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Neues Olympisches Museum als digitales Disneyland

Fussballer von Niki de Saint Phalle begrüssen die Besucher des Olympischen Museums in Lausanne. AFP

Pünktlich vor den Winterspielen 2014 in Sotschi ist in Lausanne nach über zweijähriger Umbauzeit das Olympische Museum wieder eröffnet worden. Es dominiert Hightech-Zelebrierung der ruhmreichen Geschichte, die aktuelle Sinnkrise von Olympia hat keinen Platz.

Das aufwändig umgestaltete Gebäude am Ufer des Genfersees nennt sich immer noch Museum. Treffender aber wäre die Bezeichnung Tempel zur Ehre der Olympischen Spiele, modelliert in der Art eines digitalen Diseneylands.

1992 gebaut, huldigte das Museum ursprünglich der olympischen Geschichte, und zwar in chronologischer Folge.

Die Renovierung, welche die stolze Summe von 55 Mio. Franken verschlang, ist jetzt nach mehr als zwei Jahren abgeschlossen. Seine Wiedergeburt feiert das Museum als olympische Zeitmaschine, vollgestopft mit neuester elektronischer Technologie.

So ermöglichen 3D-Bilder (dreidimensional) den Besuchern, hautnah die originalen olympischen Spiele der alten Griechen mitzuerleben. Und einem mentalen Kaleidoskop von Gründer Baron Pierre de Coubertin entspringen die Ideen zur Geburt der Olympischen Spiele der Neuzeit.

Die Bilderflut ist überwältigend, manchmal sogar leicht kitschig – etwa dann, wenn Regentropfen an das Fenster von de Coubertins Studierzimmer prasseln. Aber so sollen Sinne und Emotionen der Gäste geweckt werden.

Totales Eintauchen

Herz des Gebäudes ist ein halbrunder Raum, in dem Bildschirme ein Mosaik von Helden zeigt, bevor sie zu ihren grossen olympischen Taten aufbrechen.

“Mit dieser Technik des völligen Eintauchens befinden wir uns mitten in den Köpfen der Athletinnen und Athleten, und wir laden die Besucher ein, deren Gefühlswelt zu teilen”, erklärt Kurator Frédérique Jamolli, während die Begriffe “Wollen”, “Entschlossenheit” und “Dies ist mein Tag” über den Bildschirm laufen. Die dazugehörige Musik dröhnt wie ein Porsche-Motor.

“Die Menschen kommen wegen der Emotionen zu uns”, sagt Museumsdirektor Francis Gabet. Das Konzept sei bewusst so gewählt worden. Befürchtungen, dass Hightech in den Mittelpunkt rücke, hegt er keine. Vielmehr hält er die Bilder für mächtig genug, um für sich zu sprechen. “Wir wollen, dass die Besucher die Erde, das Gras und die Spannung förmlich spüren können”, so Gabet.

Lausanne ist seit 1915 Sitz des Internationalen Olympischen Komitees, als der Franzose Pierre de Coubertin, der Gründer der Olympischen Spiele der Neuzeit, diesen von Paris an den Genfersee zügelte.

Die Farben der fünf olympischen Ringe sind jene der Landesflaggen der ersten Mitgliedstaaten von 1914.

Das IOC zählt aktuell 204 nationale Landesverbände, das ist mehr als die UNO aufweist.

Nach exaktem Drehbuch

Ähnlich wie im Guggenheim Museum in New York startet der Besucher in Lausanne zuoberst im dreigeschossigen Bau und geht in Spiralen durch die Ausstellung hinunter. “Wir gingen wie bei einem Film vor und erstellten ein Drehbuch, das für jedes Thema eigene Szenarien enthielt”, fährt Francis Gabet stolz fort.

Dabei wurden die Stockwerke zu Themen-Geschossen. “Wir müssen zeigen, dass das olympische Abenteuer den Athleten gehört, dass sie aber nicht alleine sind”, so Kurator Frédérique Jamolli.

In der ersten Abteilung wird auch die Kreativität von Architekten, Gestaltern, Designern, Planern und Künstlern gefeiert, die jeweils mithelfen, den Spielen einen einmaligen Rahmen zu geben.

Abwesende weisse Elefanten 

Die so genannten weissen Elefanten aber, die teuren Sportanlagen, die nach der zweiwöchigen Gala oft verfallen, weil deren Unterhalt für die Öffentlichkeit zu viel Geld verschlingen würde, kommen in Ausstellung nicht vor. Ebenso wenig ist die Rede von den riesigen Finanzlöchern, welche die Bevölkerung der Austragungsorte oft noch über Jahre hinweg zu stopfen hat.

Das nächste Stockwerk ist den “Olympischen Spielen” und den herausragenden Sportlern gewidmet, die den Grossanlässen jeweils erst den strahlenden Glanz verleihen. Auch die Geschichten von den Ausrüstungen und Sportgeräten werden erzählt. Filmsequenzen lassen die historischen Momente noch einmal aufleben.

“Hier können die Wettkämpfe real nacherlebt werden”, sagt der Kurator.

“Olympischer Geist” ist der Titel der dritten Sektion. Der Fokus liegt auf den “Zutaten”, die aus einem Athleten oder einer Athletin olympische Champions machen. Ethische Probleme werden hier keineswegs ausgeblendet.

“Wir möchten zeigen, dass die olympische Bewegung nicht nur aus den Spielen besteht, sondern auch eine Linse zur Beobachtung der Gesellschaft ist”, streicht Frédérique Jamolli den soziologischen Aspekt heraus.

Der Blick hinter die Kulissen von Olympia zeigt nicht nur die physiologischen und mentalen, sondern auch die ernährungstechnischen Vorbereitungen der Sportler für den nur alle vier Jahre stattfindenden Höhepunkt. Hier tauchen Namen von Herstellern wie Findus oder Tescos auf. Daneben finden sich innovative Materialien, die halfen, die Leistungen in neue Sphären zu bewegen. Wie etwa Alu oder Fiberglas, das im Stabhochsprung Bambus ablöste. Oder Spikes als Hightech- Weiterentwicklung der alten Stachelschuhe für die damaligen Aschenbahnen. 

Aber was ist mit den illegalen Mittelchen, die helfen, immer schneller zu rennen und immer höher und weiter zu springen und zu werfen? Dies sei kein Tabu, sagen beide, denn das Museum wolle das immer wiederkehrende Problem nicht ignorieren.

“Wenn wir über Doping sprechen, dann nicht, um einen Athleten zu denunzieren, sondern um die Arbeit der Welt-Antidoping-Agentur WADA zu erklären und zu zeigen, wie wir Alternativen finden und Doping wirksam bekämpfen können”, antwortet Jamolli. Ein kleines Display gibt Aufschluss über die verschiedenen chemischen Nachweismethoden. “Wir gewinnen den Krieg, aber nicht die Schlacht”, ist Francis Gabet überzeugt. 

Das Olympische Museum wurde ursprünglich vom mexikanischen Architekten und IOC-Mitglied Pedro Ramírez Vázquez sowie von Jean-Pierre Cahen, einem Schweizer Architekten, gebaut.

Es wurde 1993 eröffnet und erhielt 1995 die Auszeichnung als Europäisches Museum des Jahres.

Nach 23-monatiger Renovation wurde die Institution am 21. Dezember 2013 wiedereröffnet. Für den Umbau zeichneten die Schweizer Architekten Brauen & Wälchli verantwortlich.

Die Ausstellungsfläche wurde praktisch verdoppelt, so dass neu auch zwei Wechselausstellungen pro Jahr Platz haben. Die reguläre Ausstellung umfasst über 1500 Exponate und 300 Bildschirme.

Das neue Haus erhielt den Übernamen TOM, was für “THE Olympic Museum” steht. Weltweit existieren über 60 andere Olympische Museen.

Im Gebäude befinden sich neben einem Olympischen Studienzentrum auch Tagungsräume sowie Lernbereiche für Kinder.

Die Fackel übergeben 

Die Neueröffnung des Museums fiel mit der Schlüsselübergabe an der Spitze des Internationalen Olympischen Komitees IOC zusammen. Nach zwölfjähriger Amtszeit überliess Jacques Rogge das Präsidium Thomas Bach. Der ehemalige deutsche Fecht-Olympiasieger und Handelsjurist wurde jüngst zum neuen IOC-Präsidenten gewählt. Dies obwohl Vorwürfe gegen ihn im Raum standen, dass seine Bande zu Wirtschaft und der arabischen Welt zu eng seien, um seine Unabhängigkeit wahren zu können.

“Eine der Säulen von Olympia ist dieses Museum”, sagte Bach, bevor er als erste präsidiale Amtshandlung das Band zur Eröffnung des Hauses durchschnitt.

Noch war an jenem Tag im Lausanner “Schaufenster” kein Anzeichen für die Probleme zu sehen, mit denen der neue höchste Olympier bald konfrontiert sein dürfte: Die Anti-Homosexuellen-Gesetzgebung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, die sozialen Proteste in Brasilien vor der Fussball-WM im nächsten Sommer und vor allem vor den Olympischen Sommerspielen 2016, korrumpierbare Kampfrichter, mehrere Todesopfer auf olympischen Baustellen oder die wachsende Bedeutung der sozialen Medien. Bereits mussten zwei Athleten gesperrt werden, weil sie in ihren Twitter-Botschaften gegen die olympischen Regeln verstossen hatten.

Ende Jahr aber zwangen mehrere Bombenanschläge in Wolgograd mit Dutzenden Toten und Verletzten Bach zu einem ungeliebten Schritt. In einem Statement versicherte er Athleten, Betreuern und Besuchern, dass er überzeugt sei, dass die russischen Veranstalter der Olympischen Winterspiele in Sotschi im kommenden Februar die Sicherheit jederzeit garantieren könnten.

(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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