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Schweizer Luftfahrt droht Luftloch

Der Flughafen Zürich verzeichnete 2011 einen Passagierrekord von 42,3 Millionen. Keystone

Die internationalen Flughäfen generieren einen Jahresumsatz von rund 10 Mrd. Franken – ein wichtiger Teil der Schweizer Binnenwirtschaft. Aber die Wettbewerbsfähigkeit ist durch Kapazitätsengpässe bedroht.

Trotz schwächelnder Wirtschaft und starkem Franken boomt das Geschäft an den drei Schweizer Luftfahrt-Drehscheiben Zürich, Genf und Basel.

Gemäss einer Studie des Bundesamts für Zivilluftfahrt (Bazl) aus dem letzten Jahr erzielten die drei internationalen zusammen mit den vier regionalen Flughäfen der Schweiz 2008 eine Wertschöpfung von 9,7 Mrd. Franken.

Dank zunehmender Passagierzahlen und Flugbewegungen zeigt die Tendenz auch weiterhin aufwärts. Dies dank den Schweizer Fluggästen, die im Durchschnitt pro Kopf doppelt so viel fliegen wie das übrige Europa.

“Die Inland-Nachfrage ist robust, und das ist attraktiv für die Airlines”, sagt Martin Peter, ein selbständiger Berater im Bereich Luftfahrt.

Zürich verzeichnete im ersten Halbjahr 2012 im Vergleich zur Vorjahresperiode einen Anstieg der Passagier-Zahlen um 2,5% und bei den Umsteigepassagieren ein Plus von 4,4%. Die Swiss flog neu nach San Francisco, Newark und Peking, während British Airways Zürich öfter anflog.

Boomendes Genf

Trotz der Streichung von 100 Stellen will Swiss in Genf durchstarten und damit EasyJet als dortigen Platzhirsch herausfordern. Der Billigflieger ist in Genf Marktleader mit einem Anteil von 38%. In Basel beträgt dieser gar 48%.

Die drei Flughäfen beschäftigen immer mehr Arbeitnehmer. 2008 gab es in Zürich 20’140 Jobs im engeren Luftfahrtbereich. Im erweiterten Bereich rund um den Hub betrug die Zahl der Stellen 82’520.

“Die Zahl der Arbeitsplätze und die Wertschöpfung sind ziemlich eindrücklich. Aber die eigentliche Bedeutung der Schweizer Flughäfen ist strategischer Natur”, sagt Daniel Müller-Jentsch von Avenir Suisse, der Denkfabrik der Schweizer Wirtschaft.

“Sie sind eine wichtige Infrastruktur für eine global vernetzte Binnenwirtschaft wie die Schweiz, die sehr stark von den internationalen Hauptsitzen abhängig ist.”

Preise und heisse Köpfe 

In den letzten Jahren wurde in Zürich massiv in den Ausbau der Flughafen-Infrastruktur investiert. Dies wurde mit internationalen Auszeichnungen honoriert. Der 2012 World Travel Award war gar der neunte solche Preis infolge.

Viele Bewohner in Zürich und im nahen Süddeutschland aber haben weniger Freude. Fluglärm sorgt für heisse Köpfe, nicht nur in den Anflugschneisen, sondern auch in Bern und Berlin. Dort hat der deutsche Transportminister Peter Ramsauer am 26. November das Flugverkehrs-Abkommen platzen lassen, das Ramsauer und die Schweizer Verkehrs-Ministerin Doris Leuthard im Sommer unterzeichnet hatten. Ausstehend war noch die Zustimmung der beiden Parlamente. Es gebe noch “offene Fragen”, die im Vertrag nicht geregelt seien, so sein Argument.

Der Vertrag sieht eine Reduktion der Flugstunden vor, in denen Maschinen nach und von Zürich süddeutsches Gebiet überfliegen dürfen.

Diese Einschränkung würde bis 2020 Pistenverlängerungen und neue Anflugrouten bedingen. Der Zürcher Flughafen aber befürchtet, dass der Widerstand zu starken Einschränkungen der Flugoperationen führen könnte. Im Bazl aber gelten die grössten Bedenken der Wettbewerbsfähigkeit. Deren Einschränkung könnte sich negativ auf die Schweizer Wirtschaft als Ganzes auswirken.

Während die Schweizer Luftfahrt punkto Effizienz und Qualität überdurchschnittlich abschneide, stosse der Bereich kapazitätsmässig an seine Grenzen, namentlich in Zürich und Genf, heisst es im Bericht des Bazl. Als Folge drohe ein Rückstand gegenüber der europäischen Konkurrenz, denn diese könne die Infrastruktur noch erweitern.

Optimierungspotenzial ausschöpfen

Hansjörg Bürgi, Luftfahrtkenner und Herausgeber der skynews.ch, stimmt mit dem Bericht der Berner Behörde überein, weist aber darauf hin, dass es sich bei Zürich und Genf um zwei verschiedene Fälle handle.

“Genf hat nur eine Piste und verliert deshalb langsam kapazitätsmässig an Boden. Zürich dagegen könnte seine Kapazitäten stark ausbauen, muss sich aber aufgrund der politischen Leitplanken einschränken”, so Bürgi. Er befürchtet, dass dies in einigen Jahren zu einem ernsten Problem werden könnte.

In Genf sei das beschränkte Bodenangebot der limitierende Faktor, sagte Flughafensprecher Bertrand Stämpfli. Das vorhandene Gelände erlaube aber ein Wachstum in den nächsten 20 Jahren. Genf sucht die Lösung deshalb in einer Optimierung der Flugbewegungen sowie der Standzeiten am Boden.

Leuthards Sorgenfalten

Fachleute sehen für Zürich die Kapazitätsgrenze bei 350’000 Flugbewegungen pro Jahr. Nimmt die Frequenz weiter zu wie bisher, dürfte die Limite in zehn Jahren erreicht sein.

“Uns ist klar, wohin wir gehen müssen. Tritt der Vertrag in Kraft, müssen wir die Pisten verlängern”, sagt Sonja Zöchling, Sprecherin des Flughafens Zürich.

Doris Leuthard sieht eine düstere Zukunft für den Sektor. “In Paris, London oder München haben die Flughäfen stets Alternativen. Aber wir sind ein kleines Land mit begrenztem Boden, und das ist ein ernstes Problem”, sagte die Bundesrätin gegenüber swissinfo.ch. “Welchen Weg wollen wir gehen? Vielleicht müssen wir einfach gewisse Grenzen akzeptieren”, so Leuthard.

Die Schweiz zählt drei international und zehn regionale Flughäfen. Dazu kommen 47 Landepisten und 24 Helikopterlandeplätze.

2011 gab es 963’901 Luftfahrtbewegungen mit über 42.9 Mio. Passagieren.

Zürich als grösster Flughafen liegt nur knapp 20 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Die Lufthansa-Tochter Swiss ist die grösste von dort operierende Fluggesellschaft.

Der Flughafen erzielte 2011 einen Gewinn von 171 Mio. Franken und einen Passagierrekord von 24.3 Millionen, was gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 6,4% ausmacht.

2011 verzeichnete Genf 13 Mio. Passagiere, 2012 sollte ein Wachstum von 6,5% erzielt werden. Der Gewinn betrug knapp 65 Mio. Franken. Grösster Carrier ist EasyJet mit einem Marktanteil von 38%.

Der Dreiländer-Flughafen EuroAirport Basel-Mulhouse-Freiburg liegt sechs Kilometer nordwestlich Basels auf französischem Boden. Er ist einer der wenigen Flughäfen, die von zwei Ländern betrieben werden, der Schweiz und Frankreich.

2011 wurde der Rekord von fünf Mio. Passagieren verzeichnet. Im ersten Halbjahr 2012 resultierte ein Wachstum von 9%. Grösster Carrier ist auch hier EasyJet, mit einem Marktanteil von 48%.

(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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