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Manipulierte oder informierte Parlamentarier?

Schedische Kampflugzeuge werden zum Spielball der Politik. Keystone

Die Enthüllung geheimer Berichte des schwedischen Botschafters in Bern sorgen in der Schweiz für Schlagzeilen und Kommentare. Der Diplomat soll - im Zusammenhang mit der Beschaffung schwedischer Kampfjets für die Schweizer Armee - enge Kontakte zu Verteidigungsminister Ueli Maurer und ausgewählten Parlamentariern gehabt haben.

Laut den am Dienstag vom schwedischen Radio veröffentlichen Papieren mischte sich Botschafter Per Thöresson in den parlamentarischen Prozess der Schweiz ein. Er habe vor dem Parlamentsentscheid zum Kauf des schwedischen Kampfjets Gripen “tatkräftig Überzeugungsarbeit” und dem Verteidigungsdepartement und dessen Chef “rührig Schützenhilfe geleistet”, schreibt die Neue Zürcher Zeitung NZZ. Der schwedische Diplomat habe enge Kontakte mit den meisten Protagonisten des Gripen-Geschäfts gehabt.

“Insgesamt erstaunt der Inhalt der Korrespondenz aber nicht”, relativiert die NZZ sogleich. Die Dokumente “belegen vielmehr die für ein Geschäft solchen Kalibers zu erwartende Lobbyarbeit”. Peinlich sei die Sache aber für Schwedens Diplomatie, weil sich ihr Botschafter in den enthüllten Berichten schon zum zweiten Mal unvorteilhaft über einzelne Schweizer Politiker geäussert habe. “Wiederholt taxiert Thöresson den Verteidigungsminister als Risiko, da dieser Beleidigungen aussprechen oder sich sonstige Patzer erlauben könnte.”

Am 18. Mai stimmt das Schweizer Stimmvolk über die Beschaffung von 22 Gripen Kampfjets für die Schweizer Armee ab. Der Kauf würde die Schweizer Steuerzahler 3,1 Mrd. Fr. kosten.

Die Schweizer Luftwaffe besitzt aktuell 32 Jets des Typs F/A-18 Hornet und 54 des Typs F-5 Tiger.

 Die Gripen-Jets des schwedischen Herstellers Saab sollen die veraltete Tiger-Flotte ersetzen.

Der Gripen hatte in Konkurrenz mit dem Rafale des französischen Herstellers Dassault und dem Eurofighter des europäischen Konsortiums EADS gestanden.

Informationen für Ausgewählte

“Man staunt  wie stark die Gripen-Befürworter im Parlament gemeinsame Sache mit den Schweden machten”, meint hingegen der Tages-Anzeiger. Beeinflussungsversuche durch Lobbyisten gehörten zwar zum Leben eines Parlamentariers, und es sei sogar dessen Aufgabe, sich relevante Informationen zu beschaffen, heisst es im Kommentar unter dem Titel “Schwedische Souffleure”.  Aber “wenn das Parlament über ein Milliardengeschäft befindet, sollte die vorberatende Kommission umfassend informiert werden, und nicht bloss ausgewählte Mitglieder bei klandestinen Treffen in ausländischen Botschaften”.

Auch die Kommentare der politischen Gegner des Kampfjets liessen nicht lange auf sich warten. “Es scheint, dass es der Bundesrat akzeptiert hat, mit den Schweden zusammenzuarbeiten, um das Schweizer Volk zu täuschen”, lässt sich Christian Levrat, Präsident der Sozialdemokratischen Partei, in der Westschweizer Tageszeitung Le Matin zitieren.

Noch weiter geht der Grüne Christian van Singer: “Ueli Maurer hat mit dem Ausland ein Komplott geschmiedet, um uns Schrott zu verkaufen. Das ist Verrat und des Rangs eines Bundesrats unwürdig”, poltert der Waadtländer Nationalrat in der gleichen Zeitung.

Einen Tag nachdem der aktuelle Botschafter Per Thöresson in der Schweiz erneut in die Negativschlagzeilen geriet, gibt Schweden seinen Nachfolger bekannt. Thöresson wird nach New York versetzt.

Die schwedische Regierung hat Magnus Holm zum neuen Botschafter in der Schweiz ernannt. Holm hat bereits in Tallinn, Berlin und Tokio gearbeitet. Zurzeit ist der Botschafter bei der nordischen Kooperation.

Wie es in einer Mitteilung der schwedischen Regierungskanzlei heisst, wird der neue Botschafter seine Arbeit in Bern im Herbst 2014 aufnehmen. Dabei handle es sich um eine normale Ablösung, die schon länger geplant gewesen sei, wie ein Sprecher der schwedischen Regierung gegenüber Tagesanzeiger.ch/Newsnet sagte.

Ausländischer Nachrichtendienst?

“Wo ist das Leck der Gripen-Geheimpapiere?”, titelt die Südostschweiz und zitiert aus dem geheimen Bericht des schwedischen Botschafters an dessen Heimat: “Nach Kontakten mit den wichtigsten Akteuren in den letzten Wochen kommen wir zum Schluss, dass sich die Situation verbessert hat. […] Ein klares ‘Nein’ zur Beschaffung ist so gut wie ausgeschlossen und eine Verschiebung ist unwahrscheinlich”.

Thöressen habe recht behalten, folgert die Ostschweizer Tageszeitung. “Die vorberatende Kommission sprach sich für den Kauf des Gripen aus. Spannender ist aber, dass der Botschafter (…) jene Sicherheitspolitiker zum Gespräch lud, von denen er sich einen Meinungsumschwung erhoffte. Diese waren insbesondere in der FDP [Freisinnig demokratische Partei] zu finden, hatte sich die Partei im Frühling zuvor doch kritisch gegenüber dem Gripen-Kauf geäussert.”

Die grosse Frage sei aber, wie die brisanten Dokumente in die Hände des schwedischen Radios gelangten. Der Zeitpunkt der Publikation wenige Tage vor der Volksabstimmung über die Beschaffung des Gripen sei für das Lager der Befürworter äusserst ungünstig. FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger schliesse deshalb nicht aus, schreibt die Südostschweiz, “dass das Leck bei unterlegenen Kampfjet-Anbietern oder den Nachrichtendiensten derer Staaten liegen könnte – diese hätten ein Interesse daran, dass der Gripen-Deal scheitere.” 

Keinen Kommentar auf die Enthüllungen gab es bisher aus dem Verteidigungsdepartement. Der Armeechef habe es abgelehnt, zur “Verbreitung von internen Notizen” Stellung zu nehmen.    

Die ausländischen Lieferanten haben sich verpflichtet, den Vertragswert zu 100% in der Schweizer Industrie zu kompensieren, was Gegengeschäften im Umfang von 2,5 Mrd. Fr. entspricht (626 Mio. Fr. entfallen auf Schweizer Lieferanten und sind nicht kompensationspflichtig).

2,2 Mrd. Fr. davon entfallen auf den Hersteller Saab.
Dieser hat bisher gemäss eigenen Angaben mit rund 100 Schweizer Unternehmungen Geschäfte im Umfang von 400 Mio. Franken abgeschlossen. Davon sind laut der Rüstungsbeschaffungsstelle Armasuisse bisher 250 Mio überprüft und akzeptiert worden.

Ein Kompensationsgeschäft kann direkter oder indirekter Natur sein. Bei direkten Offsets müssen alle Gegengeschäfte direkt mit der betreffenden Rüstungsbeschaffung in Verbindung stehen. Im Fall des Gripen sind dies beispielsweise die in der Schweiz produzierten Komponenten des Kampfjets.

Indirekte Offsets beziehen sich nicht auf die betreffende Rüstungsbeschaffung und können Industrieaufträge, Technologietransfers, gemeinsame Entwicklungen, Marketing-/Vertriebsunterstützung usw. beinhalten.

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