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Italien lobt Schweizer Neat-Anstrengungen

Die Konkurrenz im Huckepack: Der kleinere Teil des Güterverkehrs zwischen Nord und Süd wird auf der Schiene transportiert. Keystone

Der bevorstehende Durchschlag am neuen Gotthard-Basistunnel löst auch in Italien Enthusiasmus aus. Denn der Gotthard ist das europäische Herz für die Verbindungen von und nach Italien. Dies wurde bei einer Tagung zur künftigen Bahninfrastruktur in Rom deutlich.

Die Bahnverbindungen zwischen der Schweiz und Italien standen für einen Tag im Brennpunkt einer Tagung, bei der hochrangige Politiker und Bahnfunktionäre aus beiden Ländern am Dienstag im Abgeordnetenhaus Montecitorio von Rom zusammen kamen.

Organisiert wurde das Treffen auf Initiative der jeweiligen parlamentarischen Verkehrskommissionen. Und das erklärte Ziel war, am Regierungssitz in Rom – fern des Gotthards – das Bewusstsein für die grosse Bedeutung der Alpentransversalen ins Bewusstsein zu rücken.

Mehrer Redner betonten daher die “europäische Bedeutung” des neuen Gotthard-Basistunnels. Mit der alleinigen Finanzierung und dem Bau dieses Tunnels erbringe die Schweiz eine enorme Leistung für ganz Europa.

Nach dem bevorstehenden Hauptdurchschlag am 15. Oktober dieses Jahres wird es allerdings noch sieben Jahre dauern, bis der Tunnel in Betrieb genommen werden kann (Dezember 2017).

Italien bereitet sich auf dieses Ereignis vor, um den zu erwartenden Mehrverkehr aus Norden aufzunehmen, wie der Minister für Infrastruktur in Italien, Altero Matteoli, erklärte. Er nannte vier konkrete Baumassnahmen auf italienischem Territorium auf der Gotthard-Südseite.

Kapazität verdoppeln

Eine der zentralen Massnahmen betrifft die Verdoppelung der Linie Chiasso-Monza auf einer Länge von 37 Kilometern. Der italienische Vizeminister für Infrastruktur, Roberto Castelli, erklärte, die nötige Kapazität werde bis 2020 bereit gestellt.

Dazu kommt der Ausbau der Strecke Gallarate-Rho. Ausserdem ist bereits der Ausbau der Linie Mendrisio-Stabio-Arcisate-Malpsensa in Gang.

Eine strategische Bedeutung erhält zudem die Bahnstrecke Novara-Bellinzona entlang des Lago Maggiore. Wann ein Ausbau dieser Strecke, die vor allem für den Güterverkehr via Gotthard von Interesse ist, erfolgen kann, steht aber in den Sternen.

Ganz im Sinne der Schweizer Verkehrspolitik erklärte Minister Matteoli, dass eine Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene auch aus umweltpolitischen Gründen sinnvoll und nötig sei.

Für Italien sei in dieser Hinsicht der Korridor 24 von Genua nach Rotterdam, welcher zwei grosse europäische Häfen verbinde, von entscheidender Bedeutung.

Willen und Determination

Der Tessiner Ständerat Filippo Lombardi, Vizepräsident der Neat-Aufsichtskommission, zeigte sich von den italienischen Zusicherungen beeindruckt: “Noch nie habe ich den Willen und die Bestimmtheit, den Bahnverkehr zu stützen, in Italien so stark gespürt wie heute.”

Lombardi lobte die Anstrengungen im eigenen Land mit dem Bau von Alptransit, nannte aber auch eine Schwachstelle: “Vielleicht sind wir zu isoliert vorgegangen.”

Mit anderen Worten: Die Nachbarländer Italien und Deutschland, die durch Alptransit verbunden werden, hätten vielleicht schon früher aktiver eingebunden werden müssen.

Er betonte schliesslich, wie wichtig es ist, die Zufahrtsrampen zum neuen Gotthard-Tunnel vollständig auszubauen: “Sonst haben wir nachher einen Formel-1-Tunnel, aber die Zufahrtswege sind wie Maultierpfade.”

Auf italienischer Seite versicherte man, die Flaschenhälse beseitigen zu wollen.

Offene Wunde von Cisalpino

Abgesehen vom Thema des neuen Gotthard-Basistunnels kamen bei der Tagung auch die internationalen Zugsverbindungen im Personenverkehr zwischen Italien und der Schweiz zur Sprache. Sie haben sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert, insbesondere seit der Auflösung der Cisalpino AG.

Heftige Kritik wurde insbesondere an der Tatsache geübt, dass die Tagesverbindung zwischen Zürich und Mailand nur noch alle zwei Stunden erfolge. “Das ist doch ein Skandal”, sagte ein italienischer Parlamentarier. Die beiden wirtschaftlich stärksten Metropolen der beiden Länder bräuchten häufigere Verbindungen.

Vizeminister Castelli machte auf wirtschaftliche Probleme aufmerksam. Die italienischen Bahnen müssten eigenwirtschaftlich arbeiten. Und gerade auf den internationalen Achsen sei dies nicht immer möglich.

Das Geschenk Leuenbergers

Castelli lobte indes ausdrücklich die Zusammenarbeit mit der Schweiz. Und er würdigte den scheidenden Verkehrsminister Moritz Leuenberger, den er “einen Freund” nannte.

Leuenberger habe ihm bereits ein Ticket geschenkt, damit er 2017 als einer der ersten durch den neuen Gotthard-Tunnel fahren können. Dieses Billett habe er eingerahmt und in seinem Büro aufgehängt.

Zudem verriet Castelli noch eine weitere Neuigkeit: Die Schweiz und Italien arbeiteten nun in der Verkehrspolitik auch auf dem Wasserweg zusammen. Man sei übereingekommen, gemeinsam die Wiederbenutzung des historischen Wasserwegs Locarno-Venezia über den Lago Maggiore und Po zu unterstützen.

Der internationale Personen-Zugsverkehr zwischen Italien und der Schweiz hat sich in den letzten Jahren verschlechtert.

Die Zahl der Verbindungen ist von 32 Zugspaaren (2000) auf 14 Zugspaare (2010) geschrumpft.

Von Mailand gibt es nur noch sieben Direktverbindungen nach Zürich (tagsüber alle zwei Stunden) und in Gegenrichtung, sowie dieselbe Anzahl zwischen Genf/Basel und Mailand.

Trenitalia und SBB teilen sich die Fahrten. Die traditionellen Nachtzüge aus der Schweiz nach Rom wurden zum Fahrplanwechsel 2009/2010 eingestellt.

Trenitalia verabschiedet sich zusehends von seinen Verbindungen mit dem Ausland und konzentriert seine Anstrengungen ganz auf den Binnenverkehr, vor allem die Hochgeschwindigkeits-Strecken (Mailand-Rom).

Über drei von sieben überregionalen italienischen Grenzbahnhöfen verkehren überhaupt keine internationalen Tageszüge mehr (Ventimiglia, Triest, Tarvisio).

Von der Schweiz aus gibt es nur noch einen internationalen Italien-Zug, der über Mailand hinaus verkehrt: Der Eurocity Genf-Venedig.

Mit einem gemeinsamen Tochterunternehmen namens “Cisalpino” unternahmen die italienischen Staatsbahnen (Trenitalia) und die Schweizer Bundesbahnen (SBB) 1993 den Versuch, den grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr zwischen Italien und der Schweiz zu koordinieren und zu verbessern.

2009 wurde dieser Versuch einvernehmlich beendet.

Die Cisalpino-Flotte bestand vor allem aus Neigezügen des Typs ETR 470.

Wegen unzähliger Pannen und Verspätungen waren diese Züge ständiger Kritik von Fahrgästen und Medien ausgesetzt.

Die neue Generation der Cisalpino-Züge (ETR 610) zeigt sich wesentlich verlässlicher, doch kann sie wegen technischer Probleme in den Kurven nicht auf der Gotthard-Strecke eingesetzt werden, für die sie eigentlich bestellt worden waren.

Sie verkehren ausschliesslich zwischen Mailand und Genf/Basel.

Nach der Auflösung der Cisalpino AG wurde die Cisalpino-Flotte unter den beiden Gesellschaften Trenitalia und SBB aufgeteilt.

Seit Dezember 2009 verkehren die Züge als EC unter dem Namen der jeweiligen Gesellschaft.

Insbesondere auf der Gotthard-Strecke bestehen nach wie vor Probleme mit den einstigen CIS-Zügen.

Im Gegensatz zur Schweiz werden in Italien nur relativ wenig Güter auf dem Schienenweg befördert.

Nach einer Erhebung des italienischen Arbeitgeberverbandes Confindustria handelt es sich um nur 9,4 Prozent der transportierten Waren.

Dieser Ansatz liegt weit unter dem europäischen Mittelwert von 17 Prozent.

In der Schweiz erreichte der Marktanteil (Modalsplit) der Schiene im alpenquerenden Güterverkehr gegenüber der Strasse mit 62,4 Prozent im ersten Semester 2010 wieder annähernd die Werte von vor der Wirtschaftskrise.

Im reinen Inland-Verkehr liegt der Anteil der Schiene gegenüber der Strasse aber tiefer.

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