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Bundesrat will Zuwanderung mit Schutzklausel steuern

Was kommt auf die Schweiz zu, wenn die Schutzklausel kommt? Keystone

Zur Umsetzung der Volksinitiative "gegen Masseineinwanderung", die das Schweizer Volk im Februar 2014 angenommen hatte,
will die Schweizer Regierung die Zuwanderung aus der EU mit einer Schutzklausel begrenzen. Eine solche möchte er im Einvernehmen mit Brüssel einführen. Gibt es keine Einigung, soll die Schutzklausel einseitig eingeführt werden. 

Den Entscheid hat der Bundesrat am Freitag gefällt. Eine entsprechende Botschaft stellte er für Anfang März nächsten Jahres in Aussicht. Parallel dazu werden die laufenden Konsultationen mit der EU weitergeführt mit dem Ziel, eine einvernehmliche Lösung zu finden.

Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga zeigte sich vor den Medien vorsichtig zuversichtlich, dass es bei der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative zu einer Einigung mit der EU kommen könnte. Einen Durchbruch gebe es aber noch nicht, sagte sie.

Grossbritannien als Blocker

Es sei von Anfang an klar gewesen, dass die Gespräche schwierig würden. Die Entwicklungen in Grossbritannien spielten der Schweiz nicht in die Hand. Von Seiten der EU sei aber viel guter politischer Wille spürbar, sagte die Bundespräsidentin.

Im Vordergrund stehe bei den Gesprächen mit der EU eine neue gemeinsame Auslegung der im Personenfreizügigkeitsabkommen vorgesehenen Schutzklausel. “Wir sind zum Schluss gekommen, dass es eine technische Lösung gibt, die konform ist mit dem Freizügigkeitsabkommen und mit der Verfassungsbestimmung”, sagte Sommaruga.

Eine einvernehmliche Lösung wäre für den Bundesrat der beste Weg. Weil der Bundesrat sich aber an die Frist zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative halten muss, soll nun eine einseitige Lösung vorbereitet werden.

Die Schaffung einer Schutzklausel stellt laut Sommaruga noch keine Verletzung des Freizügigkeitsabkommens dar. Eine Verletzung läge erst dann vor, wenn der Bundesrat diese tatsächlich auslösen würde – wenn er also Höchstzahlen und Kontingente festlegen würde. Dabei würde er die gesamtwirtschaftlichen Interessen berücksichtigen, sagte Sommaruga. Wie die EU reagieren würde, sei unklar.

Über die Höhe des Kontingents ist in den letzten Jahren viel diskutiert worden. Die rechtsnationale Schweizerische Volkspartei (SVP) als Initiantin hat sich nie auf eine genaue Zahl festgelegt. Die Forderungen von dieser Seite bewegen sich aber um eine Zahl von 40’000 herum.

Sommaruga betonte weiter, die Schutzklausel sei nur ein Teil der Antwort auf die neue Verfassungsbestimmung. Sie sei kein “Allerheilmittel”. Nötig seien auch Massnahmen im Inland. Sie denke beispielsweise an die über 50-Jährigen und die Frauen. “Es ist eine Illusion zu glauben, dass mit der Schutzklausel alle Fragen und Ungewissheiten vom Tisch wären”, sagte Sommaruga.

Brüssel: “Es ist schwierig,…”

Eine Reaktion aus Brüssel erfolgte umgehend. “Wir werden die Gespräche mit der Schweizer Regierung fortsetzen, um eine Lösung zu finden”, sagte ein Sprecher der Europäischen Kommission gegenüber swissinfo.ch. “Es ist schwierig, aber wir setzen die Konsultationen fort, wie dies EU-Komissionspräsident Junker und Bundespräsidentin Sommaruga bei ihrem letzten Treffen vom 1. Dezember vereinbart haben.” Es sei geplant, dass Junker und Sommaruga vor Jahresende noch einmal zusammenkommen, so der Sprecher weiter. Ein Datum stehe aber noch nicht fest.

Bisher hat die EU stets wiederholt, dass sie keine Einschränkung des freien Personenverkehrs akzeptieren werde. Im Gegenteil: Beschränke die Schweiz die Zuwanderung, drohte Brüssel mit der Aufkündigung der bilateralen Abkommen mit der Schweiz.

Pol-Parteien kritisieren, …

Für SVP-Präsident Toni Brunner spielt der Bundesrat ein weiteres Mal auf Zeit. “Wir sind gleich weit wie vor knapp zwei Jahren”, erklärte der St. Galler Nationalrat in einer Stellungnahme. Die Schutzklausel bleibe ein theoretisches Konzept und liefere keine Antwort auf die Verminderung der Zuwanderung.

“Es ist mir ein Rätsel, wie mit einem Schwellenwert, der erst im darauf folgenden Jahr berücksichtigt würde, die Zuwanderung begrenzt werden kann”, so Brunner. Die Wirtschaft habe zudem bereits seit dem Entscheid vom 9. Februar diese Idee ins Spiel gebracht.

Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP kann mit den vom Bundesrat vorgestellten Varianten zur Umsetzung der Zuwanderungsinitiative “nichts anfangen”. Die vorgeschlagene Schutzklausel sei nur “ein Placebo für die Bevölkerung”. Die wahren Probleme, die zur Annahme der Initiative geführt hätten, blieben dadurch ungelöst.

… Mitteparteien stimmen zu

Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) sieht sich mit dem Regierungsentscheid in ihrer Haltung bestätigt. “Bereits im April 2013 schlug die CVP vor, die Ventilklausel ins Dauerrecht zu überführen. Die CVP war auch im März 2015 die erste Partei, die den Volkswillen zur Begrenzung der Zuwanderung unter gleichzeitiger Wahrung der Bilateralen mittels Schutzklausel umsetzen wollte”, teilte die Partei mit. Die beiden Argumente, welche die CVP dafür ins Feld führt: Verteidigung der Schweizer Arbeitsplätze und Wahrung des Volkswillens sowie der Bilateralen.

Dasselbe reklamiert auch die Bürgerlich-Demokratische Partei Schweiz (BDP) für sich: “Die so genannte Schutzklausel entspricht konzeptionell der von der BDP schon im März 2014 vorgeschlagenen Lösung, die nun endlich ihren Weg nimmt, nachdem namentlich auch die Wirtschaftsverbände sowie weitere Parteien praktisch identische Forderungen gestellt haben”, hiess es in einer Mitteilung.

Unterstützung aus der Wirtschaft

Positive Signale kamen aus der Wirtschaft. Der Schweizerische Baumeisterverband begrüsst den Entscheid des Bundesrates. “Es handelt sich nun endlich um eine korrekte, politisch vertretbare Umsetzung des neuen Zuwanderungsartikels bei gleichzeitiger Bewahrung der bilateralen Verträge”, hiess es.

Auch Swissmem, der Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie und verwandter technologieorientierter Branchen, unterstützt die Regierung. Sowohl die angestrebte Schutzklausel als auch die anvisierte einvernehmliche Lösung mit Brüssel ermöglichen  es laut Verband, “den Volkswillen zur Begrenzung der Zuwanderung zu respektieren und gleichzeitig die für die Wirtschaft zentralen bilateralen Verträge zu erhalten”. Rund 60% der Exporte der Branche gehen in die EU.

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