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Linguistische Kapriolen im Elsass

Strassenbezeichnung im Elsass. swissinfo.ch

Das "Elsässerditsch" verkommt allmählich zu einem Auslaufmodell. In Strassburg erinnern Strassenschilder an den seltsamen Dialekt, der nur mehr von der älteren Generation gesprochen wird. Ist dies gar der richtige Moment, das Elsass zu annektieren?

“Bisch dü a Elsasser?”, heisst der Titel der Kolumne im Journal “L’Alsace.“ Der Autor fragt sich, wie es in Zeiten der Debatte um die “Identité nationale“ denn eigentlich um die “Identité régionale“ bestellt sei.

Die Frage ist ebenso berechtigt wie brisant, denn obwohl das Elsässerdeutsch die meist gesprochene Regionalsprache Frankreichs ist, droht sie zu verschwinden. Und mit ihr womöglich ein Teil der spezifischen “identité régionale“.

Rue du Savon – Sajfegässel

Wer sich in Strassburg die Füsse vertritt, dem fallen die zweisprachigen Strassenschilder sofort auf. Sie sind ein Indiz dafür, dass in Strassburg tatsächlich nicht nur Französisch, sondern eine seltsame zweite Sprache gesprochen wird. Der Platz der grossen Metzgerei heisst “Gross Metzig“, die Rue du Savon nennt sich “Sajfegässel.“

Setzt man sich in eine gut geheizte Weinstube (Winstub) und lauscht dem Gespräch älterer Leute, erkennt man diesen sonderbaren Dialekt wieder, die melodiöse Betonung, die an das “Baseldytsch“ erinnert sowie der Einbezug französischer Begriffe. Der Bürgermeister ist der “Maire“, der Kühlschrank “d’Frigidière“ und der Scooter “d’Mobilette“.

Selbstversuch soll Klarheit schaffen

Die Nähe zum Schweizerdeutsch ist offenkundig. Ob eine Verständigung zwischen Deutschweizern und Elsässern möglich ist, soll mit einem einfachen Selbstversuch verifiziert werden. Der Schreibende setzt sich an einen Tisch mit Régine Verheecke, einer in Benfeld aufgewachsenen Elsässerin.

Sogleich beginnt er zu Betteln: “Häsch mr en Schtutz?“ “Hesch mer en was?“, erwidert die Versuchsperson irritiert, ehe der Schreibende realisiert, dass die Bettlerei kein anständiger Einstieg in ein überregionales Gespräch ist. Also weicht er aufs Wetter aus und hat Glück.

– “S’isch chalt voruss …“
– “Ja isch find oi.“
– “Dr chly Finger isch mr abgfrore.“
– “Schad, hättsch Händsch ogleit.“
– “… und geschter hei sy mr s’Velo klauet.“
– “Isch schad, jetzt müesch dr a neis koife.“

Der Versuch zeigt eindrücklich, dass zwischen den beiden Regionen durchaus eine Verständigung möglich ist.

Schleichender Identitätsverlust

Das Elsässerditsch ist ein Sammelbegriff für die Diversität der elsässischen Dialekte. Die Mehrheit der Dialekte hat wie das Schweizerdeutsch eine alemannische Prägung. Neben dem Oberrhein-Alemannischen finden wir auch hochalemannische und fränkische Einflüsse. In westlichen Regionen wird beispielsweise das fränkische “Lorrain“ (Lothringisch) gesprochen.

Die ältere Generation identifiziert sich mit dem Elsass. Während der beiden Weltkriege war die Region in deutscher Hand und Französisch wurde als öffentliche Sprache verboten. So sorgte das Elsässerditsch für Zusammenhalt und ist bis heute ein identitätsstiftendes Element.

Mittlerweile wird in den Städten aber kaum noch Elsässisch gesprochen. Auf dem Land sind es weniger als 50%, die sich im alemannischen Dialekt verständigen. Die jungen Elsässer zeigen erst recht keine Begeisterung für den alemannischen Dialekt. Sie fühlen sich in erster Linie als Franzosen.

Immerhin gibt es einige Versuche, den drohenden Untergang der Sprache aufzuhalten. Im Jahr 2003 wurde ein einheitlicher Dialekt namens “Orthal“ ins Leben gerufen. Ähnlich wie das “Rumantsch Grischun“ in der romanischen Sprachregion der Schweiz, sollte “Orthal“ als gemeinsamer Dialekt eine einheitliche Schriftsprache hervorbringen.

Annektion des Elsass durch die Schweiz?

Dominique Baettig ist Hobby-Jäger und Psychiater. Er sitzt für die rechtspopulistische Volkspartei (SVP) im Schweizer Parlament. Dort präsentierte er vor einigen Monaten den Plan, angrenzende Regionen, deren Bedürfnisse im eigenen Land zu wenig Beachtung fänden, zu integrieren. Dazu gehört neben der Lombardei, Baden-Württemberg, den Savoyen u.a. auch das Elsass.

Der Mann muss gespürt haben, dass der Zeitpunkt gekommen ist, den Elsässern Geborgenheit zu spenden und die Sprache, wie im Selbstversuch verifiziert, dem Schweizerdeutsch sehr nahe steht.

Doch trotz dem drohenden Identitätsverlust durch das Desinteresse am alemannischen Dialekt wird das Elsass auch in Zukunft über seine Eigenheit und seine reichhaltigen Traditionen verfügen.

Und selbst wenn das Elsässerditsch langsam verschwindet, dürfte die elsässische “identité régionale“ noch mindestens so stark sein, um dem Bestreben des Schweizer Politikers mit einem müden Lächeln zu begegnen.

Immer häufiger reisen auch junge Leute für längere Zeit ins Ausland, sei das zum Studieren, Forschen, für ein Stage oder zum Arbeiten.

Zu ihnen gehört auch Jonas Dunkel, der von August 2010 bis Januar 2011 für swissinfo.ch über seine Erfahrungen und Beobachtungen in Strassburg berichtet.

Jonas Dunkel ist am 23. September 1981 in Vevey, Kanton Waadt, geboren.

Nach den Schulen studierte er an der Universität Freiburg Medien- und Kommunikations-Wissenschaft sowie Journalismus.

2009 schloss er das Studium mit einer Lizentiats-Arbeit über die narrative Entmythologisierung in den Frühwerken des Film-Regisseurs Jean-Luc Godard ab.

Im Winter 2010 folgt ein dreimonatiges Praktikum in der Multimedia-Redaktion des europäischen Kulturkanals ARTE in Strassburg.

Seit August ist er als Stellvertretung wieder in der Multimedia-Redaktion von ARTE tätig.

Zu seinen Hobbys gehören Fussball, Segeln, Tennis, Radsport, Literatur, Film und Geschichte.

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