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Jazzfestivals Bern und Montreux öffnen ihre Schatzkammern

Grundverschiedene Konzepte, dennoch Gemeinsamkeiten: Der im Mai 2015 verstorbene amerikanische Blues Gitarrist B.B. King trat in Montreux und in Bern auf. Keystone

Es sind bild- und tontechnisch hochstehende Zeugnisse der Jazz- und Blues-Geschichte: Die Jazz & Blues Artbox, mit DVDs aus den Archiven des Jazzfestivals Bern, und das demnächst vollständig digitalisierte Archiv des Jazzfestivals Montreux, das auch mit Rock- und Pop-Perlen glänzt.

Die Geschichte der Jazz & Blues Artbox beginnt 2004 bei einem Mittagessen. “‘Ich kann doch nicht alles archivieren, was wir produzieren. Zudem sind unsere Rechte an den Aufnahmen ausgenutzt’, sagte mir der damalige Direktor des Schweizer Fernsehens, Peter Schellenberg auf die Frage, ob er die Mitschnitte des Festivals archivieren werde”, erzählt Hans Zurbrügg, der Gründer des Jazzfestival Bern, im Gespräch mit swissinfo.ch.

Jazzfestival Bern

Das FestivalExterner Link wurde 1976 vom Hotelunternehmer und Amateurtrompeter Hans Zurbrügg gegründet. Bis 2002 fand es jährlich im Kursaal Bern statt.

2003 verlegte Zurbrügg das Festival in seinen JazzclubExterner Link in Bern. Seither treten die Musiker in der Regel eine Woche lang jeden Abend auf. Dadurch erstreckt sich das Festival jeweils von Mitte März bis Ende Mai.

2013 erhielt Zurbrügg von der New School Universität in New York den “Beacons in Jazz Award”. Damit steht Zurbrügg in einer Reihe mit Jazzkoryphäen wie Cab Calloway, Benny Carter, Aretha Franklin, Ahmet Ertegun, Dizzy Gillespie, Max Roach, Wayne Shorter oder George Wein.

Von 1983 bis 2002 hatte das Fernsehen sämtliche Konzerte des Festivals direkt ausgestrahlt und mitgeschnitten. Nun lagen die Bänder unbeachtet in einem Schrank im TV-Studio in Zürich. Hans Zurbrügg mietete in der Nähe des Studios ein Hotelzimmer. Schellenberg stellte ihm die Infrastruktur zur Verfügung, und Zurbrügg sah und hörte sich die Mittschnitte während dreier Wochen von morgens um sieben bis abends um elf an.

“Da sind mir die Augen aufgegangen. Ich war beeindruckt vom Klang, von der Bildqualität und vom hohen Niveau und der Originalität der Musik. Ich habe die Konzerte ja alle höchstens bruchstückhaft mitbekommen, da ich während den Festivals permanent mit der Organisation beschäftigt war.”

738 Verträge abgeschlossen

Zurbrügg erhielt eine Kopie der Aufnahmen. Bis eine deutsche Firma sich für die Aufnahmen interessierte und eine Auswertung der Archive plante. Veröffentlichung plante. Auf Grund von wirtschaftlichen Problemen konnte die Firma die Vereinbarungen allerdings nicht einhalten, zumal die Umsätze der von CDs und DVDs zusehends stark rückgängig waren. 2011 entschied sich Zurbrügg, die Produktion selber an die Hand zu nehmen. “Der Hauptgrund war nicht der, dass bereits viel Arbeit darin steckte. Es war die Erkenntnis, dass die Aufnahmen vor allem auch für die jüngere Generation von Musikern und Jazzfans enorm wertvoll sind. Deshalb habe ich Partner gesucht und gefunden, die sich finanziell beteiligt haben.”

Nun begann der zweite, minutiöse Teil der Arbeit, die Einholung der Musikerrechte für die Veröffentlichung der Aufnahmen. 738 Verträge hat Zurbrügg mit den vorwiegend aus den USA stammenden Musikern abgeschlossen. Er reiste in die USA, nahm Hunderte von Kontakten auf und verhandelte mit den Musikern. Dazu kommt, dass ein Teil der Musiker, die damals in Bern gespielt haben, in der Zwischenzeit verstorben sind. Zurbrügg suchte die Erben von Stars wie Gerry Mulligan, Oscar Peterson, Fats Waller oder Dizzy Gillespie und holte die Rechte ein.

Universitäten, Museen und Fans

“Du bist ein Spinner, dass Du so was machst. Das ist phänomenal”, habe ihm der amerikanische Produzent und Pianist George Wein gesagt. Das Einholen der Rechte sei für ihn eine sehr positive Erfahrung gewesen, sagt Zurbrügg: “Wenn man von etwas überzeugt ist und davon ausgehen kann, dass man die notwendige Hilfe dafür bekommt, dann muss man es machen. Zudem denke ich, dass sehr viele Leute davon profitieren können und Freude daran haben werden.”

Die Jazz & Blues ArtboxExterner Link ist ein USM-Möbel. Der Inhalt besteht aus 230 akribisch editierten DVDs, Booklets mit Liner Notes zu den Musikern und einem Buch. Die Auflage ist definitiv auf 5000 Exemplare beschränkt. Ein Exemplar kostet 8400 Franken plus Mehrwertsteuer und Transport. Potenzielle Käufer sind laut Zurbrügg Jazzfans, Jazzschulen, Universitäten und Museen auf der ganzen Welt.

Als “die umfassendste Sammlung von Videoaufnahmen, die je vorgestellt wurde” bezeichnet der Trompeter Wynton Marsalis die Box und verweist auf deren erzieherischen Wert für die junge Musikergeneration, die “die grössten Musiker des nicht verwässerten Jazz des 20. Jahrhunderts nicht mehr erleben” könne.

Nach acht Jahren Arbeit digitalisiert

Von Beginn weg nicht strikt auf die Jazz- und Bluestradition ausgerichtet ist das Jazzfestival MontreuxExterner Link. Hier treten auch Rock oder Pop-Musiker, Rapper und DJs auf. Auch punkto Zugänglichkeit zu den Archiven geht Montreux einen anderen Weg. Der am 10. Januar 2013 verstorbene Festivalgründer Claude Nobs hatte ein paar Jahre vorher sein gesamtes Archiv, das 10’000 Audio- und Videobänder mit mehr als 5000 Stunden Konzertaufnahmen umfasst, der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) übergeben, wo die analogen Bänder digitalisiert werden. Im April 2013 wurde das LegatExterner Link von Nobs in das Dokumenten-Welterbe der Unesco aufgenommen.

Jazzfestival Montreux

Das Festival wurde 1967 von Claude Nobs gegründet. Der damals 31-jährige Nobs war stellvertretender Direktor des Verkehrsbüros Montreux. Anstoss zum Festival war der Wunsch, Montreux als Touristenort aus dem Schlaf zu erwecken. Das “Charles Lloyd Quartet” mit dem 22-jährigen Keith Jarrett war 1967 die einzige Gruppe aus den USA. 

Seit Beginn wurden praktisch alle Konzerte aufgezeichnet. “Live at Montreux” mit dem “Bill Evans Trio” war 1968 die 1. Plattenproduktion.

2008 vermachte Claude Nobs sein Archiv der ETH Lausanne mit dem Auftrag, die Bänder zu digitalisieren. Das Projekt wird Anfang 2016 abgeschlossen sein.

Nach dem Tod von Claude Nobs im Januar 2013 wurde Mathieu Jaton Direktor des Festivals. Er arbeitete seit 1999 für das Festival. Zuerst als Verantwortlicher für Marketing und Sponsoring und ab 2011 als dessen Generalsekretär.

Im Juli 2016 feiert das Jazzfestival Montreux sein 50-Jahre Jubiläum.

“Nach fast acht Jahren Arbeit werden Anfang 2016 alle Bänder digitalisiert sein”, sagt Mathieu Jaton, der Direktor des Montreux-Festivals, gegenüber swissinfo.ch. Das heisst allerdings nicht, dass nun jeder jederzeit und weltweit online auf die Konzerte zugreifen kann. “Die Künstlerrechte sind bei den Künstlern, wir haben Produktionsrechte. Wenn wir etwas verwenden wollen, müssen wir die entsprechenden Rechte einholen”, so Jaton.

Exklusiv an der EPFL

Dennoch sind die Montreux-Aufnahmen in Abstufungen öffentlich zugänglich. Zum einen sind bereits rund 500 DVDs und CDs auf dem Markt und die Künstlerrechte damit abgegolten. Zudem hat das Festival seit einigen Jahren vertraglich das Recht vereinbart, die Aufnahmen in den Montreux Jazz CafésExterner Link – in Montreux, Genf, Zürich, Paris, London und Abu Dhabi – “nicht kommerziell” zu verwenden. Das heisst bis jetzt, dass die Cafés entsprechend einer Playlist auf Grossbildschirmen Ausschnitte aus Montreux-Konzerten abspielen.

“In der zweiten Phase ab nächstem Jahr wird es auch private Abspielstationen geben, auf denen auf denen auf einem iPad oder Bildschirm ganze Konzerte abgerufen werden können”, sagt Jaton. “Wir sind daran, die Technologie genau zu evaluieren. Dafür haben wir nicht die Rechte für alle Konzerte, aber für einen Grossteil. Es gibt auch Konzerte, auf denen wir die Rechte nicht integral, sondern lediglich für drei Stücke haben.”

Praktisch uneingeschränkt und individuell wird das Montreux-Archiv an der EPFL zugänglich sein: Im öffentlich zugänglichen Montreux Jazz Café, dessen Eröffnung in einem neuen GebäudeExterner Link des japanischen Architekten Kengo Kuma Ende 2016 vorgesehen ist. “Die EPFL Lausanne darf das ganze Archiv zugänglich machen, denn sie hat das Recht, die Archive für schulische Zwecke zu benutzen”, sagt Mathieu Jaton.

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