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Poeten der Werbung

Der am 1. Januar 2017 verstorbene Basler Künstler Karl Gerstner. Keystone

Mit dem Grafiker Karl Gerstner ist der letzte der Gründer der Basler Werbeagentur GGK gestorben. Die GGK stieg zu Beginn der 1960er Jahren innert kürzester Zeit zu einer von Grossfirmen wie IBM, VW und Nestlé umworbenen Agentur auf und mit ihren populären Inseraten für die Fluggesellschaft Swissair prägte sie das Bild der Schweiz im Ausland über Jahrzehnte mit. Verantwortlich für ihren Erfolg war eine kompromisslose Mischung aus ausgefallenen Texten, konsequenter Schweizer Grafik und dem Willen, auch Konsumenten als Leser ernst zu nehmen: Ein Ausflug in die wilden Anfänge der Schweizer Kreativwirtschaft. 

Am ersten Tag des Jahres 2017 ist der Schweizer Grafiker Karl Gerstner gestorben und mit ihm auch der letzte von drei grossen Buchstaben: Er war das einzig verbliebene G der GGK. Die Werbeagentur GGK war 1959 von Gerstner und dem Historiker und Schriftsteller Markus Kutter in Basel gegründet worden. 1963 kam mit Paul Gredinger ein weiteres G und ein Architekt hinzu, der sich mehr für elektronische Musik interessierte als für Häuser. Die Mischung der Interessen war Programm: Gerstners erklärtes Ziel war von Anfang an, mit der GGK eine Art Bauhaus auf privatwirtschaftlicher Basis aufzubauen, das radikalere Experimente in Sachen Werbung wagte.

Werbermanifeste

Ihr Brot verdienten Gerstner und Kutter anfänglich noch in der Basler Chemiefirma Geigy, Kutter als Redaktor der Werkzeitung, Gerstner als Gestalter. Ihre Zusammenarbeit erstreckte sich bereits vor der Gründung der gemeinsamen Agentur über den rein geschäftlichen Bereich hinaus. 1955 war Gerstner als Grafiker bei der Publikation des Buchs “Achtung: Die Schweiz” dabei. Kutter hatte damit, zusammen mit dem Architekten Lucius Burckhardt und Max Frisch, ein viel diskutiertes Gründungsmanifest einer Generation von Schweizer Nonkonformisten verfasst.

Ihre Agenturgründung begingen Gerstner und Kutter ebenfalls programmatisch: Sie versammelten im Bildband “Die neue Graphik” von 1959 Werbung im 20. Jahrhundert, die ihnen als Vorbilder dienten. Sie wiesen die Kritik, die kommerziell ausgerichtete Werbung entheilige die reine Kunst, vehement von sich: “Die Malerei ist nicht die Mutter der Werbegraphik, diese nicht ihre weltlicher gesinnte Tochter. Die Musen sind immer Schwestern.”

Der Konsument als Leser

Gerstner und Kutter starteten ihre Agentur nicht nur als Geldquelle – ihr Ziel war es, der Werbung zu mehr Ansehen zu verhelfen. Es bestand auch dringender Bedarf nach neuen Konzepten: Der Ruf der Branche hatte Ende der 1950er Jahre international einen Tiefpunkt erreicht. Das Unbehagen gegenüber den gesellschaftlichen Veränderungen durch die wirtschaftliche Hochkonjunktur und die Ängste des Kalten Krieges vermischten sich zu einer toxischen Mischung für das Ansehen der Werber. Reklameleute standen Ende der 1950er Jahre im Verdacht, gewiefte Manipulatoren zu sein, die Konsumenten dazu zwangen, unnötige Produkte zu kaufen – ihr Image war Ende der 1950er Jahre auf dem Niveau von sowjetischen Gehirnwäschern angelangt.

Die Werbung der GGK setzte gerade deswegen bewusst nicht auf das Einhämmern von Slogans, sondern darauf, die Konsumenten und Konsumentinnen in ein Gespräch zu verwickeln – im wörtlichen Sinne: Viele Inserate, die die GGK für ihre Auftraggeber erstellte, enthielten Coupons zum Ausschneiden, die zu einer Art Brieffreundschaft einluden. So warb die Agentur 1964 für die Schreibmaschine IBM Electric 72, die mit einem neuartigen Kugelkopf ausgestattet war. Die GGK stellte diese Neuerung ins Zentrum ihrer Kampagne und inszenierte sie als vergoldete Orden für Sekretärinnen, die diese bestellen konnten – wenn sie eine sinnvolle Begründung dafür lieferten, weshalb sie ihn unbedingt haben wollten. Die GGK schaffte es mit dieser Kampagne, dass unzählige Briefe an IBM eingingen, in denen Sekretärinnen ein doch äusserst technisches Element wie einen Schreibmaschinenkugelkopf in höchsten Tönen besangen. Die Konsumentinnen erschienen dadurch nicht mehr nur als beeinflussbare Marketingziele, sondern waren als Lesende wie als Schreibende aktiv an der Kampagne beteiligt.

Gerstners Einfluss war für diese neuartige Form der Werbekampagne entscheidend. Er sah den Betrachter als starkes, kreatives Gegenüber. Sein Ideal war eine Grafik, die so gestaltet war, dass die Phantasie des Lesers in ihr spazieren gehen konnte. Seine nicht werberischen Kunstwerke, die sich an der Op-Art und der Konkreten Kunst orientierten, sollten nicht stumm betrachtet werden, sondern verlangten nach einer geistigen Mitarbeit. Gleiches galt für die von ihm gestaltete Werbung. Schon zu Beginn der 1960er Jahre wurden erste Arbeiten der Schweizer Agentur in New York ausgestellt und zur Kunst geadelt – doch auch wirtschaftlich ging das Geschäft auf. Bereits im Jahr 1965 gehörte die GGK zu den Schweizer Agenturen mit den meisten Einnahmen und internationalem Renommée.

Für eine andere Schweiz: Die Werbung für die Swissair

Ab 1966 erhielt die nonkonforme Agentur die Möglichkeit, öffentlichkeitswirksam an der Selbstdarstellung der Schweiz zu schrauben: Der GGK wurde der Account der Fluggesellschaft Swissair übertragen. Das Credo der Agentur für die Kampagne war, dass jede Anzeige nur einmal erschien – was eine Unzahl von Inseraten hervorbrachte. Das ermöglichte auch deutlich politische Ausreisser: Als 1968 die Schwarzenbach-Initiative, die eine Beschränkung der Ausländerzahlen in der Schweiz forderte, eingereicht wurde, sprach sich die GGK in einem “politischen Swissair-Inserat zum Jahresende” für eine weltoffene Schweiz aus.

1978 entwarf Karl Gerstner ein neues Logo für die Fluggesellschaft Swissair. RDB

Auch in dieser Kampagne setzte die Agentur auf den Dialog mit ihrem Publikum: 1968 wurde in einem Inserat um Hilfe bei der Suche nach einem Slogan für die schweizerische Fluggesellschaft gebeten. Darauf brachten 16’232 Menschen mit über 60’000 Vorschlägen die Posträume der Marketingabteilung der Swissair zum Kollabieren. In einer Anzeige einige Monate später präsentierte die GGK stolz einige Beispiele: dreisprachige Gedichte, Spielereien mit Wilhelm Tell – “Quality tells Tells quality”, freundliche Wortspiele mit Käse, ketzerische mit Schokolade: “Swissair – always full of chocolate. Particularly on the seats”. Auch Zugeständnisse an den Zeitgeist von 1968 fehlten nicht: “You don’t need LSD, just fly with Swissair.” Am Schluss gestand man, die Verantwortlichen von der Swissair könnten sich ob der Flut guter Vorschläge ihrer Kunden gar nicht entscheiden und die Swissair werde keinen Slogan erhalten.

Solche fröhliche Abgesänge auf alte Reklamerezepte und das Einreissen der Grenzen zwischen Kunst, Politik und Wirtschaft machten die GGK bis in die 1980er Jahre zu einer der am häufigsten ausgezeichneten Agenturen in Europa – und damit wohl zum grössten Gesamtkunstwerk, an dem Karl Gerstner in seinem Leben mitgearbeitet hat.


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