Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Kampf der schweren, bösen Männer im Sägemehl

Der Toggenburger Jörg Abderhalden ist Schwingerkönig 2007. Keystone

Aarau war übers Wochenende die Hauptstadt der traditionellen Schweiz. Am Eidgenössischen Schwingfest massen sich 280 Schwinger vor 200'000 Besuchern.

Das Fest begann Samstag in der Früh. Unter blauem Himmel erklang beim Einmarsch der Athleten die Nationalhymne. Schwingerkönig wurde am Sonntag der Favorit Jörg Abderhalden.

Schwingfans sind bodenständig und diszipliniert. Um den Beginn nicht zu verpassen, sind die meisten bereits am Freitag angereist.

In Gruppen, die Deckelkappe mit dem Logo des Anlasses auf dem Kopf. Die meisten mit dem Zug, dem Aufruf der Organisatoren entsprechend.

Gekommen sind auch der UNO-Sonderberater für Sport Adolf Ogi und die Schweizer Volkswirtschaftsministerin Doris Leuthard.

Die offizielle Rede am Sonntag hielt nicht – wie bei solchen Anlässen üblich – die amtierende Bundespräsidentin und bekennende Feministin, Micheline Calmy-Rey, sondern der bodenständige Militär- und Sportminister Samuel Schmid.

“Den Schwingerfreunden wird’s recht sein”, frohlockt deshalb das Fachblatt Schlussgang.

Schwingen ist Wettkampf unter kräftig gebauten Männern. Kulinarische Königin ist die Bratwurst, flüssige Ergänzung das Bier. Die grösste Brauerei des Landes karrt 600’000 Bier-Flaschen auf den Festplatz.

Neuste Technik und Traditionen

Die Brauerei gehört den Dänen. Die Dampffahne des Atomkraftwerks Gösgen raucht gleich nebenan, und die Verpflegungsstände des Grossverteilers heissen EatingPoint.

Das Schweizer Fernsehen setzt eine Hightech-Kamera ein. Sie hängt an einem Seilzugssystem über den Schwingern und liefert spektakuläre Bilder aus der Vogelperspektive.

“Die Reaktionen in der Bevölkerung zeigen ganz klar, dass es eine sehr grosse Sehnsucht nach Traditionen und nach Wurzeln gibt. Und das ist eine positive Erscheinung in der globalisierten Welt”, hält der Präsident des Organisations-Komitees gegenüber swissinfo fest.

Rainer Huber ist Mitglied der Aargauer Kantonsregierung und rühmt den “unglaublich bedeutenden Anlass mit sehr grosser nationaler Ausstrahlung” als “marketingmässig wichtige Sache für den Kanton”.

Entsprechend hoch ist der Aufwand. Das Festareal war vor drei Jahren noch praktisch unerschlossen. Seither wurden Strassen gebaut, Wasserleitungen und Kanalisationen verlegt und die Versorgung mit Elektrizität sichergestellt.

Abderhalden Jörg

“Die gesellschaftliche Anerkennung des Schwingsportes ist absolut ungebrochen”, freut sich der Obmann des Eidgenössischen Schwingerverbandes, Hans Pauli, im Gespräch mit swissinfo.

Die meisten Schwinger kommen aus den ländlichen Gegenden der Deutschschweiz. “Im Tessin gibt es nur vereinzelt Schwinger, aus der Romandie kommen immerhin 20%.”

Schwingen ist reiner Amateursport. Der Sieger erhält einen Muni. Kühe, Pferde und Treicheln warten auf die Nächstplatzierten.

Der Toggenburger Abderhalden Jörg, der grosse Favorit, wurde zum dritten Mal nach 1998 und 2004 Schwingerkönig und egalisierte so den dreifachen König, den Berner Hunsperger Rudolf.

“Es ist nicht so, dass wir die Namen verdrehen. Früher trugen die Leute lediglich den Namen ihrer Sippe. Das ist eine ganz alte Tradition”, wehrt sich Pauli Hans.

Unveränderte Regeln

Der Start ist Abderhalden Jörg nicht nach Wunsch gelungen. Im ersten Gang reichte es gegen Grab Martin lediglich zu einem Gestellten, also zu einem Unentschieden. Die Zeit war abgelaufen, bevor einer der beiden im Sägemehl landete.

Abderhalden und Grab sind Modellathleten, 1 Meter 88, respektive 1 Meter 94 gross und je 120 Kilogramm schwer. Einst waren Schwinger Bauern oder Sennen. Heute sind sie Bauern, Käser, Schreiner oder Lastwagen-Chauffeure.

Die sportlichen Regeln sind streng. “Es sind immer noch die gleichen wie vor hundert Jahren. Das Umfeld hingegen hat sich verändert”, hält Pauli Hans fest.

Schwinger starb an Herzversagen

Das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest wurde am Samstag vom Tod des Schwingers Peter Gasser aus Lungern überschattet.

Der 28-jährige Athlet klagte nach dem dritten Gang ausserhalb der Arena über Unwohlsein. Mit der Ambulanz wurde er in die nahe gelegene Hirslanden-Klinik überführt. Dort starb er trotz einstündiger Reanimationsversuche an einem Herzstillstand.

Gasser hatte in den vergangenen Wochen schon zweimal über dieselben Symptome geklagt.

Die Angehörigen Gassers akzeptierten den Entscheid, das Fest weiterzuführen. Am offiziellen Festakt des Schwingfests haben die Besucherinnen und Besucher am Sonntagmorgen eine Gedenkminute für den Verstorbenen eingelegt. Bundesrat Samuel Schmid drückte seine Anteilnahme aus.

swissinfo, Andreas Keiser, Aarau

Eidgenössische Schwingfeste finden alle 3 Jahre statt. 2004 war Luzern Austragungsort, 2010 wird es Frauenfeld sein.

Qualifiziert werden die Athleten von den 5 regionalen Schwingverbänden aufgrund ihrer Platzierungen bei kantonalen und Berg-Schwingfesten.

Das Budget des Schwingfestes Aarau beträgt fast 13 Millionen Franken.

Die Wettkämpfe finden in einer extra für den Anlass erstellten Arena mit Platz für 48’500 Personen statt.

Sieben Schwingplätze aus Sägemehl mit Durchmessern von 14 Metern stehen zur Verfügung.

Ein Gang ist entschieden, wenn ein Schwinger auf dem Rücken ganz oder bis Mitte beider Schulterblätter den Boden berührt.

Benotet wird die schwingerische Arbeit – für den Sieger des Ganges mit einer Note von 9,25 bis 10, für den Verlierer mit 8 bis 8,75 Punkten.

Für einen gestellten Gang (Unentschieden) gibt es zwischen 8,25 bis 9 Zähler.

2007 Aarau: Jörg Abderhalden
2004 Luzern: Jörg Abderhalden
2001 Nyon: Arnold Forrer
1998 Bern: Jörg Abderhalden
1995 Chur: Thomas Sutter
1992 Olten: Silvio Rüfenacht
1989 Stans: Adrian Käser
1986 Sitten: Heinrich Knüsel
1983 Langenthal: Ernst Schläpfer
1980 St. Gallen: Ernst Schläpfer
1977 Basel: Arnold Ehrensberger
1974 Schwyz: Rudolf Hunsperger (zusätzlich 1966, 1969)

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft