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Schauplätze des Lebens

Hochwasser in Weesen, Schweiz. Zu sehen ist eine Landhausvilla mit Garage, sockelhoch im Wasser. Der Pegelstand zieht eine Linie durch das Anwesen, das Inbegriff ist einer neureich-kleinkarierten Wohnidylle. Als gebaute Fiktion ist es beispielhaft für viele Material gewordene Lebensentwürfe oder Wunschträume.

Der Künstler Tobias Madörin fotografiert seit 1991 Situationen in Städten und Landschaften. Er führt die Betrachter an die unterschiedlichsten Orte dieser Welt, interessiert sich dabei aber für strukturell ähnliche Phänomene: Der gebaute Raum ist zum einen Ausdruck menschlicher Wünsche und Ideen, zum anderen Schauplatz des Handelns. Madörin fokussiert auf Sammlungspunkte der Gesellschaft wie Plätze, Fussballstadien, öffentliche Schwimmbäder oder Strände. Er beobachtet aber auch Räume, die sich am Rand der Aufmerksamkeit befinden: Orte an der Peripherie der Städte, genutzte Landschaft im Irgendwo zwischen grossen Zentren. In einigen Bildern sind Menschen zu sehen, zuweilen sehr klein, aber zahlreich, in manchen ist allein das Gebaute und Gestaltete das Bildmotiv. Oft ist die Natur stark umgestaltet, von Ausbeutung und von geradezu apokalyptischer Verschmutzung gezeichnet oder derart artifiziell, dass von der ursprünglichen Natur nicht einmal mehr eine Ahnung übrig ist.

Die Kamera funktioniert bei dieser Arbeit als Lesegerät: Sie steht nicht im Dienst einer Geschichte und reportiert schon gar nichts auf den ersten Blick Dramatisches, sondern tastet das Sichtbare ab und konstatiert, kontempliert oder analysiert die Umgebung, diesen komplexen Zeichenraum. Und was auf den ersten Blick das pure Gegenteil einer Sehenswürdigkeit ist, bekommt Relevanz, weil die Bilder auf soziale und ästhetische Kriterien deuten, die zur Entstehung einer solchen Umgebung geführt haben. Sie werfen Fragen auf.

Tobias Madörin beobachtet die von ihm gewählten Orte zwar weder mit wertendem noch moralisierendem Blick, aber gerade deshalb schafft er Bilder, die vom Drama des Daseins erzählen. Zuerst nur fein, bei genauer Betrachtung umso eindringlicher werden in vielen Bildern zum Beispiel Spuren von Verwüstung oder Verletzung deutlich: Folgen von Stürmen, welche die Menschen verstört zurücklassen und irgendwann zum Wiederaufbau zwingen; Landschaften, die von Ausbeutung und gnadenloser Kommerzialisierung aufgewühlt sind (im Wortsinn), geradezu surreale Nutzlandschaften oder Kunstorte.

(Bilder: Tobias Madörin, Text: Nadine Olonetzky)

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