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Phonothek auf Expansionskurs

Phonothek-Direktor Pio Pellizzari: "Zum Modell in Europa geworden." swissinfo.ch

Bei ihrer Gründung vor 20 Jahren war die Schweizer Nationalphonothek ein Nachzügler. Inzwischen ist das nationale Tonträgerarchiv in Lugano zum vielbeachteten Musterschüler in Europa avanciert – dank dezentralisierter Abhörstationen.

Was die Schweizerische Nationalbibliothek für gedruckte Publikationen, ist die Schweizer Nationalphonothek für Tondokumente: Ein Ort der Sammlung und der Erhaltung für die Nachwelt. Ein Ort gegen das Vergessen.

Seit gut 20 Jahren archiviert die Nationalphonothek mit Sitz in Lugano das klingende Kulturgut der Schweiz und stellt es Interessierten zur Verfügung. Die Sammlung umfasst heute über 260’000 Tonträger.

Dabei handelt es sich um Produktionen der schweizerischen Musikindustrie, Aufnahmen des Radios und der wissenschaftlichen Forschung sowie Komponisten- und Interpretennachlässe. Jährlich kommen etwa 10’000 weitere Tondokumente dazu. Alle gesammelten Dokumente müssen einen Bezug zur Schweiz aufweisen.

Föderalistische Schweiz

Als das Tonträgerarchiv 1987 gegründet wurde – damals unter dem Namen Landesphonothek – war viel Improvisation gefragt. Unter prekären Platzverhältnissen baute Kurt Degeller das Tonarchiv im Kellergeschoss des Radiostudios Foce in Lugano auf.

Föderalistische Motive gaben damals den Ausschlag, das Tonträgerarchiv im Tessin zu stationieren. Die Nationalbibliothek in Bern, die Cinémathèque in Lausanne, da musste die Phonothek in die italienische Schweiz wandern.

Es war eine politisch unumstrittene, in der Praxis aber problematische Lösung, insbesondere wegen der umständlichen Anreise für Benutzer aus anderen Landesteilen. Die wenigsten Benutzer stammen bis heute aus dem Tessin, wie Pio Pellizzari, seit 1998 Direktor der Nationalphonothek, erklärt.

Dezentrale Abhörstationen

Genau dieser Umstand spornte Pellizzari an, nach technischen Möglichkeiten zu suchen, um den Benutzerkreis ausweiten zu können. “Ich dachte: Wenn es für die Nutzer schwierig ist, zu uns zu kommen, dann müssen wir eben mit den Arbeitsplätzen zu den potentiellen Nutzern gehen”, erinnert sich Pellizzari.

Dank der Digitalisierung weiter Teile der Bestände und Internet waren die technischen Voraussetzungen für dezentralisierte Arbeitsplätze in der deutschen und französischen Schweiz gegeben. Doch vor allem urheberrechtliche Probleme gab es zu überwinden. “Inzwischen haben wir diese gelöst”, freut sich Pellizzari.

Somit stehen nun über eine Art Intranet-System voll ausgestattete Arbeitsplätze der Nationalphonothek an der Nationalbibliothek in Bern, der Zentralbibliothek in Zürich, der Musikhochschule Luzern und der Bibliothèque Cantonale et Universitaire in Lausanne zur Verfügung.

Interesse in ganz Europa

Konkret bedeutet dies, dass von diesen Arbeitsplätzen alle digital erfassten Tonträger der Nationalphonothek abgehört werden können. Es versteht sich von selbst, dass ein Kopier- und Sicherheitsschutz eingebaut ist, um Missbräuche zu vermeiden.

Diese Dezentralisierung hat in Europa für Aufsehen gesorgt. “Unser System wird wohl Schule machen”, ist Pellizzari überzeugt. Er habe Anfragen aus ganz Europa erhalten, aus Prag, Budapest, aber auch aus Neapel und Mailand.

Als die Schweizer Nationalphonothek 1987 gegründet wurde, war sie ein Nachzügler in Europa, wo die meisten Tonarchive bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihre Arbeit aufgenommen hatten. “Wir waren spät dran, konnten von den Fehlern der andere lernen und sie inzwischen überholen”, meint Pellizzari.

Nun soll dieses System ausgebaut werden. Ziel ist es, bis Ende 2009 in jedem Kanton der Schweiz mindestens einen Arbeitsplatz der Nationalphonothek in einer öffentlichen Bibliothek anbieten zu können.

swissinfo, Gerhard Lob, Lugano

In der Schweizer Nationalphonothek in Lugano arbeiten 20 Personen, die sich 14,5 Vollzeitstellen teilen. Dazu kommen Praktikanten und Zivildienstleistende.

Das Budget (2009) beträgt rund 2,3 Mio. Franken. Davon werden 1,6 Mio. für das Personal benötigt. Der Rest verteilt sich auf Miete, Technik und weitere Kostenstellen.

Finanziert wird die Nationalphonothek vor allem vom Bund, aber auch vom Kanton Tessin und der Stadt Lugano, welche für die Miete der Räumlichkeiten aufkommt. Die Eigenfinanzierungsrate beträgt 7%.

In der Ende 1987 als Stiftung gegründeten Landesphonothek (später in Nationalphonothek umgetauft) trat der Bund nicht als Stifter auf, erhielt aber einen Sitz im Stiftungsrat.

Neben dem Kanton Tessin und der Stadt Lugano beteiligten sich auch die SRG SSR idée Suisse sowie die Verwertungsgesellschaften SUISA, SIG und IFPI an der Stiftung.

Im Jahr 2001 ist die Nationalphonothek vom Studio Foce ins repräsentative Centro San Carlo, dem ehemaligen Priesterseminar von Lugano, umgezogen. Dort befinden sich Büros, Studios sowie das physische Archiv mit Schallplatten, CDs, Tonbändern, etc.

Im Archiv der Nationalphonothek lagern rund 260’000 Tonträger. Zirka 160’000 sind im Katalog erfasst. Der Katalog ist online über die Homepage der Phonothek in fünf Sprachen abrufbar (Deutsch, Italienisch, Französisch, Rätoromanisch, Englisch)

Neueingänge haben bei der Erfassung und Digitalisierung Vorrang. Die Aufarbeitung von historischen Altbeständen geniesst zweite Priorität. Katalogisiert wird in fünf Sparten: Klassik, Rock-Pop, Jazz, Folk, gesprochenes Wort.

Seit 2006 werden alle Tonträger digital gespeichert. Der zentrale Server der Phonothek weist 40 Terrabyte Speichervolumen auf.

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SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

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