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“Diesen Beruf musst du leben”

Ein junger Mann lächelt in die Kamera
Roman Heidelberger. swissinfo.ch

Roman Heidelberger, 29, hat letztes Jahr den Hof des Vaters übernommen. Dieser ist jetzt bei ihm angestellt. Der junge Bauer arbeitet bis zu 70 Stunden pro Woche, ohne Ferien – für 10 Franken in der Stunde. Er will nicht tauschen.

Der Boden sei noch zu feucht. “Heute fahr ich nicht mit dem Traktor aufs Feld”, sagt Roman Heidelberger. Der 29-Jährige trägt schwere Arbeitsschuhe; in den Furchen seiner Hände klebt Erde. Heidelberger ist bereits seit fünf Uhr wach. Wenn sein Vater morgens in den Stall geht, könne er aber etwas länger schlafen.

Heidelbergers leben und arbeiten an der Strassennummer 1 – eine Nummer 2 gibt es nicht. Wald auf zwei Seiten, ein zweiter Landwirtschaftsbetrieb in Sichtweite. Nur die landenden Flugzeuge erinnern daran, dass der Flughafen Zürich gerade mal zehn Autominuten entfernt ist. An den Fluglärm gewöhne man sich, sagt der Jungbauer. Er ist auf dem Hof aufgewachsen, den er vergangenes Jahr von seinem Vater übernommen hat. “Ich wollte anfangen selbst die Entscheidungen zu treffen, denn schliesslich geht es um unsere Zukunft.”

Traktor vor Bauernhaus
Der Hof im Kanton Zürich. swissinfo.ch

Den ersten Schritt dazu habe er gemacht, sagt er. Und die Frage ausgesprochen, wann der Vater bereit sei, den Hof zu übergeben. “Erst sagte er: aufs Rentenalter hin. Als er dann gemerkt hat, dass meine Frau und ich ernsthaft wollen, ist er auf 60 eingelenkt.”

Jetzt ist der 29-Jährige formell Chef seines Vaters. In den Jahren davor wurden seine Frau und er stetig mehr in den Betrieb integriert, etwa indem ihnen der Vater ein Bohnenfeld verpachtete. Der Generationenwechsel vollzog sich Schritt für Schritt – und startete früh.

Sehr früh: Schon als Kind hat Roman an schulfreien Nachmittagen auf dem Hof geholfen. “Nicht unbedingt, weil ich musste, sondern weil ich es auch gerne gemacht habe.” In der Sekundarschule sei es relativ klar gewesen, dass er eine landwirtschaftliche Lehre machen will. Als die Entscheidung gefallen ist, war es klar, dass der Hof eines Tages an ihn übergeht. Er ist ein Einzelkind.

Hof bleibt in der Familie

In seinem Ausbildungsjahrgang gab es einige, die keine Aussicht darauf hatten, einen Hof innerhalb der Familie zu übernehmen. “Die haben es nicht leicht”, meint Heidelberger. Laut einer auf Stichproben beruhenden Erhebung des Bundesamts für Statistik waren 2016 nur etwa zehn Prozent der über 50’000 Landwirtschaftsbetriebe in der Schweiz ausserhalb der Familie verpachtet – und auf gerade einmal 1500 war ein Betriebsleiter angestellt, der nicht zur Familie gehört.

Dieser Zwei-Generationen-Betrieb ist beispielhaft für die familiäre Prägung der Landwirtschaft in der Schweiz. Aber oft ist die Nachfolge nicht gesichert: Bei jedem fünften Betrieb mit einer Leitung jenseits der 50 ist die Weiterführung innerhalb der Familie gemäss Bundesamt für Statistik unwahrscheinlich, bei einem weiteren Drittel ist sie ungewiss. Und die Bauern überaltern: Jeder zweite ist mindestens 50jährig, und fast 3000 Bauern sind bereits älter als 65.

Heidelberger gehört zu den 1500 jüngsten Landwirten mit Hof schweizweit, zu den jüngsten 3 Prozent.

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Erst kürzlich seien die Eltern aus vier Wochen Urlaub zurückgekehrt. Für den Jungbauern aber war das letzte Jahr das erste ohne Ferien – und auch in diesem werden seine Frau und er nicht verreisen können. Es stört ihn weniger, als er befürchtet hatte. Arbeit könne erholsam sein. Bis zu 70 Stunden arbeitet er pro Woche. “Diesen Beruf musst du leben.”

Beide wussten, auf was sie sich einlassen: Heidelbergers Frau ist Bauerntochter. Das Ehepaar hat vorgeholt. In den Jahren vor der Übernahme sind sie viel gereist. Heute arbeitet Heidelbergers Frau auch noch Teilzeit im Verkauf von landwirtschaftlichen Produkten.

Schweizer Höfe sind klein

Heidelberger zeigt swissinfo.ch seine Kühe, seine Zuckerrüben-, Weizen- und Rapsfelder. Zum Raps nehmen wir das Auto. Heidelberger bewirtschaftet eine Fläche von 50 Hektaren – das ist viel für Schweizer Verhältnisse. Aber Heidelberger hat Landwirtschaftsbetriebe anderswo gesehen. “In Kanada nutzen sie ein Feld wie dieses, um ihre Maschinen zu wenden.”

Obwohl die Schweizer Landwirtschaft im internationalen Vergleich kleinräumig ist, möchte Heidelberger nirgends sonst Bauer sein. Die Vielfalt sei einzigartig. “Wir müssen hier auf jedem Feld jedes Jahr etwas anderes anbauen. In der Schweiz gilt die Fruchtfolge.” In anderen Ländern habe man beispielsweise zehn Jahre am Stück bloss Mais – und dann sei der noch genmanipuliert.

Heidelberger sagt, die Bevölkerung stelle unrealistische Ansprüche an die heimische Landwirtschaft: “Man soll alles in kürzester Zeit produzieren und gleichzeitig wünscht man sich eine Landwirtschaft wie zu Gotthelfs Zeiten: möglichst ökologisch, möglichst ohne Pflanzenschutzmittel, möglichst ohne grosse Maschinen.” Die Direktzahlungen, die er erhält, sieht er als Lohn für einen Dienst an der Gemeinschaft. “Blumenwiesen bringen keinen Ertrag und machen mir als Bauer bloss Arbeit.”

Jung und offen

Heidelberger sagt, er sei für Veränderungen offen – offener als sein Vater: “Es gibt verschiedene Anbaumethoden. Da will ich immer ausprobieren.” Ist Bio für ihn ein Thema? “Ich denke darüber nach, weil die Politik darüber nachdenkt. Aber ich stelle sicher nicht heute oder morgen um.” Wichtiger als bio sei, dass die Bevölkerung Produkte aus der Region kaufe.

Sein Vater wird sich irgendwann aus dem Betrieb zurückziehen. Mit einem Lehrling soll die Arbeit bewältigbar bleiben. Damit er künftig einen beschäftigen darf, hat Heidelberger Junior die Prüfung zum Meister-Landwirt absolviert.

Heidelberger findet, wenn man so viel arbeitet, dürfe man auch die Vorzüge bekannt geben. Die sind? “Wir können unsere Pausen selber einteilen.” Und Traktorfahren. “Aber wir haben den Traktor natürlich nicht nur zum Spass.”

Serie: Jungbauern in der Schweiz

Betriebe verschwinden, die bewirtschaftete Fläche bleibt stabil – also werden die Betriebe grösser. Jeden Tag geben drei Bauern auf, 10 000 sind es pro Jahrzehnt: Gab es 2000 schweizweit noch um die 70 000 Betriebe, waren es zehn Jahre später knapp 60 000 und 2017 noch 52 000. Gründe dafür sind Globalisierung, sinkende oder stagnierende Produktpreise – und die Hindernisse für den Nachwuchs. Junge Landwirte, die innerhalb der Familie keinen Hof in Aussicht haben, suchen manchmal fünf Jahre und länger im ganzen Land, bis sie einen geeigneten Betrieb finden. Oft scheitern sie am fehlenden Angebot; oft an der Finanzierung. Mittlerweile existieren mehrere Anlaufstellen, die zwischen hofsuchenden Landwirten und Betriebsinhabern vermitteln, sowohl bei der Pacht als auch beim Kauf. Auch in Politik und Behörden ist man sich der Problematik bewusst. Eine erste Massnahme könnte eine Änderung des Pachtrechts sein, erklärte der ehemalige Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann vor rund einem Jahr im ParlamentExterner Link. Der Schweizerische Bauernverband erklärt auf Anfrage, man erachte es als grosse Herausforderung “auch in Zukunft genügend junge Menschen dazu zu motivieren, in die Landwirtschaft einzusteigen oder den elterlichen Hof zu übernehmen.”

Über 45 000 Betriebe erhielten 2017 insgesamt 2,8 Milliarden Franken Direktzahlungen, etwa für die Pflege von Artenvielfaltswiesen. Diese Beiträge sind für die meisten Bauern, insbesondere in Bergregionen, existenziell.

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