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Rio 92: “Der Geist von damals droht unterzugehen”

An der Konferenz von 1992 in Rio waren auch Ureinwohner Brasiliens vor Ort, wie etwa die Kayapo-Indianer, die für den Erhalt ihres Lebensraumes kämpfen. Keystone

1992, kurz nach dem Berliner Mauerfall, herrschte in der Welt Aufbruchstimmung. Etwas von dieser Stimmung war auch an der UNO-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro zu spüren, der damals grössten politischen Konferenz aller Zeiten.

20 Jahre später kommt die internationale Staatengemeinschaft Mitte Juni erneut zu einer Konferenz in Rio de Janeiro zusammen, um das politische Engagement für die nachhaltige Entwicklung zu erneuern.

Im Vorfeld dieser Konferenz, kurz “Rio+20” genannt, wirft swissinfo.ch im Gespräch mit Philippe Roch, dem langjährigen früheren Direktor des Bundesamts für Umwelt, einen Blick zurück auf 1992.

Zu den Resultaten von damals gehören die UNO-Konventionen zum Klima und zur Biodiversität sowie die Rio-Deklaration, ein Dokument mit Grundsätzen, in denen die nachhaltige Entwicklung als Leitkonzept der internationalen Staatengemeinschaft verankert wird.

Dazu kam die Agenda 21, ein Programm für das 21. Jahrhundert, das in gewissem Sinne auch die damalige Aufbruchstimmung reflektierte.

Es zeigt konkrete Lösungsansätze auf, wie der drohende Ökokollaps der Erde mit Hilfe der nachhaltigen Entwicklung zu verhindern wäre. Die Umsetzung der Agenda sollte auf globaler, regionaler, nationaler und lokaler Ebene erfolgen.

Neuer Politbegriff: Nachhaltige Entwicklung

“Neu war, dass die Idee der nachhaltigen Entwicklung nicht nur zum ersten Mal auf solch hohem Niveau diskutiert wurde, sondern dass sich viele wirklich auch zum ersten Mal bewusst wurden, dass die Akteure aus Politik, Wirtschaft, Umwelt und Entwicklung aus der ganzen Welt zusammen arbeiten müssen, dass man Aktivitäten vernetzen muss, wenn wir die Ressourcen unserer Erde bewahren wollen”, erklärt Roch, der damals eben erst sein Amt als Direktor des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft angetreten hatte. 

Der Begriff “nachhaltige Entwicklung” war 1987 mit dem im Auftrag der UNO erarbeiteten Bericht der Brundtland-Kommission “Unsere gemeinsame Zukunft” in die globale Debatte über Entwicklungs- und Umweltpolitik eingeflossen.

Unter nachhaltiger Entwicklung verstand die Kommission eine Entwicklung, in der Ökologie und Ökonomie sich nicht länger diametral gegenüberstehen, sondern zusammengebracht werden.

Agenda 21 noch immer relevant

“Es war ein grosses Abenteuer, ein erster wichtiger Schritt”, erklärt Roch. “Erstmals wurde auf so hoher politischer Ebene bekräftigt, dass Themen, die bis dahin gesondert angegangen worden waren, miteinander vernetzt sind. Dass man Wege finden muss, die Ökosysteme unseres Planeten, unsere Ressourcen zu bewahren, weil es sonst langfristig keine gerechte und soziale Entwicklung für alle geben kann.”

“Die Agenda 21”, sagt Roch, “ist auch 20 Jahre nach Rio noch immer das beste Dokument, wenn es um diese grundsätzlichen Themen geht. In der Agenda werden die richtigen Fragen gestellt.” Man habe damals wirklich einen Elan gespürt, auch wenn nicht alle Staaten, Institutionen und Organisationen mit gleich viel Engagement die Ziele angegangen seien. Rechtlich und auf Ebene der Institutionen habe es seither Fortschritte gegeben.

Doch leider müsse man heute sagen, dass der damals von vielen Seiten erwartete Paradigmenwechsel nicht eingetreten sei. “An vielen Orten der Welt verschlechtern sich die Lebensbedingungen. Weit mehr als eine Milliarde Menschen haben kein sauberes Trinkwasser.”

In Rio habe man die nachhaltige Entwicklung damals ernsthaft auf die Agenda gesetzt, grundsätzlich wahrgenommen, dass der Mensch seine Lebensweise und viele seiner Tätigkeiten ändern müsste. Doch davon sei leider nicht mehr viel zu spüren. “Oft hat man das Gefühl von Heuchelei, oftmals klafft zwischen den schönen Worten, Lippenbekenntnissen und der Realität eine Diskrepanz.”

Treten an Ort

Im Rückblick sagt Roch: “In Rio waren wir am fortschrittlichsten. Seither drehen wir uns in gewissem Sinne im Kreis, in vielen Bereichen hat sich die Lage verschlechtert.” Zum Beispiel beim Klima. Die Konvention sei eigentlich exzellent gewesen, doch heute müsse man eingestehen, dass man nicht einmal die Ziele des Kyoto-Protokolls erreiche.

“Natürlich gab es Fortschritte, aber im Grossen und Ganzen kommen wir nicht vorwärts, weil wir das System des stets weiter wachsenden Bruttoinland-Produkts als einziges Wirtschaftskriterium nicht in Frage stellen. Solange diese enge materialistische Sicht der Dinge den Diskurs dominiert, habe ich eine eher triste Sicht der Dinge”, bedauert Roch. “Der Geist von Rio droht, unterzugehen.”

Durchzogene Schweizer Umsetzung

Was die Umsetzung der Rio-Ziele in der Schweiz angeht, zieht Roch, der bis zu seinem Rücktritt als Umwelt-Direktor 2005 auch an der Entwicklung und Umsetzung einer neuer Gesetzgebung beteiligt war, eine durchzogene Bilanz. Was Klima und Energie betreffe, gehe es sehr langsam, bedauert er.

Neben dem CO2-Gesetz habe man was die fossilen Energien angehe, kaum etwas unternommen. Und bevor der schrittweise Ausstieg aus der Nuklearenergie Programm wurde, habe es leider die Katastrophe von Fukushima gebraucht.

Im Bereich Biodiversität begrüsste Roch den Entscheid des Stimmvolkes zur Rothenthurm-Initiative zum Schutz der Moore. Auch das neue System zur Einrichtung von regionalen Naturparks sei eine positive Entwicklung.

Bezüglich Raumplanung verweist Roch auf den enormen wirtschaftlichen und demographischen Druck. “Wir zerstören viel zu viel unserer letzten Grünflächen.” Das Volk sehe das offenbar auch so, erklärte Roch unter Hinweis auf die Annahme der Volksinitiative gegen Zweitwohnungen.

Handlungsbedarf ortet Roch auch bei der Landwirtschaft, wo – neben dem ersten Ziel der Produktion – vor allem der Schutz von Boden und Wasser im Vordergrund stehen. Die Schweizer Landwirtschaft sei noch lange nicht ökologisch genug. Es gebe noch viel zu tun und der Bauernverband mache leider immer noch zu oft Opposition.

1972: Konferenz für menschliche Umwelt, Stockholm

1992: Konferenz zu Umwelt und Entwicklung, Rio de Janeiro

1997: Folgekonferenz in New York (Rio+5)

1997: Klimakonferenz in Kyoto 

2002: Folgekonferenz in Johannesburg (Rio+10)

2012: Folgekonferenz in Rio (Rio+20)

Den wohl bedeutendsten Anstoss zu einem wachsenden Bewusstsein der Bedeutung einer ökologisch tragbaren Entwicklung hatte die 1972 vom Club of Rome veröffentlichte Studie “Grenzen des Wachstums” gegeben.

1987 publizierte die von der UNO eingesetzte Weltkommission für Umwelt und Entwicklung  den nach ihrer Vorsitzenden Gro Harlem Brundtland bezeichneten Bericht “Unsere gemeinsame Zukunft.

Der Bericht geht davon aus, dass wirtschaftliche, soziale und Umweltprobleme miteinander verhängt sich und sich beeinflussen.

Der Bericht hat massgeblich das heute allgemein anerkannte Nachhaltigkeits-Verständnis geprägt und beeinflusst bis heute die politische Debatte zur nachhaltigen Entwicklung, die mit der UNO-Konferenz in Rio de Janeiro 1992 angestossen wurde.

Im Verlauf der Jahre wurde immer wieder um Aspekte der Nachhaltigkeit gerungen. Das aktuelle Schlagwort ist “Grüne Wirtschaft”, was damit gemeint ist, ist eine der umstrittenen Fragen bei den sehr harzend verlaufenden Verhandlungen im Vorfeld der Konferenz Rio+20. 

(Quelle: UVEK)

An der Konferenz wurden die Konventionen zum Klima und zur Biodiversität beschlossen, die seither weiter entwickelt wurden (Stichwort Kyoto-Protokoll).

Deklaration von Rio: 27 Grundsätze, die festhalten, dass wirtschaftlich nachhaltiger Fortschritt langfristig nur in Verbindung mit einem Schutz der Umwelt erzielt werden kann.

Agenda 21: Ein Aktions-Programm für das 21. Jahrhundert, das umfassend und konkret Lösungsansätze aufzeigt, wie der drohende Ökokollaps der Erde mit Hilfe einer nachhaltigen Entwicklung zu verhindern wäre.

Wald-Deklaration: Rechtlich nicht verbindliche Leitsätze für Bewirtschaftung, Erhalt und nachhaltige Entwicklung der Wälder.

Desertifikation: Ein Komitee nimmt nach Rio Verhandlungen für eine Konvention aus, die 1994 zustande kommt.

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