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Ist Selbstwertgefühl der Schlüssel zum Erfolg?

Gewichte stemmen ist ein möglicher Weg zu einem guten Selbstwertgefühl – aber nicht der einzige... Thomas Kern

Je höher das Selbstwertgefühl, desto höher steigt die Wahrscheinlichkeit für gute Partnerschaften, bessere Arbeit und Gesundheit, hat ein Wissenschafterteam um Prof. Ulrich Orth von der Universität Basel herausgefunden.

Steigt mein Selbstwertgefühl, wenn ich erfolgreich bin? Habe ich dank eines grossen Selbstwertgefühls mehr Erfolg im Leben? Oder verstärken sich Selbstwertgefühl und Erfolg gegenseitig?

Diesen Fragen ist Ulrich Orth von der Psychologischen Fakultät der Universität Basel nachgegangen. Zusammen mit Wissenschaftern der University of California wertete er die Daten von 1824 Personen im Alter von 16 bis 97 Jahren aus, die über 12 Jahre in den USA erhoben wurden.

“Wir haben festgestellt, dass das Selbstwertgefühl eher den Erfolg beeinflusst als umgekehrt”, sagt Professor Orth gegenüber swissinfo.ch.

Stabile Eigenschaft

Das Selbstwertgefühl ist ein relativ stabiler Teil der Persönlichkeit, haben die Psychologen herausgefunden. “Das Selbstwertgefühl einer Person – dieses kann niedrig oder hoch sein – wird aller Voraussicht nach auch im nächsten Jahr, aber auch in fünf oder zehn Jahren ähnlich niedrig oder hoch sein”, sagt Ulrich Orth.

“Nach landläufiger Meinung müsste sich das Selbstwertgefühl ändern, wenn jemand arbeitslos wird oder wichtige berufliche Erfolge erzielt oder eine Partnerschaft zerbricht”, sagt Ulrich Orth. “Aber das ist eben nur selten der Fall, wie unsere Daten zeigen.”

Umwelt und Vererbung

Wie entsteht Selbstwertgefühl? Darauf hat die Wissenschaft bislang keine schlüssige Antwort. “Es gibt eine Erblichkeitskomponente, aber auch bedeutsame Umwelteinflüsse”, sagt Orth.

Folgende Erfahrungen stärken das Selbstwertgefühl jedoch mit Sicherheit: Wertschätzung erhalten in der Familie, im Freundeskreis und im beruflichen Umfeld.

Präzise Voraussagen seien jedoch nicht möglich, sagt Orth: “Es gibt Menschen mit einem niedrigen Selbstwertgefühl, die von ihrer Umwelt sehr geschätzt werden. Andere leben in sozial widrigen Umständen, erhalten wenig bis keine Wertschätzung und sind trotzdem selbstsicher.”

Die kausale Wirkung des Selbstwertgefühls auf Erfolg im Leben lasse sich wissenschaftlich nur schwer überprüfen, sagt Orth: “Man kann in diesem Bereich keine Experimente durchführen. Stellen Sie sich vor, man müsste das Selbstwertgefühl von zufällig ausgesuchten Personen künstlich erhöhen oder erniedrigen. Das ist aus ethischen aber auch aus praktischen Gründen nicht möglich und auch nicht sinnvoll.”

Im Alter abnehmend

Die Studie zeigt auch auf, dass das Selbstwertgefühl bis ins Alter von 50 bis 65 Jahren ansteigt und dann abnimmt. “In der Regel gewinnen Menschen von der Pubertät bis ins mittlere Erwachsenenalter an Selbstwertgefühl. Es wächst nicht nur, es wird auch stabiler. Die Menschen machen ihr Selbstwertgefühl weniger abhängig von den Ereignissen, die im Alltag passieren.”

Nach dem Höchstpunkt im Alter von 50 bis 65 Jahren, folgt eine Verringerung, die im hohen Alter stark zunimmt. Woran liegt das? Orth sieht beim Einbruch im hohen Alter “Anhaltspunkte, dass Verluste im Gefühl von Unabhängigkeit und Kontrolle einflussreiche Faktoren sein könnten.”

Ulrich Orth: “Immer stärker auf andere Menschen angewiesen zu sein und das eigene Leben nicht mehr selbst in allen Bereichen steuern können, sind Faktoren, die das Selbstwertgefühl unterminieren können.”

Was nützt mir das?

Könnten die aus der Studie gewonnenen Erkenntnisse dem Einzelnen von Nutzen sein? “Selbstwertgefühl hat kleinere bis mittlere Effekte auf Wohlergehen und Erfolg in wichtigen Lebensbereichen”, so Orth. Es mache also Sinn, daran zu arbeiten, sein Selbstwertgefühl zu verbessern.

“Wer meint, er hätte ein schwaches Selbstwertgefühl, sollte dies aktiv zu ändern versuchen. Dabei könnte auch eine psychologische Beratung oder eine entsprechende Therapie helfen.”

…wie von guten Freunden

Mit einer überheblichen oder selbstüberschätzenden Haltung lasse sich das Selbstwertgefühl jedoch nicht verbessern. “Es geht darum, eine positive Einstellung zu sich selbst zu gewinnen. Gehen Sie mit sich selbst so um, wie Sie das von guten Freunden erwarten.”

Verständnis für sich selbst aufbringen, sich Fehler verzeihen, eine grundsätzliche Akzeptanz der eigenen Person anstreben, dies sei der richtige Weg.

Die Förderung des Selbstwertgefühls von Kindern ist für Orth eminent wichtig. “Die Erziehenden, auch Lehrerinnen und Lehrer, sollten einen Beitrag dazu leisten, dass Kinder nicht in ihrem Selbstwertgefühl beschädigt werden.”

Depressionen

Ein niedriges Selbstwertgefühl kann eine Gefahr für die seelische Gesundheit darstellen. Psychologen beobachten laut Orth, dass sich Menschen mit niedrigem Selbstwertgefühl eher zurückziehen, soziale Beziehungen vermeiden, nicht so offen mit anderen Menschen umgehen.

Zudem grübeln Menschen mit niedrigem Selbstwertgefühl oft in einer negativen Art und Weise über sich selbst nach. “Man weiss, dass dies zu Depressionen führen kann”, sagt der Psychologieprofessor.

Selbstwertgefühl ist die globale subjektive Einschätzung von allen Merkmalen meiner Person, die für mich wichtig sind.

Dazu gehören individuelle Fähigkeiten, der Charakter, soziale Kompetenzen oder das Aussehen.

Bei den Einen haben Erfolge oder Misserfolge mehr Einfluss auf das momentane Selbstwertgefühl, bei Anderen wirken andere Aspekte.

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