits der Verkehr, insbesondere auch der Umgehungs- und Schleichverkehr durch die Gemeinden, und andererseits die Abwanderung der Kaufkraft. Das schwächt den hiesigen Detailhandel und kostet Arbeitsplätze”, sagt der Schaffhauser Standesvertreter der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Die Landesregierung müsse sich der schwierigen Situation endlich bewusst werden, sagte er am Mittwoch in der kleinen Parlamentskammer zur Begründung seines politischen Vorstosses.Externer Link 

“Die deutsche Seite tut immer so, als würde sie enorm unter dem Einkaufstourismus leiden, unternimmt aber politisch alles, um Schweizer Kunden anzuziehen und von deren Kaufkraft zu profitieren.” Als jüngstes Beispiel für seine Behauptung erwähnt er den kleinen deutschen Ort Küssaberg am Grenzübergang zum schweizerischen Bad Zurzach, wo die personellen Kapazitäten zur Abwicklung der Mehrwertsteuer-Rückerstattung um 50 Stellen ausgebaut würden.

Alle sollen Mehrwertsteuer bezahlen

Im Kampf gegen den Einkaufstourismus hat Germann vor allem die “Ungerechtigkeit” mit der Mehrwertsteuer im Visier. “In der Schweiz wie in Deutschland müssen alle Mehrwertsteuern bezahlen, nur dem Schlaumeier mit der ‘Geiz-ist-geil-Mentalität’, der im Ausland einkauft, wird sie geschenkt. Das ist störend, zumal nicht alle die Möglichkeit haben, für ihre Einkäufe ins Ausland zu fahren.” Deshalb fordert die Allianz der Grenzgemeinden, dass die Wertfreigrenze – der Betrag, zu dem steuerfrei im Ausland eingekauft werden darf – von heute 300 auf 50 Franken gesenkt werde. Das würde – zeigt die erwähnte St. Galler Studie – rund einen Viertel der Befragten davon abhalten, Einkäufe im Ausland zu tätigen.

In der Vergangenheit zeigte die Regierung für solche Forderungen wenig Musikgehör. Sie hätten einen grossen administrativen Aufwand für den Zoll zur Folge, begründete sie ihre ablehnende Haltung jeweils. Bundesbern lasse die Grenzgemeinden aber nicht im Stich, sondern unterstütze sie im Rahmen regionalpolitischer Massnahmen.

Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann, der den wachsenden ökonomischen Schaden des Einkaufstourismus ebenfalls bedauert, signalisierte am Mittwoch in seiner Antwort zu Germanns Vorstoss immerhin Bereitschaft, das Anliegen erneut zu prüfen. Grundsätzlich seien Regulierungen aber der falsche Weg. Stattdessen müsse die Ursache – die grosse Preisdifferenz – bekämpft werden.

Das Thema bleibt auf der politischen Agenda. Eine MotionExterner Link von Germanns Parteikollege Werner Hösli mit der Forderung, die Wertfreigrenze zu senken, kommt bereits im Frühjahr aufs Tapet.

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