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Musikfestivals en gros

Festivals wie jenes in Montreux sind wichtig für die Wirtschaft einer ganzen Region. Keystone Archive

Nirgends gibt es mehr Musik-Festivals als in der Schweiz. Egal ob Pop oder Klassik, das Geschäft rückt immer stärker in den Vordergrund.

“Liebe, Musik, Natur, Gesellschaft. Das gab Jugendlichen Kraft in einer Zeit, die nicht einfach war”, erzählt Musik-Kenner Christian Strickler über die ersten Openair-Festivals in der Schweiz. “Es war Opposition. Wir konnten für einige Tage zusammen leben, das war keineswegs selbstverständlich.”

So hätten die Schweizer Jugendlichen nach Woodstock geschielt und ihr Zeichen gegen die Plastikkultur gesetzt. “Beim ersten Festival auf dem Gurten 1977 war Plastik verboten, alle mussten echtes Geschirr mitbringen. Dieses Jahr war es verboten, Glas aufs Festival-Gelände zu bringen.”

Von der Gesellschafts-Kritik zum Kommerz

Aus den aktivistisch angehauchten Frühfestivals sind Unternehmen geworden, aus den Verein-Trägerschaften Aktiengesellschaften. Das Gurtenfestival auf dem namensgebenden Berner Hausberg beispielsweise wird von der Appalooza productions GmbH organisiert.

Appalooza-Teilhaber Philippe Cornu verfügte dieses Jahr über ein Budget von 3,5 Mio. Franken für das Musik-Happening. Rund 45’000 Personen pilgerten vergangenes Wochenende auf den Berner Hausberg. Cornu zur Zeitung “Der Bund”: “Wir haben garantiert kein Defizit.”

In der Schweiz kosten Musiker mehr

Ob ein Festival finanziell erfolgreich ist, hängt von der Witterung ab, aber auch von der Band-Auswahl. Gerade zugkräftige Namen lassen sich ihren Auftritt etwas kosten: “Wir haben den Ruf, ein reiches Land zu sein. Da will man besonders viel herausholen”, sagte Michaela Silvestri, Geschäftsleitungs-Mitglied des Openairs St. Gallen gegenüber der “Neuen Luzerner Zeitung”.

“Die Openairs heute sind professionell organisiert und haben viel Geld”, weiss auch Festival-Spezialist Strickler, Musik-Verantwortlicher bei swissinfo. “Festivals sind zur Industrie geworden.”

Absturz und Konkurs vorgelebt

Dass bekannte Bands den Finanz-Erfolg nicht garantieren, musste das grösste Schweizer Festival, das “Out in the Green” beweisen. 1998 holten die Organisatoren die “Rolling Stones” nach Frauenfeld und bezahlten 4 Mio. Franken Gage: Die Fans blieben aus, das Openair ging Konkurs.

MJF: Jazz (fast) nur noch im Namen

Dass eine mehrheitsfähige Programmation aber nicht schlecht sein muss, zeigt das Montreux Jazz Festival (MJF). “Um ein interessantes Programm gewährleisten zu können, müssen wir auch die wirklich grossen Namen als Lokomotiven engagieren”, erklärte MJF-Direktor Claude Nobs gegenüber dem welschen Nachrichtenmagazin “L’Hebdo”.

Während Puristen in den Feuilletons alljährlich den schwindenden Jazz monieren, will immer mehr Publikum David Bowie, Buddy Guy oder Paul Simon hören: 81’497 Eintritte wurden verkauft, im Rekordjahr 2001 waren es 81’902 gewesen.

Klassik als Tourismusmotor

Während eher einheimische Jugendliche vor gigantischen Bühnen am Boden sitzen, sprechen Klassik-Festivals gesetztere Musikinteressierte aus aller Welt an. “Die ersten englischen Touristen wollten ihre Kultur in die Schweizer Berge holen”, erklärt Strickler die Anfänge der Klassik-Festivals in den Schweizer Bergen.

Die Klassik-Events blieben bis heute wichtige Stützen für den örtlichen Tourismus, beispielsweise in Gstaad: “Unser Festival ist der grösste Sommeranlass und gerade für Hotels enorm wichtig”, sagt Corinne Reuteler, Leiterin des Organisations-Büro des Menuhin-Festivals. Rund 15’000 Personen besuchen laut Reuteler jedes Jahr den siebenwöchigen Anlass.

Je grösser umso wichtiger

Wie wichtig ein Festival für die Standortsgemeinde ist, bestätigt auch Markus Simmen, Sprecher des grössten Schweizer Konzert-Veranstalters Good News. “Je grösser das Festival, umso wichtiger für die Region.”

Auch für den Marktleader sind die Anlässe wichtig. Wie gross allerdings der Anteil der Festivals am 50-Mio.-Umsatz von Good News ist, will Simmen nicht verraten. Nur soviel: “Die Openairs bringen uns sehr viel Einnahmen. Wir könnten ohne die grossen Sommeranlässe nicht leben.”

swissinfo

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