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Neues Bundespatentgericht: Knacknuss Kaffeekapseln

Nespresso-Kaffeekapseln aus Aluminium zur Wiederaufbereitung: Nestlés Patent läuft Keystone

In Sachen Patentvergabe gehört die Schweiz international zur Spitze. Nun will sie auch beim Patentstreit zum europäischen Kompetenzzentrum werden. Als eine der ersten Knacknüsse wartet beispielsweise der Streit um die Kaffeekapseln von Nestlé.

Mit dem Bundespatentgericht möchten die Behörden die Patent-Prozeduren von Schweizer und ausländischen Unternehmen vereinfachen und verkürzen. Das neu geschaffene Gericht hat Anfang Januar in St. Gallen mit seiner Arbeit begonnen.

“Die meisten Patente pro Kopf der Bevölkerung werden in der Schweiz erteilt”, sagt Felix Addor gegenüber swissinfo.ch. Addor ist stellvertretender Direktor des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum (IGE) in Bern.

“Das gilt aber auch in absoluten Zahlen. Die Schweiz ist Nummer drei innerhalb der europäischen Patentorganisation, nach Deutschland und Frankreich. Weltweit rangiert sie unter den ersten zehn.”

Die Struktur der Schweizer Wirtschaft sei gewerblich und KMU-bezogen, so Addor. Und diese Firmen seien oft sehr innovativ. Deshalb würden in der Schweiz viele Patente erteilt, woraus dann eben auch mehr Streitigkeiten resultierten. Als Leiter der Abteilung Recht & Internationales innerhalb des Instituts hat Addor am neuen Patentgericht in St. Gallen massgeblich mitgearbeitet.

Paragrafen-Dschungel

Eine Erfindung resp. das Produkt daraus wird via Europäisches Patentamt in allen europäischen Märkten geschützt, nicht nur in der Schweiz. Die sich daraus ergebenden Streitigkeiten über die Patente und ihre Gültigkeiten, zwischen verschiedenen Patenten und ihren jeweiligen Haltern machen einen ziemlichen Paragrafen-Dschungel notwendig.

“Früher betraf ein Streit in der Schweiz auch alle anderen Länder, in denen das betreffende Patent via Europäisches Patentamt geschützt war”, sagt Addor. “Da ein europäisches Patentgericht fehlte, versuchten sich die Patenthalter bei jenen Gerichten zu schützen, die am kompetentesten waren.” Das waren bisher die Gerichte in Deutschland, den Niederlanden oder Grossbritannien. So konnten die Inhaber ihre Patente zumindest in den wichtigsten Ländern Europas schützen.

In der Schweiz bestand die Rationalisierung darin, die 26 kantonalen Abläufe zu vereinheitlichen und zu professionalisieren. Was zum Beispiel den Freiburger Rechtsanwalt Markus Jungo sehr erleichtert. Bisher hat ihn die Langsamkeit des kantonalen Gerichts zuweilen zur schieren Verzweiflung gebracht. “Es kommt vor, dass ich einen Patentstreitfall habe und die Richter keine Spezialisten sind. Also bestellen sie externe technische Expertisen, um arbeiten zu können, was sehr viel Zeit und Geld in Anspruch nimmt”, schildert er gegenüber swissinfo.ch.

Ein gutes Beispiel dafür ist auch das monatelange juristische Ping-Pong rund um die Nespresso-Kapseln zwischen Nestlé und der Konkurrenz, die Nestlés Patent bedroht. Das Gerichtsverfahren ist komplex, länderübergreifend und umfasst zahlreiche Akteure (siehe Extra rechts).

Premiere in Englisch

Das Bundespatentgericht arbeitet in den drei Landessprachen Deutsch, Französisch und Italienisch. Neu ist Englisch als Verfahrenssprache dazu gekommen.

“Das Englische ist sehr verbreitet, da die meisten Patente auf Englisch deponiert sind”, sagt Addor. Das sei eine wichtige Bedingung gewesen: Bisher mussten alle Dokumente in die Sprachen der Streitparteien übersetzt werden, und dann teils wieder zurück ins Englische. “Das ist im Übrigen der Fall in Deutschland, wo nur auf Deutsch gearbeitet wird. Die Schweizer Institution ist die einzige, die vier Sprachen offeriert.”

Diese Einführung der englischen Sprache sollte auch die amerikanischen und japanischen Unternehmen, die in der Schweiz niedergelassen sind, interessieren. Diese erhalten somit ein erstes Urteil ohne Übersetzung. Dasselbe gilt für Unternehmen im Ausland.

Ausserdem offeriert das Gericht in der Schweiz auch eine vereinheitlichte Vorgehensweise, um sich damit europäisch zu profilieren. “In Deutschland unterscheiden sich die Abläufe, je nachdem, ob es sich um einen Verstoss gegen ein Patent handelt, oder um seine Gültigkeit”, so Addor. Das trage zur Vertraktheit der Verfahrensweise bei.

Im Patentgericht in St. Gallen arbeiten zwei hauptamtliche Richter. Es sind dies Gerichtspräsident Dieter Brändle, früher beim Zürcher Handelsgericht tätig, und Tobias Bremi. Die beiden verfügen über ein Netz von rund 30 nebenamtliche Spezialisten in der ganzen Schweiz. Dabei handelt es sich um Juristen und vor allem Ingenieure.

Sie decken in den verschiedenen Sprachregionen die fünf Fachbereiche Chemie, Biotechnologie, Maschinenbau/Konstruktionen, Physik und Elektrotechnik ab.

Richter auf der Stör

Der Arbeitsaufwand des Bundespatentgerichts wird reduziert, weil diese Richter-Spezialisten tageweise bezahlt werden. Auch bewegen sie sich von einem Kanton zu anderen, wo sie jeweils Gratisarbeitsplätze zur Verfügung haben. Im Gegensatz zu anderen Bundesgerichten wird das Patentgericht in St. Gallen nicht vom Bund finanziert, sondern aus Einnahmen von den Streitparteien und den Patenthaltern.

Der Bundesrat schätzt, dass das Bundespatentgericht rund 30 Fälle pro Jahr behandeln wird. “Das erscheint wenig, aber diese Fälle werden die wichtigen sein”, so Präsident Brändle. “Jene, bei denen grosse Summen im Spiel sind, und Akten, die Hunderte von Seiten umfassen – kurz, Fälle, die etwa zwei Wochen Arbeit in Anspruch nehmen.”

Bereits haben die Kantone seit dem 1. Januar ein Dutzend Fälle nach St. Gallen überwiesen. Brändle geht davon aus, dass es bald noch viel mehr sein werden.

Die Schweiz ist Mitglied der Europäischen Patentorganisation OEB.

Ein Patent ist eine staatliche Schutzbescheinigung für eine technische Erfindung (Eigentumsrecht). Der Inhaber einer solchen Bescheinigung besitzt während maximal 20 Jahren das Exklusivrecht zur wirtschaftlichen Nutzung seiner Erfindung.

Das Gesetz vom 20. März 2009 zum Bundespatentgericht sieht die Schaffung eines nationalen Sondergerichtes mit Entscheidungsbefugnis in Patentstreitfällen anstelle der kantonalen Gerichte vor. Die neue Gerichtsbarkeit ist ein erstinstanzliches Gericht, die dem Bundesgericht vorausgeht.

Diese Gerichtsbarkeit umfasst die notwendigen Sonderkenntnisse und soll fähig sein, Erfindungen rechtlich wirksam zu schützen.

Seit 1. Januar 2012 hat das neue Gericht seinen Sitz in provisorischen Büroräumen in St. Gallen. Im Herbst 2012 wird das Bundespatentgericht in das Gebäude des Bundesverwaltungsgerichts in St. Gallen umziehen.

Nestlé liess 1982 das Prinzip der Kaffee-Zubereitung mittels einer Aluminium-Kapsel patentieren. Das Patent läuft 2012 nach 30-jähriger ordnungsgemässer Frist aus.

Nestlé erhielt vom Zivilgericht des Kantons Waadt eine superprovisorische Verfügung gegen das französisch-schweizerische Unternehmen Ethical Coffee Company (ECC).

Dieses produziert auf französischem Territorium in der Nähe von Genf  Kaffeekapseln, die mit Nespresso-Maschinen kompatibel sind.

Die Nestlé-Tochter Nespresso hat bis 26. Februar dieses Jahres Zeit, um einen definitiven Entscheid zu erwirken.

Nespresso steht auch mit dem Schweizer Discounter Denner in Konflikt, der Kapseln von ECC kommerzialisiert.

Das Bundesgericht hat den Rekurs von Nespresso gegen ein Urteil des kantonalen Handelsgerichtes St. Gallen teilweise gutgeheissen.

(Übertragung aus dem Französischen: Alexander Künzle)

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