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Wenn Muttersein zum Problem wird

Mutter mit Kind am Computer
Laut einer von der Schweizer Regierung in Auftrag gegebenen Studie werden 10% der Frauen im Land nach dem Mutterschaftsurlaub diskriminiert. Martin Ruetschi/Keystone

Teilzeitarbeit kann für Mütter in der Schweiz Fluch oder Segen sein. Immer mehr Frauen fordern ein Ende der Stigmatisierung von berufstätigen Müttern.

Ingrid Bringas erklomm rasch die Karriereleiter. Dann wurde sie schwanger und so zum Problem für ihren Arbeitgeber. 

“Ich leitete ein grosses Projekt für Ceva Logistics mit 13 bis 14 kleineren parallel laufenden Projekten”, sagt Bringas gegenüber swissinfo.ch. “Ich sagte meinem Vorgesetzten, dass ich schwanger sei. Kurz darauf wurde mir mitgeteilt, dass ein anderer Manager meine Aufgaben übernommen habe.”

Am Ende ihres Mutterschaftsurlaubs kam schliesslich der Hammer: Sie sei aufgefordert worden, nicht mehr ins Unternehmen zurückzukehren. Stattdessen wurde ihr eine Abfindung in der Höhe von drei Monatslöhnen angeboten. 

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swissinfo.ch bat Ceva Logistics um eine Stellungnahme. Das multinationale Unternehmen lässt verlauten, dass es sich nicht zu einzelnen Fällen äussern würde, es aber das Ziel der Firma sei, alle Mitarbeitenden gleich zu behandeln.

Eine Zürcherin, die anonym bleiben möchte, hat eine ähnliche Erfahrung gemacht. Sie erzählt, dass sie von wichtigen Meetings ausgeschlossen worden sei, nachdem sie ihre Schwangerschaft angekündigt habe. Sie vereinbarte mit ihrem Arbeitgeber zwar eine sechsmonatige unbezahlte Freistellung, danach sollte sie mit einem 60-Prozent-Pensum zurückkehren und allmählich wieder auf 100 Prozent aufstocken. 

“Die Entlassung kam überraschend, und ich denke, der wahre Grund war, dass ich Mutter wurde”

Doch es kam anders: Noch während ihres unbezahlten Urlaubs habe ihr der Arbeitgeber mitgeteilt, dass er keine Aufgaben mehr für sie habe. Das weltweit tätige Unternehmen behauptete, die Kündigung sei die Folge einer Umstrukturierung. Doch die betroffene Angestellte, die über fünf Jahre für den Konzern tägig gewesen war, ist überzeugt, dass der Hauptgrund ihre Schwangerschaft war. “Die Entlassung kam überraschend, und ich denke, der wahre Grund war, dass ich Mutter wurde und nur noch Teilzeit arbeiten wollte.”

Getarnte Diskriminierung

Diese zwei Erfahrungsberichte sind keine Ausnahmen. Eine kürzlich vom Bund in Auftrag gegebene Studie hat ergeben, dass jede zehnte Frau in der Schweiz nach dem Mutterschaftsurlaub in der Schweiz diskriminiert wird. 

Eine Analyse der kantonalen Gerichtsverhandlungen und Urteile zum Gleichstellungsgesetz von 2004 bis 2015 ergab, dass ein Drittel aller Diskriminierungsfälle auf Schwangerschaft oder Mutterschaft zurückzuführen ist. Die Kläger haben in solchen Fällen aber kaum eine Chancen vor Gericht: Über 80 Prozent der Klagen wurden abgewiesen (hier finden Sie eine Liste der aktuellen FälleExterner Link).

In der Schweiz ist es nicht ungewöhnlich, dass eine Frau in einem Vorstellungsgespräch Fragen wie “Glauben Sie, dass Sie diesen Job als Mutter schaffen können?”, “Planen Sie Kinder?” oder “Sind Sie schwanger?” gestellt bekommen. Solche Fragen sind zwar eine Form der Diskriminierung gemäss Gleichstellungsgesetz (Art. 3), aber in der Schweiz sorgen sie kaum für Diskussionen. Nicht so in anderen Ländern wie etwa den USA, wo Arbeitgeber in vergleichbaren Situationen vor Gericht gezerrt werden.

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Informationen zu einer möglichen Mutterschaft sind in der Schweiz nur schwer aus einem Bewerbungsprozess herauszuhalten. Da kann der Arbeitgeber per se nichts dafür, das hat sich so eingebürgert. Das Format eines Lebenslaufs in der Schweiz verlangt etwa nach der Nennung des Familienstandes, des Alters und der Anzahl Kinder. Das macht es schwierig, diskriminierende Tendenzen zu verhindern. 

“Diskriminierung ist ein grosses Wort”, sagt Alkistis Petropaki. Sie leitet Advance – Women in Swiss Business, eine Vereinigung zur Unterstützung von Frauen in der Unternehmensführung. “In den meisten Unternehmen gibt es keine bewusste oder aktive Diskriminierung von Müttern und Vätern.”

Bewusst oder nicht, Diskriminierung trifft meistens Frauen, die nach der Geburt ihres Kindes weiter ihre Karriere voranbringen möchten. “Diese Frauen werden zu einem Problem aus Sicht des Arbeitgebers”, sagt Petropaki, eine Griechin, die seit vielen Jahren in der Schweiz lebt. “Sie werden als ‘kompliziert’ oder ‘schwierig’ eingestuft.” 

Der Grund seien Vorurteile. “Viele Arbeitgeber glauben, dass eine Frau, die Mutter wird und nebenberuflich arbeiten möchte, nicht mehr Karriere machen will.” Und dies führe zu Diskriminierungen. Solche Frauen würden oft nicht mehr gefördert und befördert. Petropaki denkt, dass dies auch der Hauptgrund dafür ist, dass nur 7 Prozent der Führungspositionen in grossen Konzernen von Frauen besetzt sind.

Viele Vorzüge

In der Schweiz sind fast 60% aller Frauen Teilzeit beschäftigt, was im internationalen Vergleich sehr viel ist.

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Valérie Borioli Sandoz, welche die Abteilung Gleichstellungspolitik beim Dachverband der Arbeitnehmenden Travail Suisse leitet, sieht Teilzeitarbeit als “die am wenigsten schlechte Lösung, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Sie kann jedoch zur Falle werden, aus der die Betroffenen nur mit Mühe wieder herauskommen.”

Teilzeitarbeit kann für Mütter ein Segen sein. Eine Tessinerin, die in Bern in der Verwaltung arbeitet, sagt, dass sie sich glücklich schätzen könne, 60 Prozent zu arbeiten und dabei immer noch Karriere zu machen. Viele ausländisch-stämmige Mütter könnten das nicht, sagt sie. “Viele haben mir gesagt, dass sie in ihrem Heimatland niemals in der Lage sein würden, einen Beruf auszuüben und trotzdem Zeit mit ihren Kindern zu verbringen.”

“Teilzeitarbeit ist die am wenigsten schlechte Lösung, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Sie kann jedoch zur Falle werden”

Die Vorzüge in der Schweiz schätzt auch Sarah Meier, die das Programm Eltern@work für berufstätige Eltern gegründet hat und für ein multinationales Unternehmen in Zug arbeitet. In ihrem Heimatland Südafrika hätten die Menschen nicht den Luxus, Teilzeit arbeiten zu können, sagt sie. “Die Leute dort arbeiten entweder 100% oder gar nicht.”

Die Spanierin Valle Nieto, selbst auch Mutter, hat ebenfalls nur positive Erfahrungen in der Schweiz gemacht. Sie ist eine von drei Ingenieurinnen im Technologieunternehmens Huawei in Zürich. Sie habe dort nie Diskriminierung erfahren. “Im Gegenteil”, sagt sie. Sie ist überzeugt, dass sie eines der besten Projekte der Firma leitet. Und sie arbeitet Vollzeit. Teilzeitarbeit ist bei Huawei nicht möglich. Doch Nieto hat die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, wenn sie es braucht. “Dieses Arrangement passt so für mich.” 

Die Gesellschaft, so denkt sie, solle dafür sorgen, dass das Kinderkriegen Karrierechancen nicht zunichte macht. “Ich habe lange Zeit studiert, um einen guten Job zu bekommen. Meine Eltern haben viel für meine Universität bezahlt. Es ist unfair, wenn ich das alles einfach verliere, nur weil ich ein Kind bekommen habe”, sagt Nieto.

Auch Väter können das Kind pflegen

In der Schweiz ist Teilzeitarbeit für viele berufstätige Eltern die einzige Option. Das liegt auch an anderen Merkmalen der Schweizer Kultur. 

So ist es immer noch üblich, dass die Kinder über den Mittag nach Hause kommen, und viele Grundschulkinder haben mehrere Nachmittage pro Woche schulfrei. Es fehlt auch an bezahlbarer Kinderbetreuung. Das Kind drei Tage pro Woche in einer nicht subventionierten Kinderkrippe unterzubringen, kostet Familien schnell einmal 20 000 Franken pro Jahr oder noch mehr. Dies bedeutet, dass Eltern gut rechnen müssen, um über die Runden zu kommen. Und sie müssen auch schauen, wer von Vollzeit auf Teilzeit wechselt. Meistens ist es die Frau.

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Tatsächlich sagen viele Mütter, die mit swissinfo.ch gesprochen haben, dass traditionelle Vorstellungen von Geschlechterrollen – beispielsweise, dass Frauen zum Wohle der Kinder zu Hause bleiben – im Land noch sehr präsent sind. Mehrere Mütter erklärten, dass ihre Chefs ihre Entlassung so formuliert hätten, als sei die Kündigung zum Wohl ihrer Familie und inbesondere der Kinder geschehen.

“Diese traditionellen Ideen über die Rolle der Frau im Haushalt lassen die Arbeitgeber glauben, dass Frauen weniger arbeiten wollen und dass, wenn das Kind krank ist, immer die Mutter die Arbeit verlässt”, sagt Borioli Sandoz von Travail Suisse. “Wir sollten aber nicht vergessen, dass es auch einen Vater gibt, und dass der Vater sich auch frei nehmen kann, wenn ein Kind krank ist.”

“Eine sozioökonomische Katastrophe”

Bei Travail Suisse hofft man, dass die Volksinitiative, die einen mindestens zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub verlangt, den Weg zu mehr Gleichberechtigung zu Hause und am Arbeitsplatz ebnen wird. Die berufstätige Mutter Sarah Meier gibt zu Bedenken, dass “es immer eine Kluft zwischen den Geschlechtern geben wird, wenn Frauen die einzigen sind, die Urlaub nehmen und Teilzeit arbeiten”.

Der Schweizer Vater Stefan Barth, der bei Zurich Insurance arbeitet, erlebte einige Vorteile und Herausforderungen eines reduzierten Arbeitsplans, wie er im Video unten erklärt.

Einige grosse Unternehmen leisten politischen Forderungen nach Vaterschaftsurlaub bereits Vorschub. Novartis hat kürzlich bekannt gegeben, dass es frischgebackenen Vätern 14 Wochen Urlaub bietet, während Axa mit Job-Sharing in Führungspositionen experimentiert. Und Unternehmen wie Swisscom bieten seit Jahren flexible Planungen an. Die meisten Vollzeitstellen bei grossen Unternehmen, darunter viele leitende Führungspositionen, werden inzwischen mit 80-100% ausgeschrieben, um die Teilzeitarbeit für jeden Bewerber zu ermöglichen.

Letztendlich haben viele Eltern, die mit swissinfo.ch gesprochen haben, gesagt, dass die Gesellschaft es den Menschen ermöglichen muss, Arbeit und Kinderbetreuung in Einklang zu bringen, weil sie sonst hochgebildete Frauen verlieren. Petropaki betont: “Es gibt jetzt mehr Frauen als Männer, die ihren Universitätsabschluss machen. Wenn sie zu Hause bleiben, ist das eine sozioökonomische Katastrophe.”

Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer

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