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Schweizer Autoren kommen in Solothurn zu Ehren

Die Solothurner Literaturtage vereinen rund 100 Schriftsteller aus aller Welt. literaturtage.ch

Schriftsteller aus aller Welt treffen sich an den 34. Literaturtagen in Solothurn. Aufführungen, Lesungen und Debatten sollen das Kulturangebot beleben. Ausgezeichnet werden die Schweizer Autoren Giovanni Orelli, Peter Bichsel und Peter von Matt.

Beinahe hätte sich die Politik in die Literatur eingemischt und den Schatten einer Polemik über die jüngste Ausgabe geworfen. Der Grund: Verletzende Äusserungen in der Tessiner Wochenzeitschrift Mattino della Domenica (das Organ der populistischen Partei des Tessins, der Lega die Ticinesi) gegenüber dem 83-jährigen, italienisch-schweizerischen Schriftsteller Giovanni Orelli.

Während Il Mattino für seine populistische Meinung bekannt ist, hat sich Orelli, Sozialist der ersten Stunde, mit seinem Kampf zugunsten einer Öffnung des Tessins zu seinen Nachbarn und für kulturelle Durchlässigkeit einen Namen gemacht. Das Einvernehmen zwischen der Lega dei Ticinesi und Orelli ist – gelinde gesagt – schwierig. In der Ausgabe vom 29. April wünschte Il Mattino dem Schriftsteller den Tod – angeblich ironisch gemeint.

Gegen kulturelle Autarkie

Wir verzichten hier darauf, den Gründen dieses gewaltsamen Wunsches im Detail nachzugehen, zumal sie vermutlich unbemerkt geblieben wären, wenn Orelli in Solothurn nicht den Grossen Schillerpreis erhalten würde. Den prestigeträchtigsten Literaturpreis der Schweiz teilt er mit einem andern grossen Schriftsteller, dem Solothurner Peter Bichsel.

Giovanni Orelli betont im Telefongespräch mit swissinfo.ch, dass er Distanz halten möchte: “Ich will den Himmel über Solothurn nicht verdunkeln. Das Wichtigste ist für mich dieser Preis, der mich ermutigt, mit meinem Werk fortzufahren. Weil ich in erster Linie Schriftsteller bin, zitiere ich den Poeten Lucrèce mit den Worten, dass mich der Tod (den man mir wünscht) nicht beeindruckt, auch wenn ich mich ihm mit grossen Schritten nähere.”

Was ihm aber Sorgen bereite, sei der Populismus. “Er predigt eine kulturelle Autarkie, die dem Kanton sehr schadet. Wir haben unsere Beziehungen mit Italien und dessen Schriftstellern immer gefördert. Sie müssen aufrechterhalten werden, genau wie jene zwischen der Romandie und Frankreich sowie zwischen der Deutschschweiz und Deutschland.”

Genau für diese Öffnung stehen die Solothurner Literaturtage. Seit nunmehr 34 Jahren treffen sich Schrifttum und Wissen, die alle kulturellen Schranken beseitigen. An diesem Stelldichein der Literatur, das jeweils am Auffahrts-Wochenende stattfindet, verwandelt sich die Stadt an der Aare in ein riesiges Forum. Aufführungen, Performances, Musik, Debatten, Lesungen (auf Englisch, Deutsch, Französisch…) thematisieren Gedanken und Empfindsamkeiten der ganzen Welt.

Unbekannte arabische Literatur

Erwartet werden vom 18. bis 20. Mai dieses Jahres afrikanische, indische, japanische, arabische und europäische Schriftsteller… und natürlich Schweizer. “Eine Umgebung, die sich für Entdeckungen eignet”, sagt der Berner Hartmut Fähndrich, der vom Arabischen ins Deutsche übersetzt und in Solothurn an der Seite von vier Autoren aus dem Nahen Orient mitwirkt.

Für ihn ruft der Arabische Frühling alle Kuriositäten der Politik hervor. “Aber anders als man meint, haben uns die literarischen und künstlerischen Äusserungen, welche diesen ‘Frühling’ begleiten, noch nicht wirklich erreicht”, sagt er.

Hartmut Fähndrich möchte das Publikum, das sich tendenziell amerikanischen oder osteuropäischen Autoren zuwendet, auf unbekannte arabische Schriftsteller aufmerksam machen. “Ich gehe Risiken ein, aber ich hoffe, meine Wette zu gewinnen. Solothurn ist für Entdeckungen geeignet. Obwohl klein, tritt die Stadt mühelos in die immense Welt der Literatur ein.”

Exotische Farbe

Ähnlich äussert sich Peter von Matt, der in Solothurn seinen 75. Geburtstag feiern und am 20. Mai an einer Publikumsdiskussion teilnehmen wird. Für den bekannten Deutschschweizer Essayisten vollzieht sich die Öffnung zur Welt nicht nur durch einheimische Autoren, die sich ausserhalb der Landesgrenze inspirieren lassen, sondern auch durch ausländische Schriftsteller, die sich in der Schweiz etabliert haben.

“Letztere stützen sich auf ihre Erinnerungen und verleihen unserer Kultur eine exotische Farbe. Eine nennenswerte Farbe, selbst wenn sie manchmal beim zweiten Werk etwas verblasst, wie es bei den Autoren der jungen Generation von Immigranten der Fall ist”, sagt Peter von Matt.

“Wenn helvetische Schriftsteller nach einem Auslandaufenthalt in die Schweiz zurückkehren, ist ihre Heimkehr häufig von sozialen Reflexionen begleitet. Für eine Schweiz, die sich dermassen vor Migrationsbewegungen fürchtet,  ist das bereichernd”, sagt er.

Die helvetische Literatur ist laut Peter von Matt ein Mittel, das hilft, die Schweiz zu analysieren und die Dynamik des Hier und Dort zu verstehen, welche die politische Debatte antreibt. “Ich sehe mein Land auch durch den Spiegel literarischer Texte”, sagt er. Sein letztes Werk “Das Kalb vor der Gotthardpost”, das kürzlich im Verlag Carl Hanser erschienen ist, zeugt davon. In Solothurn wird Peter von Matt darüber sprechen.

Die 34. Ausgabe, die vom 18. bis 20. Mai stattfindet, steht unter dem Motto “Wie küsst die Muse heute?”.

Rund 100 Schriftsteller aus 16 Ländern werden erwartet.

Lesungen, Diskussionen, Aufführungen, Performances, Übersetzungen gehören zum Programm.

Zu den ausländischen Autoren gehören: der Japaner Tanikawa Shuntarô, der Inder Meena Kandasamy, die Afrikaner Helon Habila und Lebogang Mashile, die Araber Chreiteh, Najwa Bin Chatouan, Nihad Siris.

Zu den Schweizer Autoren gehören: die frankophonen Nicolas Verdan, Thomas Bouvier, Aude Seigne; die italophonen Fabio Contestabile, Franco Facchini und der Rätoromane Arno Camenisch.

“Der Grosse Schillerpreis” wird dieses Jahr dem Tessiner Giovanni Orelli und dem Solothurner Peter Bichsel verliehen.

Dem Literaturwissenschaftler Peter von Matt ist am Sonntag zum 75. Geburtstag die Abschlussveranstaltung gewidmet. Er liest aus seinem Buch “Das Kalb vor der Gotthardpost”.  

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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