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Hans Hiltebrand, ein Schweizer Goldpilot in St. Moritz

WM-Pokal Nr. 2: Hans Hiltebrand (vorne rechts) gewinnt 1987 in St. Moritz mit Urs Fehlmann, Erwin Fassbind und André Kiser Gold im Vierer. Keystone

Ein Weltmeistertitel auf dem Olympia Bobrun von St. Moritz: Dies ist der Traum eines jeden Schweizer Bobpiloten. Für Hans Hiltebrand ging dieser Traum in Erfüllung, 1977 im Zweier und zehn Jahre später im Viererbob.

Die Strecke ist 1722 Meter lang, weist bei 129 Meter Höhendifferenz ein durchschnittliches Gefälle von 8,1 Prozent auf und katapultiert die Schlitten auf irrwitzige Tempi von bis zu 150 Sachen.

Ob Spitzenpilot oder zahlender Gast: Wer sich den Eiskanal des Olympia Bobruns von St. Moritz nach Celerina hinunter stürzt, dem schiesst das Adrenalin ins Hirn.

Die ersten, welche diesen Kick im Oberengadin suchten, waren vermögende Wintergäste aus Grossbritannien, dem Mutterland des Bobsports. Der findige Hotelier Alphonse Badrutt erkannte das Potenzial eines solchen Nervenkitzels und liess Geld springen.

1904 sauste der erste Schlitten den Eiskanal hinunter. Damit ist der Olympia Bobrun nicht nur die älteste der 14 Bahnen der Welt, sondern auch die einzig noch betriebene Natureisbahn.

Mit den Schönen und Reichen

Und wie im Fürstentum sorgen auch Schöne und Reiche für Glamour am Rand des Oberengadiner Eiskanals. Dafür sorgte etwa Playboy und Fotograf Gunter Sachs, selber langjähriger Präsident des lokalen Bobclubs. Oder Fürst Albert von Monaco, als Pilot gar selbst fünfmaliger Teilnehmer an Olympischen Spielen.

Die Bobs von heute sind Hightech-Boliden, die mit den vorsintflutlichen Gefährten von damals kaum mehr etwas gemein haben ausser den Kufen. Die Strecke durch den Arvenwald jedoch ist praktisch dieselbe geblieben. Horse Shoe und Nash/Dixon sind Schlüsselstellen mit Kultcharakter, wie die Rascasse oder Sainte Devote auf dem Monaco-Rundkurs.

Der anspruchsvolle Run wurde in der Folge zu einer Art Eismaschine, die Schweizer Sporthelden quasi im Saisontakt produzierte. Etwa Hans Hiltebrand, der 1977 mit Bremser Heinz Meier zu WM-Gold raste.

Wiege von Schweizer Gold

Zwei Gründe sind es, weshalb dem heute 64-jährigen Zürcher Elektriker sein erster grosser Titel in besonderer Erinnerung geblieben ist. “Es war der erste Schweizer WM-Titel im Zweier seit 22 Jahren gewesen. Und ich gewann, obwohl Teamkollege Fritz Lüdi und die Piloten aus der damaligen DDR die grossen Favoriten waren.”

Zehn Jahre später konnte Hans Hiltebrand in St. Moritz nachdoppeln, diesmal im Vierer. Erich Schärer, Ralph Pichler, Silvio Giobellina, Gusti Weder, Reto Götschi und zuletzt 2007 Ivo Rüegg wurden zu Nachfolgern Hiltebrands; sie alle entliess der St. Moritzer Olympia-Bobrun mit Weltmeister-Lorbeer.

Das Natureis der St. Moritzer Bahn stellt die Piloten vor besondere Herausforderungen. “Das Eis ist rauer als bei den Kunsteisbahnen, es schlägt und poltert mehr”, sagt der zweifache Ex-Weltmeister.

Bis in die 1970er-Jahre seien die einheimischen Piloten mit diesen Verhältnissen besser zurecht gekommen. “Wer St. Moritz beherrscht, kann überall bestehen”, beschreibt Hiltebrand das damalige Credo der Schweizer Bobfahrer.

Mehr Toleranz bei Kurveneinfahrt

Weil die Bahn zudem in jedem Winter anders sei, müssten sich die Piloten immer neu darauf einstellen. Dennoch bezeichnet der Zürcher den Olympia Bobrun als “sehr fair”. Einerseits wegen des grösseren Kurven-Querprofils. “Piloten können die Kurven auf einem Band von 50 Zentimeter Breite ansteuern. Auf einer Kunsteisbahn beträgt die Spanne nur 10 bis 15 Zentimeter, sie müssen also viel präziser fahren.”

Für Chancengleichheit sorgt andererseits auch die vielgerühmte Engadiner Sonne. “Oft wird es gegen Mittag wärmer, und das Eis dadurch schneller. Von diesem Vorteil können die schwächeren Teams mit den höheren Startnummern profitieren”, plaudert Hiltebrand aus der Piloten-Schule.

Der urchige Charakter des St. Moritzer Eiskanals wurde zudem durch bauliche Anpassungen gemildert. Wegen der immer schneller werdenden Schlitten und der stärker werdenden Fliehkräfte wurden die Radien einiger Kurven vergrössert.

Einmal Bobfieber, immer Bobfieber

Drei respektive zwei Dekaden nach seinen grossen Triumphen hat die Bahn von St. Moritz für Hiltebrand nichts von ihrer Faszination eingebüsst; keine Weltmeisterschaft oder Weltcup-Konkurrenz im Engadin, die nicht ohne den Zürcher über die Bühne geht. “Ich spüre manchmal schon noch ein Kribbeln, einen dieser schönen Bobs zu pilotieren. Dennoch bin ich froh, kann ich es heute gemütlicher nehmen und abends mit meinen Kollegen Erinnerungen austauschen.”

Hiltebrand ist aber mehr als ein Nostalgiker. Seine immense Erfahrung im Eiskanal hat er von 1998 bis 2004 als Sportchef des Schweizer Bobverbandes an die jüngeren Piloten weitergegeben. Seit letztem ist er Berater des kanadischen Ex-Olympiasiegers und -Weltmeisters Pierre Lueders.

Renat Künzi, swissinfo.ch

Während seiner über 100-jährigen Geschichte war der Olympia Bobrun St. Moritz-Celerina Austragungsort an zwei Olympischen Winterspielen (1928 und 1948).

Der Oberengadiner Eiskanal war zudem Schauplatz von 22 Weltmeisterschaften (18 im Bob, 3 im Skeleton und 1 im Rennrodeln).

Letztes Highlight war die Bob-WM 2007, als der Vierer von Pilot Ivo Rüegg den Titel holte.

Die Bahn von St. Moritz ist zudem fixer Bestandteil des Weltcup-Kalenders der Disziplinen Zweier-und Viererbob, Skeleton und Rennrodeln.

2012 wird St. Moritz erneut Austragungsort der Bob- und Skeleton-WM.

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