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Wie die Schweiz ihr altes AKW Stück für Stück entsorgt

Dass dem Atomkraftwerk Mühleberg am 20. Dezember 2019 um 12 Uhr 30 der Stecker gezogen wird, geschieht nicht aus Sicherheits-, sondern aus wirtschaftlichen Gründen. Wenige Stunden vor dem Aus gibt sich die Betreibergesellschaft BKW zuversichtlich, alles im Griff zu haben.    

Obwohl mit dem Abbau des Atomkraftwerks (AKW) in der Schweiz Neuland betreten wird, ist Angst vor einem Atomunfall nirgends wahrnehmbar. Zusätzliche Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung wurden nicht erlassen.

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Nicht nur die Betreibergesellschaft, auch die Aufsichtsbehörde, die Medien, ja sogar die AKW-Gegner vertrauen darauf, dass nichts schiefgehen wird. Wenn von Risiken die Rede ist, sind entweder die finanziellen Kosten für Steuerzahler und Aktionäre, Engpässe bei der Stromversorgung oder das ungelöste Problem mit der Endlagerung gemeint.

Wird der Strom danach knapp?

In seiner 47-jährigen Betriebszeit produzierte das AKW Mühleberg – es liegt wenige Kilometer westlich der Hauptstadt Bern – rund 3000 Gigawattstunden Strom pro Jahr. Dies entspricht etwa fünf Prozent des Bedarfs im Inland. Um die Versorgung nach dem Abschalten sicherzustellen, kann die BKWExterner Link Strom auf dem europäischen Markt beschaffen.

Weil die Rahmenbedingungen für den Ausbau der Energieproduktion aus Wasser- und Windkraft im Inland derzeit nicht ideal seien, investiert die BKW vor allem in Windanlagen im benachbarten Ausland und in Skandinavien.  

Gab Fukushima dem AKW den Todesstoss?

Atomkraft-Gegner verlangen seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl die Abschaltung des zweitältesten AKW in der Schweiz. Noch mehr Resonanz in der Bevölkerung erhielt ihre Forderung nach der Katastrophe in Fukushima. Der Widerstand habe Mühleberg sturmreif geschossen, sagen die Gegner. Laut BKW haben aber letztlich wirtschaftliche Gründe den Ausschlag gegeben, aus der Atomkraft auszusteigen.

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Was geschieht mit den Brennstäben?

Wenn der Stecker gezogen ist, wird der Reaktor heruntergefahren, wie bei den jährlichen Revisionen. Mit der Demontage der Turbinen, Generatoren, Kondensatoren kann sofort begonnen werden.

Der Deckel des Reaktor-Druckbehälters bleibt noch drei Monate geschlossen. In dieser Zeit reduziert sich die Radioaktivität um das Tausendfache gegenüber dem Leistungsbetrieb.

Danach werden die Brennelemente in ein separates Becken gebracht, wo sie mehrere Jahre gelagert werden, damit die Strahlung abklingt. Im Reaktorgebäude wird dann alles ferngesteuert und unter Wasser zerlegt.

Warum dauert der Rückbau 15 Jahre lang?

Bis 2024 werden alle Brennelemente ins zentrale Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle in Würenlingen im Kanton Aargau transportiert, womit laut der Betreiberin 98% der Radioaktivität das AKW Mühleberg verlassen haben werden.  Noch weiss niemand, wo in der Schweiz ein Endlager gebaut werden soll.

Bis 2030 werden jene Anlagen zurückgebaut, die zum nuklearen Teil der Anlage gehören.

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Insgesamt werden 6000 Tonnen Material (weniger als 2% des gesamten KKW-Abfalls) als radioaktiver Abfall für die geologische Tiefenlagerung vorbereitet. Die anderen 98% des Materials (200’000 Tonnen) werden entweder wiederverwertet oder als Bauschutt entsorgt.

Rund 200 Personen werden bis 2030 durchschnittlich mit dem Abbau beschäftigt sein.

Von 2030 bis 2034 werden die nicht mehr benötigten Gebäude abgerissen. Ab 2034 kann das Areal anderweitig genutzt werden.

Der Bau des Atomkraftwerks Mühleberg in den 1960er-Jahren dauerte fünf Jahre und kostete 302 Millionen Franken. Stilllegung und Entsorgung werden 15 Jahre dauern und 2,1 Milliarden Franken verschlingen. 

Kai Reusser / swissinfo.ch


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