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Reife und Charakter machten ihn zur Nummer 1

Hischier in Naters
Nico Hischier auf Besuch in seiner Heimatgemeinde Naters, nachdem der 18-jährige Eishockeyspieler im NHL-Entry-Draft als Nummer 1 gezogen wurde. Keystone

Mit dem 18-jährigen Nico Hischier hat ein junger Sportler aus dem Wallis Geschichte geschrieben: Als erster Schweizer Eishockey-Youngster wurde er im diesjährigen Draft der NHL als Nr. 1 gezogen. Mit anderen Worten: Er gilt als bester Hockey-Jungprofi der Welt. Beim Heimatbesuch in Naters glänzte Hischier, der in den USA bereits ein Star ist, mit Bescheidenheit.

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All dieser Kult um seine Person – er passt so gar nicht zu ihm und seiner Herkunft. In der Schweiz war er bis vor wenigen Tagen nicht einmal ein kleines Sternchen. Ja, bis heute wissen die allermeisten Schweizer nicht einmal, wie man seinen Nachnamen richtig ausspricht. “Hiii-schi-är” ist korrekt, nicht die französische Variante “Hischié”. Er wuchs im kleinen, 10’000 Einwohner zählenden Städtchen Naters auf, zusammen mit Eltern, seiner zwei Jahre älteren Schwester Nina und dem vier Jahre älteren Bruder Luca. 

Aufs Garagentor statt aufs Tor

Die Familie ist durch und durch sportbegeistert: Der Vater war Fussballer, die Mutter Schwimmerin und arbeitet heute als Sportlehrerin. Nico war äusserst polysportiv: Fussball, Snowboard, Unihockey, Ski, Tennis, Judo – all das stand auf seinem Programm. Aber am liebsten drosch er auf den Puck. Dies zunächst vor allem mit Bruder Luca aufs Garagentor des Vaters. 

Besucht man heute das Elternhaus, sind die vielen schwarzen Abdrücke dort immer noch gut sichtbar. Luca, der ebenfalls Eishockeyprofi ist und beim Schweizer Champion Bern spielt, war stets sein Vorbild – auch wenn Nico der talentiertere der beiden Brüder ist. Dass er etwas Spezielles ist, war früh klar. Als zehnjähriger Knirps stürmte Nico bereits im U15-Team des Eishockeyclubs Visp und schoss Tor um Tor.

Naters
Beim Empfang in Naters: Nico Hischier umgeben von Freundin Lorena Orlacchio und Bruder Luca Hischier. Ganz rechts sitzt Mutter Katja Hischier. Keystone

Der erste Schweizer 

“Nico überrascht mich auch jetzt. Er nimmt diesen ganzen Rummel so leicht”, sagte die Mutter, als Nico Hischier vor wenigen Tagen nach Naters zurückkehrte und sich dort von den Wallisern gefeiert wurde. Dabei herrschte Ausnahmezustand. Wer im Draft als allererster Spieler gezogen wird, gilt als Weltbester seines Jahrgangs.

Das ist 2017 Nico Hischier. Er ist der erste Schweizer, dem diese Ehre zuteil wird, seit 1963, seit es den NHL-Draft gibt. Gezogen wurde er von den New Jersey Devils, dem Schlusslicht der letztjährigen Meisterschaft. Hischier ist damit auch der erste Nummer-1-Draft, der nicht aus einer der Top-6-Nationen des Welteishockeys stammt.

In den Schweizer Medien wurden rund um den Draft Ende Juni Vergleiche gezogen mit Roger Federer oder Wayne Gretzky, dem längst zurückgetretenen Kanadier, der als bester Eishockeyspieler aller Zeiten gilt.

Draft-System zum Stärke-Ausgleich

Um zu begreifen, was mit Nico Hischier gerade geschieht, muss man den Draft in der NHL verstehen. Die NHL, die nordamerikanische National Hockey League, ist die weltbeste Eishockeyliga. Sie umfasst 24 US-amerikanische sowie sieben kanadische Teams. 

In den grossen Profiligen des nordamerikanischen Mannschaftssports ist das Draft-System seit Jahrzehnten etabliert. Sein Zweck: Es soll für grössere sportliche Ausgeglichenheit in den Meisterschaften sorgen. 

Der NHL-Draft funktioniert wie folgt: In umgekehrter Reihenfolge der letzten Meisterschaft dürfen die 31 Mannschaften die Rechte für je sieben der besten 18-jährigen Nachwuchsspieler der Welt sichern. Das schlechteste Team darf zuerst wählen, danach ist der Zweitletzte dran etc.. Der Gewinner des Stanley Cups, der Meistertrophäe der NHL, kommt als letzter dran. Insgesamt werden also jedes Jahr 217 Junioren aus aller Welt auf die Teams verteilt. 

Dieses Verfahren wäre in der Schweiz aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht praktikabel, da der Arbeitgeber damit nicht frei gewählt werden kann. 41 Mal schaffte es bislang ein Kanadier, sieben Mal ein US-Amerikaner, drei Mal ein Russen, zwei Mal ein Tschechen und einmal, 1989 als erster Europäer überhaupt, ein Schwede. 

Bescheidenheit, Reife und Charakter

Dass er eben kein Star sein will, zeichnet Hischier aus. Die Verantwortlichen der New Jersey Devils beeindruckten nebst den sportlichen Fähigkeiten vor allem Bescheidenheit, Reife und Charakter Nico Hischiers. Bevor die jungen Spieler am Draft zur Wahl stehen, werden sie nicht nur jahrelang an den Spielen von Scouts beobachtet.

Die NHL-Millionen winken

Eine grosse NHL-Karriere garantiert die Nummer 1 im Draft noch nicht. Doch die allermeisten Vorgänger Nico Hischiers wurden zu Stars mit Millionenverträgen.

Während der Draft 2017 qualitativ von den meisten Experten als nicht herausragender Jahrgang beurteilt wurde, galten jene 2016 und vor allem 2015 als überdurchschnittlich.

Der Kanadier Connor McDavid, der vor zwei Jahren als Nummer 1 gezogen wurde, hat gar das Potenzial, der beste Eishockeyspieler aller Zeiten zu werden. Sein erster Vertrag, der ihm jährlich knapp 1 Million Dollar einbrachte (Hischier wird einen fast identischen 3-Jahres-Kontrakt unterschreiben), läuft im Sommer 2018 aus. Bereits jetzt wird spekuliert, dass McDavids Team, die Edmonton Oilers, den Vertrag vorzeitig bis 2026 verlängern möchten, mit einem Jahressalär von knapp 14 Millionen Dollar – er wäre damit der bestverdiendende Eishockeyspieler aller Zeiten – als 21-Jähriger.

Es wäre vermessen, Hischier mit McDavid zu vergleichen. Eine Karriere als bester und bestverdienender Schweizer Eishockeyspieler aller Zeiten scheint für den Stürmer aber gut möglich.

In der Woche vor dem Draft werden sie von den Klubverantwortlichen in Fragerunden gelöchert, die mehr psychologische Tests denn Interviews sind. Ob sie schon im Gefängnis waren und welche Waffe sie am liebsten einsetzen würden, wenn ihre Freundin attackiert würde, lauteten zwei von unzähligen Fragen in diesem Jahr an Hischier und seine Altersgenossen. Wie sich der junge Walliser in dieser seltsam anmutenden Prozedur schlug, gefiel auch den New Jersey Devils. Sie machten ihn schliesslich zur Nummer 1.

Roadshow mit dem neuen Star

Sein neuer Klub, die New Jersey Devils aus Newark, war in den letzten fünf Jahren notorisch erfolglos. Darum wird Hischier, bevor er überhaupt ein Spiel bei den Profis absolviert hat, als Hoffnungsträger einer ganzen Organisation präsentiert – und dies sehr medienwirksam. 

Schon am Tag nach dem Draft, den er live vor Ort in Chicago miterlebte, wurde Hischier von den Devils mit dem Privatjet nach Newark geflogen. Es standen Besuche von Fussball- und Baseballspielen auf dem Programm, stets wurde er dem Publikum auf dem Spielfeld präsentiert.

In Newark konnte er im bekanntesten Fan-Diner der New Jersey Devils das nach ihm benannte Sandwich probieren – es heisst “The New Nico #1”, enthält gegrilltes Hähnchen, Schweizer Käse, “teufelsrote” Tomaten und kostet stolze US$13.85. Beim Besuch des Time Square in Manhattan leuchtete eine riesengrosse Werbung eines Sponsors der Devils auf, inklusive Grussbotschaft an Hischier. 

Ist das nicht ein wenig zu viel des Guten für einen Teenager?  Beim Heimatbesuch in Naters machte es nicht den Eindruck. Ruhig gab er über eine Stunde lang Autogramme. An diese riesige Aufmerksamkeit müsse sich die ganze Familie noch gewöhnen, sagte seine Mutter Katja Hischier. Ihr jüngster Sohn sei schon stets sehr reif gewesen für sein Alter, hätte die vielen Herausforderungen in seiner jungen Karriere immer gut gemeistert. 

Neu ist für Hischiers, wie viel Einfluss die Devils auf den jungen Spieler nimmt: Er ist umgeben von Sportmanagern, fast nichts wird ohne die Verantwortlichen seines neuen Vereins entschieden. Sich daran zu gewöhnen, hat die Familie noch keine Zeit gehabt. Es wird wohl noch eine Weile dauern.

Hischier im Dress des SCB
In der Schweiz zuvor kaum bekannt: Der junge Nico Hischier 2015 im Dress des SC Bern. Keystone
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