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Verbesserung oder Flop: Hilft Bergbahn-Entwicklung allen?

Von Eiger, Mönch und Jungfrau allein hat Grindelwald nicht gelebt - die Destination will ihre Bahn-Infrastruktur modernisieren, um noch mehr Touristen noch schneller bedienen zu können. swiss-image

Bergbahnen sind unter Druck, ihrem Geschäft Auftrieb zu verschaffen, indem sie mehr Touristen auf die Schweizer Berggipfel bringen, und dies schneller als früher. Doch mehr Touristen bedeuten nicht unbedingt auch, dass die lokale Wirtschaft davon profitieren kann.

 “Lange Warteschlangen” und “langsame Lifte” sind Kommentare, die bei Online-Bewertungen über Grindelwald als Skigebiet immer wieder auftauchen, gleich nach den Komplimenten für die Alpenlandschaft. In der Hochsaison bilden sich am Fuss der Lifte und Zahnradbahnen rasch Warteschlangen mit Schneesportlern, die möglichst rasch auf die Pisten,  und Passagieren, die aufs Jungfraujoch gelangen möchten.

Doch dies könnte sich bald einmal ändern, wenn ein neues Projekt realisiert werden kann, das den Zugang aus Grindelwald zu den Skipisten verbessern soll. 

Schwierige Entscheidungen

Die Bevölkerung von Grindelwald – ein gut ausgebautes Bergdorf im Berner Oberland, das als Teil der Jungfrau-Region vermarktet wird – stand jüngst vor kniffligen Fragen: Sollen bessere Verbindungen zu den Berggipfeln in der Region erstellt werden, was mehr Geld in die Kassen spülen könnte, oder geht man damit vor allem das Risiko ein, mehr Massentourismus anzuziehen, von dem die lokale Wirtschaft nicht unbedingt profitieren würde?

Die Gemeindeversammlung stimmte über den geplanten Bau einer neuen Gondelbahn ab, die Grindelwald direkt mit der Station Eigergletscher verbinden soll, einer Zwischenstation auf dem Weg zum Jungfraujoch. 

Die gelben Linien zeigen die Strecke der geplanten Gondelbahn von Grindelwald Grund zum Eigergletscher hinauf sowie jene der Gondelbahn auf den Männlichen, die erneuert werden soll. Die blauen Linien signalisieren bestehende Zahnradbahnen, die rote Linie (rechts im Bild) zeigt die Strecke der Jungfraujoch-Bahn. Jungfrau Railway

Mit dem V-Bahn-Projekt würde die gesamte Reisezeit von Grindelwald Grund zum Jungfraujoch, dem höchsten Bahnhof Europas auf 3454 Metern über Meer, um 45 Minuten verkürzt. Zudem könnten statt der heute 960 Personen pro Stunde auf der neuen Route 2720 Personen pro Stunde befördert werden.

Obschon bei der Gemeindeversammlung mehr als zwei Drittel grünes Licht gaben, kann das Projekt vorerst nicht in Angriff genommen werden. Der Grund:  Die Alpgenossenschaft Wärgistal hat die Überfahrtsrechte für das Land, über das die neue Bahn fahren würde. Und sie hat diese Rechte den Jungfraubahnen bisher nicht abgetreten.

“Ich denke, wir brauchen sie [die Gondelbahn] für die Zukunft, denn die heutige Situation ist nicht mehr gut genug”, erklärte Emanuel Schläppi, der Gemeindepräsident von Grindelwald, gegenüber swissinfo.ch.

Er war an langwierigen Diskussionen mit allen Seiten beteiligt, und sagte, dass er beide Seiten verstehe.

“Wir haben sehr lange Warteschlangen, vor allem im Winter, aber auch im Sommer [bei den Seilbahnen] … jetzt haben wir die Möglichkeit, ein neues System zu errichten, das bequem wäre für die Leute, die hierher kommen und in unserem Tal sein wollen.”

Im Rahmen des Projekts würde auch die bestehende alte Gondelbahn Grindelwald-Männlichen nachgerüstet.

Für jene Leute direkt am Pfad der geplanten neuen Bahn sind die Masten, die ihnen die Sicht auf eine  der schönsten Landschaften der Schweiz verderben würde, alles andere als willkommen. Aber das ist nicht die einzige Sorge. 

Öffentliche Debatte

Das V-Bahn-Projekt sorgte in der Region für viel Diskussionen. Die lokale Jungfrau-Zeitung veröffentlichte zahlreiche Leserbriefe zu dem Thema. “Jene, die glauben, in Grindelwald gebe es schon ausreichend Bahnen und Infrastruktur, sehen dies falsch”, schrieb zum Beispiel Urs Hauser aus Grindelwald. “Gerade weil schon so lange nicht mehr in die Skisport-Anlagen investiert wurde, sind Gäste in andere Skigebiete mit modernen Anlagen abgewandert.”

Auf der anderen Seite der Debatte hinterfragte ein anderer Einwohner Grindelwalds das Projekt. “Das Chaos, zu dem es bei der Station Eigergletscher kommen wird, wenn der Eiger-Express pro Stunde 2400 Leute hochbringt, und diese dann auf einen Anschluss zum Jungfraujoch warten müssen, wurde nicht richtig durchdacht’, sagte Hansueli Schild. “Ist das Qualitätstourismus?”

Bei Rainer Hercher, der die Region regelmässig besucht, löste das Projekt derart leidenschaftliche Gefühle aus, dass er ein Gedicht schrieb, in dem er die Entwicklung verurteilte. “Wir verschandeln die Natur, ohne auch nur eine Spur einmal darüber nachzudenken, was wir damit unsern Kindern schenken.”

“Die Leute haben Angst … sie denken, dass grosse, riesige Menschenmengen kommen werden”, fügte Schläppi hinzu.

Übernachtungen

Das heisst aber nicht, dass Grindelwald ein idyllisches, vom Tourismus unberührtes Dorf ist. Die Hauptstrecke ist gesäumt von Souvenir- und Skiläden. Und etliche Wegweiser zu Orten wie dem Busbahnhof oder zu Schokolade-Detailhändlern sind sowohl in Englisch wie in Japanisch beschriftet. [Have pic]

2013 fuhren etwa 823’000 Reisende mit der Jungfraubahn auf das Jungfraujoch. Nach Erkenntnissen der Jungfraubahnen selber kommen rund 70% ihrer Kundschaft vor allem wegen dem Jungfraujoch in die Region; werden nur Touristen aus Asien berücksichtigt, steigt die Zahl auf 80%.

Gemäss den aktuellsten vorliegenden Ganzjahreszahlen für die Jungfrau-Region (umfasst die Ferienorte Grindelwald, Wengen, Mürren und Lauterbrunnen) besuchten 2013 insgesamt 385’000 Personen die Region, der Durchschnitt der Übernachtungen lag bei 2,5 Nächten.

Der Vergleich dieser Zahlen mit jenen der Jungfraujoch-Besucher zeigt, dass mehr als die Hälfte der Touristen, die auf den berühmten Top of Europe reisten, keine weitere Zeit in der Region verbrachten.

Touristen, die sich auf einer Europa-Reise mit Stippvisiten befinden und nur für einen Tag herkommen, um einmal auf einem Gletscher stehen zu können, umrundet von glitzernden Berggipfeln, sind nicht die Art Gäste, von denen Hotels und andere lokale Unternehmen am Fuss der Bahnen viel profitieren.

Nach Besuchern und Besucherinnen aus der Schweiz waren Touristen aus China die grösste Gruppe, aber auch sie verbrachten im Schnitt nur gerade etwas mehr als eine Nacht in der Region.

“Die Chinesen mögen etwas mehr in Bewegung sein [als andere Touristen], sie übernachten und verbringen jeden Tag an einem anderen Ort”, sagte Christian Laesser, Professor am Forschungszentrum für Tourismus und Verkehr (SBB Lab) der Universität St. Gallen, gegenüber swissinfo.ch.

Die “klassische Extremtour” beinhaltet normalerweise etwa vier Länder, mit 10 oder 11 Übernachtungen, was bedeutet, dass meist nur ein oder zwei Nächte auf die Schweiz entfallen, aber nicht alle Nationalitäten oder Reisegruppen folgen diesem Muster.

Laesser sagt zwar, der Reisemarkt wandle sich, er glaubt aber auch, dass es nach wie vor “Top-Orte geben wird, die alle besuchen wollen, diese werden sich nicht gross verändern”. 

Schnell, aber auch ruhig

Yasuyo Ando betreibt zusammen mit ihrem Mann das japanische Tourismus-Informationszentrum in Grindelwald. Vor dem kleinen Büro in der Nähe des Bahnhofs stehen japanisch beschriftete Schilder. Da 16% der Übernachtungen in Grindelwald konsequent auf japanische Touristen  entfallen, ist es nach Ansicht von Yasuro Ando wichtig, etwas Neues zu haben, um diese Gäste weiterhin anziehen zu können.

“Eine Neuigkeit, etwas Auffälliges, schneller auf das Jungfraujoch zu gelangen… das wird eine gute Auswirkung haben, aber dennoch wird man in Grindelwald Ruhe und Stille geniessen können”, erklärte sie gegenüber swissinfo.ch.

“Es geht nicht nur darum, dass man rasch auf die Pisten kommt oder auf den Gletscher. Grindelwald ist ein sehr attraktives Dorf mit alpinem Chic und sollte auch so vermarktet werden”, sagte Ando weiter.

Gemeindepräsident Schläppi glaubt, dass ein besseres System von Liften und Bahnen auch dem Dorf Vorteile bringen wird. “Wenn wir Warteschlangen haben, ist das nicht gut für Leute, die eine längere Zeit in Grindelwald verbringen. Es ist nicht eine Frage von mehr, mehr, mehr. Es geht darum, im gleichen Markt zu sein wie die anderen [Tourismus]-Destinationen und über die gleiche Qualität zu verfügen.”

Materielle Anreize

“Eine neue Gondelbahn ist ein Motor für eine Region”, erklärte Urs Kessler, der Direktor der Jungfraubahnen, gegenüber swissinfo.ch.

“Das neue Projekt in Grindelwald wird viel Bewusstsein für die Region schaffen, und neue Stellen, wir schätzen zwischen 180 bis 590, und es wird neue Geschäfte im Wert von 30 bis 60 Millionen Franken nach sich ziehen.”

Die Jungfraubahnen werden den Einwohnern in dem Gebiet, über das die Gondeln fahren werden, einen jährlichen Betrag bezahlen, der für lokale Einrichtungen wie Strassen oder Hütten für Bauern gedacht ist. Und sie argumentieren damit, sie hätten eine Reihe spezieller Mehrfach-Tickets und Angebote eingeführt, damit Reisende so lange wie möglich in der Region bleiben würden und damit auch in den lokalen Hotels.

Für Kessler geht es bei der Unterstützung für ein Projekt wie die neue Gondelbahn in Grindelwald nicht nur um diese Destination, sondern mit Blick auf die Tourismusindustrie um das ganze “Swiss package”.

“Es ist ein Projekt für die nächsten 30 bis 50 Jahre. Wir stehen in starker Konkurrenz zu unseren Nachbarländern innerhalb Europas. Es ist ein wichtiges Projekt, um Qualität und Wettbewerbsfähigkeit für die Zukunft zu bewahren.”

Schritt halten ist teuer

Die Konkurrenz abzuwehren ist ein wichtiger Grund dafür, dass Seilbahnen in den Schweizer Bergen nachgerüstet, modernisiert werden. In Luzern und der Region Vierwaldstättersee wurden im November 2014 die Titlisbahnen nachgerüstet, die das im Tal gelegene Dorf Engelberg mit dem Titlis verbinden. Nach 22 Jahren wurde die Gondel auf dieser Strecke, die dafür bekannt ist, dass sie drehbar ist, durch ein Modell der zweiten Generation ersetzt, bei der sich nicht nur der Boden, sondern die ganze Gondel dreht. Die Kosten beliefen sich auf etwa 2,5 Mio. Franken.

Der Durchschnitt der Übernachtungen in dieser Region der Schweiz lag 2014 bei 1,8 Nächten, etwas weniger als vor 10 Jahren, und weniger als im Berner Oberland, wo Gäste im Durchschnitt zwei Nächte verbrachten.  

Nach Angaben von Seilbahnen Schweiz, dem Dachverband der Branche, besitzt die öffentliche Hand etwa 23% des Aktienkapitals der Seilbahnen. Rund zwei Drittel der Bahnen könnten laut dem Verband unter normalen Marktbedingungen nicht überleben, sie sind auf Kredite und Zuschüsse der öffentlichen Hand angewiesen.

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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