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Ozon-Belastung: Tempolimite bringt wenig

Tempolimiten reduzieren das Ozon laut Paul Scherrer Institut fast nicht. Keystone

Kurzfristige Massnahmen wie eine Senkung der Tempolimite auf Autobahnen haben praktisch keine Auswirkungen auf die Ozonkonzentrationen in der Luft. Diese sind im Sommer stets besonders hoch.

Gemäss einer neuen wissenschaftlichen Studie wird der grösste Teil des Ozons in der Schweiz aus dem Ausland “importiert”.

Im Hitzesommer 2003 wurde in der Schweiz erstmals die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen teilweise eingeschränkt, um hohe Ozonkonzentrationen in der Luft zu bekämpfen. Die Kantone Tessin und Graubünden senkten damals die zulässige Tempolimite von 120 km/h auf 80 km/h.

Diese Massnahme wurde später auch von anderen Kantonen ergriffen.
Doch sie war stets umstritten, die Meinungen gingen vor allem zwischen Umwelt- und Automobilverbänden auseinander.

Die Automobilverbände können sich nun in ihrer Ablehnung der tieferen Tempolimite auf eine neue wissenschaftliche Studie berufen. Diese Studie wurde vom Paul Scherrer Institut PSI durchgeführt.

Sie hat aufgezeigt, dass die Auswirkungen einer Temporeduktion auf die Ozonkonzentrationen praktisch Null sind. “Gemäss unseren Modellrechnungen könnte die Ozonkonzentration in der Luft um nur ein Prozent verringert werden, selbst wenn in der ganzen Schweiz eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h gelten würde”, sagt André Prevot vom PSI-Labor für Chemie und Atmosphäre.

“Kurzfristige lokale Massnahmen dienen vor allem der Gewissensberuhigung”, sagt auch Albrecht Neftel von der Eidgenössischen Forschungsstelle Agroscope gemäss einem Bericht in der “Sonntagszeitung”.

Import von Ozon

Genauso wie andere Schadstoffe kann auch Ozon, das insbesondere durch Strassenverkehr entsteht, nicht an der Landesgrenze aufgehalten werden. Das Reizgas entsteht in Bodennähe, steigt dann in die Höhe auf und wird schliesslich durch Windströme sogar Tausende von Kilometern durch die Atmosphäre transportiert.

Gemäss Schätzungen des PSI stammen rund 75 Prozent des Ozons, das in der Deutschen Schweiz gemessen wird, aus dem Ausland. “Der Löwenanteil kommt aus dem übrigen Euorpa, doch Entstehungsquellen für einen kleinen Teil des Ozons finden sich wahrscheinlich auch in Asien und Amerika”, meint Prevot.

Die Forschungen des Paul Scherrer Instituts bestätigen grundsätzlich die Ergebnisse von Forschungen des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) aus den 1990er Jahren: Demnach werden 20 Prozent des Ozons durch menschliche Aktivitäten in der Schweiz erzeugt, 15 Prozent haben natürliche Ursachen, während 65 Prozent aus dem Ausland stammen.

Sonderfall Tessin

Etwas anders liegt der Fall für das Tessin, dem einzigen Kanton auf der Südseite der Alpen. Auf Grund seiner Topographie und des intensiven Verkehrs auf der Gotthard-Autobahn ist der lokal erzeugte Anteil am Ozon höher als in den anderen Landesteilen.

“Gleichwohl stammt auch im Tessin über 50 Prozent des Ozons aus der benachbarten Lombardei”, sagt André Prevot. Deshalb seien die Konsequenzen einer herabgesetzten Tempolimite auch im Tessin sehr gering.

“Unsere Daten ergeben sich aus statistischen Simulationen, nicht aus konkreten Messungen. Deshalb ist Vorsicht bei der Interpretation auf alle Fälle angebracht”, ergänzt der Wissenschaftler.

Für Luca Colomba vom Tessiner Umweltschutzamt sind diese Aussagen beunruhigend. Er befürchtet, dass sie die Automobilisten nur dazu verführen, auf das Gaspedal zu drücken.

“Die Begrenzung der Geschwindigkeit auf 80km/h haben es ermöglicht, die Ozon-Emissionen im Kanton signifikant zu reduzieren, manchmal sogar um die Hälfte”, erklärt er. “Und nicht nur das Ozon – auch andere schädliche Substanzen wie Feinstaub lassen sich ebenfalls bekämpfen. Die Massnahme ist alles andere als nutzlos.”

André Prévôt vom IPS relativiert tatsächlich die Resultate seines Labors: “Die Daten, die wir vorgestellt haben, wurden nicht an Ort und Stelle erhoben. Es handelt sich um Computer-Simulationen. Man muss sie also mit Vorbehalt behandeln.”

Weniger Tempo den ganzen Sommer

Der Verkehrsclub der Schweiz (VCS) zeigt sich von den Forschungsergebnissen des Paul Scherrer Instituts wenig überrascht.
Denn auch der VCS weiss um die eher geringen Auswirkungen von Tempo 80 auf Autobahnen.

“Die Einschränkungen müssen lange vor dem Überschreiten von Ozon-Grenzwerten eingeführt werden und dies über einen langen Zeitraum, beispielsweise von Mai bis September”, meint VCS-Kampagnenleiter Stefan Füglister.

“Das Problem ist nicht nur das Ozon, sondern auch die Vorläufer-Substanzen wie Stickstoffdioxid oder Feinstaub. Denn diese Stoffe tragen zur Bildung von Sommersmog bei.”

Auch Albrecht Neftel ist überzeugt, dass die Behörden früher eingreifen müssten: “Der Ausstoss von Stickoxiden müsste um 60 bis 70 Prozent gesenkt werden, damit die daraus resultierenden Ozon-Werte für die Umwelt akzeptabel wären.”

Gemeinsame Anstrengungen nötig

Um den Anstieg der Ozon-Konzentrationen in der Luft zu bekämpfen, reichen folglich lokale Initiativen nicht aus. Die Wissenschafter sind sich in diesem Punkt einig.

Viele Länder, darunter die Schweiz, setzen auf die europäische Konvention über die grenzüberschreitende Luftverschmutzung (Göteborg Protokoll). Diese sieht vor, dass die Vorläufer-Substanzen um 40 Prozent gegenüber den Werten von 1990 reduziert werden.

“Dieses Ziel könnte erreicht werden, wenn der Ausstoss aus Motorfahrzeugen stark reduziert wird”, sagt Martin Schiess vom Bundesamt für Umwelt. Gemeint sind Autos, Camions, Flugzeuge, Bau- und Landwirtschaftsmaschinen. Das gleiche gilt für die Reduktion von Schwebestaub, der in Industrien und privaten Haushaltungen entsteht.

swissinfo, Luigi Jorio
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Der Grenzwert für Ozon ist 120 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft.

Im Juli wurde der Grenzwert mehrmals überschritten, sowohl in der Ebene als auch in den Bergen.

Lugano (Stadt): 252 Mikrogramm/m3
Basel (Land): 184
Magadino (Land):232
Jungfrau (hochalpines Gebiet): 141

…findet man in der Troposphäre (Schicht der Atmosphäre bis 10 km Höhe), vor allem aber ganz nahe an der Erdoberfläche.

Ozon bildet sich nicht direkt, sondern ist eine Substanz, die sich aus Vorläuferstoffen unter Sonneneinstrahlung bildet. Es handelt sich um Stickoxide und organische Schwebestoffe.

Stickoxide werden vor allem durch den motorisierten Verkehr generiert, während Schwebestoffe als Emissionen durch Industrie und Haushalte entstehen.

Als Folge hoher Ozonkonzentrationen können Symptome wie Tränenreiz, Schleimhautreizungen in Rachen, Hals und Bronchien, Kopfschmerzen, verstärkter Hustenreiz und eine Verschlechterung der Lungenfunktion auftreten.

Das Ozon in den hohen Schichten der Stratosphäre schützt uns vor schädlicher UV-Strahlung.

Der Rückgang der Ozonschicht in der Stratosphäre (das so genannte Ozon-Loch) ist eine Folge übermässigen Verbrauchs von FCKW (Fluorchlorkohlenwasserstoffe).

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