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Verbier Festival öffnet Türen zu Tanz und Literatur

Mischa Maisky und Tochter Lily Maisky interpretieren am Festival von Verbier Klaviermusik von Chopin. Nicolas Brodard

Höchstes künstlerisches Niveau, Ausbildung, Natur und kulturelle Ferien, das ist laut Gründer Martin Engstroem die Erfolgsformel des Verbier Festivals, das dieses Jahr seine 20. Auflage erlebt. Künftig will der Leiter das Spektrum um Tanz und Literatur erweitern.

Unter der Leitung des Schweizer Dirigenten Charles Dutoit ertönte am 19. Juli zur Eröffnung des 20. Musikfestivals von Verbier, das bis am 4. August dauert, die 9. Symphonie von Beethoven. Dem Anlass verdankt der Ferienort im Kanton Wallis seinen Weltruf unter Liebhabern klassischer Musik.

Damit hat sich Martin Engstroem einen Traum erfüllt. Der charismatische und mehrsprachige Schwede begann seine Laufbahn als Konzertagent, bevor er in der Musikindustrie führende Positionen übernahm.

“Ich war Konzertagent in Paris, bis Mitte der 1980er-Jahre der Terrorismus im Zusammenhang mit dem Konflikt im Nahen Osten das Leben in der Stadt unmöglich machte”, erläutert der Festivalleiter gegenüber swissinfo.ch.

“Deshalb beschlossen wir, mit der Familie wegzuziehen und 1986 liessen wir uns in Montreux nieder. Freunde erzählten uns dann von Verbier. 1991 mietete ich ein Chalet und verliebte mich in den Ort. In der Tat finde ich die Berge im Sommer spektakulärer als im Winter.”

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Ein Tag Musik in Verbier

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Sommertourismus fördern

Damals war Verbier noch kein exklusiver Ferienort. Die Gemeindebehörden beauftragten Engstroem mit der Organisation eines Anlasses, um während des Sommers Besucher anzuziehen und das Image Verbiers als zweitklassiger Ferienort zu verbessern.

“Sie wollten ein Konzept, um Verbier für die vorwiegend reichen Chaletbesitzer attraktiver zu machen. Ich glaube, dass wir das nach 20 Jahren erreicht haben”, meint er.

“Die Idee eines Festivals entstand, weil ich einen Anlass organisieren wollte, an dem ich das letzte Wort haben konnte”. Dafür konnte Engstroem mit der Unterstützung Avi Shoshanis rechnen, dem Generalsekretär des Philharmonischen Orchesters Israels mit besten Beziehungen zum mehr oder weniger geschlossenen Zirkel der klassischen Musik.

Festival Verbier

Der Mann aus Tel Aviv

“Avi ist für mich wie ein Bruder. 1991 kam er mit seiner Familie für die Sommerferien nach Verbier und ich erzählte ihm von meinem Projekt. Er unterstützte mich sofort. Zum Teil ist es seinem Freundeskreis zu verdanken, dass wir von Beginn an ein hohes künstlerisches Niveau erreichten”.

“Während der ersten Spielsaison kamen die Musiker, weil sie meine persönlichen Freunde waren, wie z.B. der Dirigent Zubin Mehta oder der Geiger Pinchas Zukerman. Doch dann kamen sie, weil das Projekt gewachsen war und das Modell Verbier zu einer anerkannten Marke wurde”, erläutert Shoshani am Telefon aus Israel.

Und er fügt hinzu: “Ich glaube, dass wir die richtige Formel gefunden haben. Unsere Herausforderung besteht darin, das gegenwärtige und nur schwer zu übertreffende Niveau aufrechtzuerhalten”.

Musiker, die in Verbier auftreten, erwähnen oft, dass ihnen das Festival ermöglicht, einige ruhige Tage mit der Familie und Freunden zu geniessen. Treffen abseits der Öffentlichkeit dienen dazu, sich unter Seinesgleichen auf dem Laufenden zu halten und neue Projekte zu entwerfen. Eine Seltenheit in einem Beruf, wo Stress, Flugzeuge, Proben und einsame Hotelzimmer zum Alltag gehören.

1953 in Stockholm geboren, studierte er Musikgeschichte und Russisch und begann seine Laufbahn als Konzertagent in seiner Geburtsstadt.

Ab den 1970er-Jahren lebte er erst in London und später in Paris, wo er als Agent für Künstler und Konzerte tätig war.

1986 liess er sich in Montreux nieder und arbeitete als Berater für die Schallplattenfirma EMI France. Von 1999 bis 2003 war er Vizepräsident der Firma Deutsche Grammaphon.

Bis 2005 arbeitete er in der Musikindustrie und entdeckte zahlreiche heutige Stars klassischer Musik wie die russische Sopranistin Anna Netrebko, die französische Pianistin Hélène Grimaud oder die Chinesen Lang Lang und Yundi Li.

Unvergessliche Erinnerungen

Verbier heisst aber nicht nur klassische Musiker willkommen. In seinen Sälen sind auch Schriftsteller wie Yasmina Reza oder Paolo Coelho, Filmschauspielerinnen wie Vanessa Redgrave oder die Schweizerin Marthe Keller und Sänger wie Ute Lemper oder Rufus Wainwright aufgetreten.

Mit Wehmut erzählt Avi Shoshani von “erinnerungswürdigen Augenblicken wie dem Besuch der isländischen Popsängerin Björk oder als der legendäre britische Schauspieler Sir Ben Kingsley die Briefe von Dmitri Schostakowitsch las. Oder das Konzert des Geigers Maxim Vengerov während eines starken Gewitters, als sich die Gäste auf der Bühne um ihn scharten, um ihn überhaupt zu hören. Diese Nähe und Intimität bewirkten einen magischen Augenblick”.

Anekdoten gibt es auch zu der Unterstützung durch Sponsoren, ohne die Festivals wie jenes in Verbier nicht möglich sind. “Ich werde nie vergessen, als uns Helmut Maucher, damaliger CEO von Nestlé, seine finanzielle Unterstützung zusicherte, bevor wir überhaupt die ersten Schritte unternommen hatten. ‘Ich glaube an euch und euer Projekt, deshalb werde ich euch unterstützen'”, erinnert sich Shoshani an die Worte des ehemaligen Wirtschaftskapitäns.

1994 gegründet, gehört es zusammen mit jenen in Luzern und Gstaad zu den wichtigsten Anlässen für klassische Musik der Schweiz.

Das Treffen im Kanton Wallis ist dank seiner Akademie und seines Orchesters bekannt, wo junge Musiker unter 30 aus aller Welt ausgebildet werden. Der Schweizer Dirigent Charles Dutoit leitet das Festivalorchester.

Unter der Leitung weltberühmter Dirigenten lernen junge Musiker, Symphonie- und Kammermusik zu spielen. Zudem geben bekannte Solisten Meisterkurse, die oft auch dem Publikum offen stehen.

In Verbier sind die besten Künstler der Gegenwart für klassische Musik aufgetreten, von den Pianisten Martha Argerich und Jewgeni Kissin, über die Violinisten Maxim Vengerov oder Gidon Kremer bis zu den Dirigenten Zubin Mehta, James Levine oder Michael Tilson-Thomas sowie verschiedene Schauspieler und Schriftsteller.

Die diesjährige Ausgabe, die vom 19. Juli bis zum 4. August dauert, verfügt über ein Budget von 9,3 Mio. Franken.

Künftige Generationen ausbilden

“Geld steht immer im Mittelpunkt aller Probleme und aller Möglichkeiten”, bestätigt Martin Engstroem. Für die Projekte, zu denen auch die musikalische Ausbildung gehört, eine der grossen Errungenschaften des Festivals – steht ein Jahresbudget von fast 10 Mio. Franken zur Verfügung.

“Ich glaube, dass die Zukunft in der ständigen Weiterbildung junger Musiker liegt. Auch Sommerlager für Kinder haben grossen Erfolg. Verbier ist wie eine Insel, auf der junge Musiker Anregungen und Inspiration finden können. Ich verrate ihnen auch, dass wir für die Zukunft Anlässe für Tanz und Literatur planen”, erläutert der Festivalleiter weiter.

In der Schweiz gibt es unzählige Festspiele für klassische Musik. Ist es möglich, in wirtschaftlich angespannten Zeiten weiterhin so viele Anlässe zu veranstalten? “Es gibt auch viele Musiker und jedes Jahr schliessen noch mehr das Konservatorium ab. Es gibt ja auch immer mehr Architekten oder Anwälte. Zum Schluss werden diejenigen überleben, die mehr Talent haben und kreativer sind als andere. Dasselbe wird mit den Musikfestivals geschehen”, glaubt Martin Engstroem.

“Wir haben es geschafft, das grösste Musikfestival Europas ausserhalb einer Grossstadt zu organisieren. Wir vereinen Ausbildung, Natur und kulturelle Ferien, in welche wir auch Kinder und Jugendliche integrieren. Diejenigen, die uns kritisieren, wir förderten ein Star-System, beneiden schlichtweg unseren Erfolg”.

Am vergangenen Sonntag trafen sich die Stars der klassischen Musik zur Feier der 20. Ausgabe des Festivals. Verbier bot einem vollen Konzertsaal ein Konzert in zwei Teilen.

Zu Beginn interpretierten bekannte Solisten während zwei Stunden Kammermusik. Die chinesische Pianistin Yuja Wang eröffnete den Abend; ihr folgten u.a. der Klarinettist Martin Frost und die Geiger Leonidas Kavakos und Ilya Gringolts.

Zu ihnen gesellten sich auch der kanadische Popsänger Rufus Wainwright und der jamaikanische Jazzmusiker Monty Alexander.

Der zweite Teil bot die 24 Präludien für Klavier von Chopin in einem Arrangement für verschiedene Instrumente von Dmitri Sitkovetsky. So wurde Chopins Musik von Misha Maitsky am Violoncello oder von Renaud Capuçon mit der Geige oder den Franzosen des Quatuor Ebène interpretiert.

(Übertragung aus dem Spanischen: Regula Ochsenbein)

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