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Trotz Unsicherheiten investieren Schweizer in Mexiko

Mexiko bereitet sich auf Präsidentschaftswahlen vom 1. Juli vor. Reuters

Für die Aussenhandelspolitik der Schweiz in Lateinamerika wird Mexiko zu einem der wichtigsten Schwerpunktländer. Die Unternehmen müssen jedoch Unsicherheit und Drogenkriminalität als Teil ihrer Kosten in Kauf nehmen.

2001 ist zwischen den beiden Ländern ein Freihandelsvertrag in Kraft getreten – mit einem noch unausgeschöpften Potential für kleine und mittlere Unternehmen (KMU).

swissinfo.ch unterhielt sich mit dem Schweizer Botschafter in Mexiko, Rudolf Knoblauch, über die Interessen und Beziehungen zwischen der Schweiz und dem lateinamerikanischen Kontinent.

swissinfo.ch: Die Schweiz hat mit der Europäischen Union (EU) unzählige Abkommen und mit anderen Ländern über 25 Freihandelsverträge unterzeichnet. Wie würden sie die Beziehungen der Schweiz zu Lateinamerika charakterisieren?

Rudolf Knoblauch: Unsere Beziehungen zu Lateinamerika begannen lange vor dem Zweiten Weltkrieg. Sie sind gut, könnten aber enger sein. Mit Asien sind unsere Handelsbeziehungen dynamischer. Schweizer Exporte nach Lateinamerika beschränken sich auf das Traditionelle: Grossunternehmen exportieren gut, doch die KMU sind zu schwach vertreten.

swissinfo.ch: Der Aussenhandel zwischen der Schweiz und Lateinamerika hat in den vergangenen Jahren mit einigen Ländern um über 20% zugenommen. Wenn wir jedoch den Markt von 600 Millionen potentieller Konsumenten berücksichtigen, so ist das Gesamtvolumen äusserst bescheiden. Worauf ist dies zurückzuführen?

R.K.: Meines Erachtens gibt es zwei wichtige Faktoren. Einerseits hat Asien mit China und Indien zwei ausserordentliche Volkswirtschaften, die verlorene Zeit aufholen wollen. Deshalb ist deren Nachfrage beeindruckend. 

In Lateinamerika gibt es dieses Phänomen nicht, dafür aber Volkswirtschaften, die schlechter dastehen als vor 20 Jahren. Gegenwärtig haben Länder wie Brasilien, Peru und Kolumbien das grösste Wachstumspotential.

Andererseits hat Lateinamerika immer mit politischer Unsicherheit gelebt . Zudem schauen Länder wie Mexiko zuerst in Richtung USA.

swissinfo.ch: 2001 trat zwischen der Schweiz und Mexiko ein Freihandelsabkommen in Kraft. Wie steht es mit der Handelsbilanz der letzten 10 Jahre?

R.K.: Ich glaube, dass die Möglichkeiten dieses Abkommens nicht ausgeschöpft werden und viel mehr erreicht werden könnte. Ich treffe häufig mit Schweizer und mexikanischen Unternehmern zusammen, die von diesem Vertrag nicht die geringste Ahnung haben.

swissinfo.ch: Die Schweiz exportiert nach Mexiko u.a. chemische und pharmazeutische Produkte, Uhren und Maschinen und importiert von dort Perlen, raffiniertes Blei und Maschinen. Welche Wirtschaftssektoren haben kurz- und langfristig für beide Länder das grösste Potential?

R.K.: Die Schweizer Pharmaindustrie ist präsent, doch ich glaube, dass es für KMU noch viele interessante Möglichkeiten gibt. Auch für grüne Technologien, wo die Schweiz über ein grosses Know-how verfügt, gibt es Chancen.

Weitere Möglichkeiten bestehen im Bergbau, wo Mexiko eine lange Tradition hat; im Transportsektor sowie im Engineering für Design, die Herstellung und Wartung von Maschinen sowie für das Bau- und Kommunikationswesen.

swissinfo.ch: Die Marktnischen bestehen, doch Lateinamerika ist ein Selbstbedienungsladen für Wirtschaftspolitiken. Einerseits gibt es neoliberale Länder wie Mexiko, andererseits protektionistische wie Venezuela und Bolivien. Wie kommen Schweizer Unternehmen mit der Tatsache zurecht, dass bei Regierungswechseln die Spielregeln ändern?

R.K.: Ich habe in Argentinien, Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern gelebt. Politische Wechsel und nationalistische Tendenzen sind immer gegenwärtig. In Argentinien gab es schon alles. Es ist unmöglich zu sagen, was besser ist.

Länder wie Brasilien und Argentinien, die einige Wirtschaftssektoren abgeschottet haben, verzeichnen ein eindrückliches Wachstum. Mexiko hat auf ein anderes Wirtschaftsmodell gesetzt und im Allgemeinen gute Erfahrungen gemacht: Sein Wirtschaftswachstum ist höher als jenes europäischer Länder, doch im Vergleich zu Ländern der Region nur mittelmässig.

Ein Unternehmer pflegt mehr Vertrauen in ein Land wie Mexiko zu haben, wo er auf die Kontinuität der Wirtschaftspolitik zählen kann. Es ist kein Zufall, dass Peru und Kolumbien, die ebenfalls auf eine Handelsöffnung setzten, heute Erfolg haben.

swissinfo.ch: In Mexiko finden am 1. Juli Wahlen statt. Wie würden Schweizer Unternehmer im Falle eines Linksrutschs reagieren?

R.K.: Ich glaube nicht, dass es zu diesem Rutsch kommt. Sollte einer der beiden rechtsgerichteten, aber neoliberalen Kandidaten (Josefina Vásquez Mota oder Enrique Peña Nieto) siegen, so würde sich das Wirtschaftsmodell nicht ändern.

Auch wenn der sozialistische Kandidat Andrés Manuel López Labrador gewinnen sollte, glaube ich nicht an eine radikale Änderung der mexikanischen Wirtschaftspolitik.

swissinfo.ch: Wie gehen Schweizer Unternehmer die Probleme des Drogenhandels und der Unsicherheit an?

R.K.: Das sind Probleme, die in den vergangenen Jahren stark zugenommen haben und teils auf die seit 2006 verfolgte Politik der gegenwärtigen Regierung zurückzuführen sind. Doch dies beunruhigt Unternehmer nicht gross.  

Für in Mexiko tätige Schweizer Firmen gehört Unsicherheit zu den Kostenfaktoren. Ein Unternehmer sagte mir einmal: “Vor zwei Jahren habe ich zwei mit Waren beladene Lastwagen verloren, nun sind es fünf.” Die Verluste werden mit den Kosten verrechnet, und niemand verzichtet deshalb auf eine Investition. 

Sicher ist es beunruhigend, dass es jährlich wegen Drogenkriminalität zwischen 12´000 – 13´000 Tote gibt. Es ist jedoch wichtig anzufügen, dass dieses Problem im Zentrum und Süden des Landes nicht besteht. Im Norden gibt es die meisten Konflikte, wichtige Städte wie Monterrey sind am meisten betroffen. 

Manchmal ist es für Unternehmer schwieriger, mit der Bürokratie zurechtzukommen. In den Schlagzeilen der europäischen Presse werden immer nur die Schwierigkeiten Mexikos und unerfreuliche Nachrichten publiziert, das Land ist aber ein aussergewöhnlicher Markt. Schweizer Unternehmen, welche die Grundregeln einzuhalten wissen, können hier gute Geschäfte machen, und zwar ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

Die OSEC, das Kompetenzzentrum für Schweizer Aussenwirtschaft, hat am 29. Mai 2012 eine Vertretung in Mexiko eröffnet. Sie wird von Rúben Díaz Araiza geleitet.

Hauptziel ist, für die KMU der Schweiz und Liechtensteins auf dem mexikanischen Markt neue Geschäftsmöglichkeiten zu finden.

Eine engere Zusammenarbeit mit Mexiko gehört für die OSEC zu den strategischen Zielen der nächsten Jahre.

Seit 2001 besteht zwischen Mexiko und der Europäischen Freihandelsorganisation (EFTA), welcher die Schweiz, Liechtenstein, Island und Norwegen angehören, ein Freihandelsvertrag. 

Weiter bestehen zwischen der Schweiz und Mexiko: 

– ein bilaterales Abkommen über den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen (2001) 

– eine Absichtserklärung über Handels- und wirtschaftliche Zusammenarbeit (1998) 

– ein Abkommen zur Förderung und gegenseitigem Schutz von Investitionen (1996) 

Der bilaterale Handelsaustausch verzeichnet einen Überschuss zugunsten der Schweiz. 

Die Ausfuhren der Schweiz nach Mexiko beliefen sich im vergangenen Jahr auf 1,3 Mrd. Franken und diejenigen Mexikos in die Schweiz auf ungefähr 570 Mio. Franken.

  

Die Schweiz verkauft Mexiko Maschinen, chemische und pharmazeutische Erzeugnisse sowie Elektro- und Luxusartikel. 

Mexiko verkauft der Schweiz chemische Produkte, Maschinen, Metalle sowie land- und forstwirtschaftliche Güter.

Er wurde 1951 in Aarau geboren. An der Universität St. Gallen hat er in Nationalökonomie doktoriert.

Er hat die Schweiz bei verschiedenen internationalen Organisationen vertreten (OECD, WTO).

Seine diplomatische Laufbahn führte ihn u.a. nach Venezuela, Nigeria, Benin, Tschad, Ecuatorial-Guinea und Indien.

Der Kenner Lateinamerikas ist Rudolf Knoblauch seit dem 22.Januar 2001 Botschafter in Mexiko.

(Übertragung aus dem Spanischen: Regula Ochsenbein)

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