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Nackte Körper gegen schmelzende Gletscher

Ungewohntes Aletsch-Panorama: Felsen, Eis und nackte Menschen. Keystone

600 Menschen haben am Samstag auf dem Aletschgletscher nackt posiert. Mit der Aktion wollte die Umweltorganisation Greenpeace auf die Auswirkungen der Klimaerwärmung aufmerksam machen.

Die “lebende Skulptur” wurde von US-Fotograf Spencer Tunick inszeniert, der seit 1992 nackte Menschenmassen an öffentlichen Orten fotografiert.

Wanderern im Aletschgebiet bot sich am Samstag ein ungewohntes Alpenpanorama: Hunderte von nackten Menschen posierten auf dem grössten Gletscher Europas.

Der US-Fotograf Spencer Tunick arrangierte die Freiwilligen zu zwei verschiedenen “lebenden Skulpturen”: die erste mit rund 300 Nackten und dem Aletschgletscher im Hintergrund, die zweite mit allen 600 Beteiligten auf dem Gletscher selber.

Pantoffeln gegen Anfrieren

Nackt waren die Teilnehmer jeweils nur kurze Zeit. Zudem lachte ihnen das Wetterglück: Die Temperaturen seien relativ mild gewesen und der Wind habe nur schwach geweht, sagte Greenpeace-Kampagnenleiter Markus Allemann. Mit Frottee-Pantoffeln und kleinen Matten sorgte die Organisation dafür, dass die Posierenden nicht auf dem Gletscher festfroren.

Allemann äusserte sich sehr zufrieden mit dem Aufmarsch. Die Teilnehmergruppe sei bunt gemischt: Auch Menschen “im hohen Alter” hätten posiert. Angereist seien die Nacktmodelle aus der Deutschschweiz, der Westschweiz und aus dem Ausland.

So lang es sie noch gibt…

Mit der Aktion wollten Greenpeace und Tunick auf die Verletzlichkeit der schwindenden Gletscher aufmerksam machen und für “mutige” politische Entscheide werben.

Schreite der Klimawandel im heutigen Ausmass voran, liessen die meisten Gletscher bis ins Jahr 2080 nur noch Geröllhalden zurück, erklärte Greenpeace.

Rasantes Gletscher-Schrumpfen

Die Alpengletscher verloren in den letzten 150 Jahren etwa einen Drittel ihrer Fläche und rund die Hälfte ihrer Masse. Der Aletschgletscher hat sich laut Greenpeace allein in der Messperiode 2005/06 um rund 115 Meter zurückgezogen. “Wenn nicht jetzt gehandelt wird, dann ist es bald zu spät”, erklärte Allemann.

Gemäss den Berichten des UNO-Klimarats IPCC blieben noch acht Jahre, um Schritte zur drastischen Reduktion von Treibhausgasen einzuleiten. Die Fakten alleine reichten offenbar nicht, um die Entscheidungsträger zum Handeln zu bringen, sagte Allemann. Deshalb brauche es nun Emotionen als Argumente.

“Unter die Haut gehen”

Emotionen hervorzurufen ist auch Spencer Tunicks Ziel: Mit seinen Bildern will der Künstler erreichen, dass die globale Klimaerwärmung nicht eine abstrakte Bedrohung bleibt.

Die Menschen sollten den Klimawandel mit sich selbst in Verbindung bringen. “Meine Bilder sollen dem Betrachter unter die Haut gehen. Er soll sich in seiner Existenz als Individuum berührt fühlen”, erklärte Tunick.

swissinfo und Agenturen

Der Aletschgletscher ist mit 120 Quadratkilometern Fläche der grösste Gletscher der Alpen. Er reicht von der Südflanke der Jungfrau bis ins Rhonetal.

Er ist das Herz des Unesco-Naturerbes Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn, das 2001 geschaffen und kürzlich erweitert wurde.

Gemäss Begründung der UNO-Organisation stellt das Gebiet ein herausragendes Beispiel für die Entstehung der Alpen dar, das zudem über eine reiche Artenvielfalt verfüge.

Neben Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn gibt es in der Schweiz sechs weitere Unesco-Welterbe: Berner Altstadt, Kloster St. Johann Müstair, Stiftsbibliothek und Stiftsbezirk St. Gallen, Burgen von Bellinzona, San Giorgio, Weinbaugebiet Lavaux.

1967 in New York geboren. 1992 erste “lebendige Installation”, eine Ansammlung nackter Menschen in New York. Seither 65 solcher Aktionen in der ganzen Welt.

Die Aktion auf dem Aletschgletscher war die vierte in der Schweiz. Zuvor fotografierte er 1999 eine nackte Menge in Basel, 2001 in Freiburg und 2002 in Neuenburg.

Tunick arbeitet praktisch nur noch auf Auftrag von Museen für Gegenwartskunst. Bei der Anfrage von Greenpeace machte er eine Ausnahme.

Die Modelle erhalten als Honorar einzig ein vom Fotografen signiertes Bild der Aktion, an der sie teilgenommen haben.

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