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“Schweizer politisieren mehr”

Annemarie Tromp
Annemarie Tromp, Ärztin und Präsidentin der ASO Deutschland. Annemarie Tromp

Studieren in Deutschland, arbeiten in Frankreich: Die Zukunft der Personenfreizügigkeit für Schweizer innerhalb der EU hängt auch von Berlins Stimme in Brüssel ab. Auch deshalb verfolgt Annemarie Tromp, Präsidentin der ASO-Deutschland, den Bundestags-Wahlkampf mit Interesse.

Am Abend zuvor lief im deutschen Fernsehen das zentrale Streitgespräch zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem Herausforderer Martin Schulz (SPD). Die 36-Jährige hat von ihrem Wohnort Hamburg aus einen Teil des Duells verfolgt, bevor die Familie ihre Zeit forderte. Aber eigentlich geht es ihr wie zahlreichen Deutschen auch – greifbare Unterschiede konnte sie zwischen den Kontrahenten nicht ausmachen. Zu nah liegen die Positionen der grossen deutschen Volksparteien beieinander.

Schweizer in Deutschland 

In Deutschland leben derzeit 89390 Schweizer, so Botschafter Jürg Burri vom EDA in Bern, das sind 4% mehr als vor einem Jahr (2016) und 11% aller im Ausland lebenden Eidgenossen. 60% der in Deutschland lebenden Schweizer sind weiblich.

Was fällt ihr im Vergleich zum Schweizer Wahlkampf auf? “Diese Fokussierung auf zwei Politiker”, sagt sie, die sei ihr doch eher fremd. “In der Schweiz wählt man ja viel eher die Inhalte als die Personen”, sagt die Ärztin. Überhaupt spielten Inhalte in der direkten Demokratie der Schweiz eine viel bedeutendere Rolle, schliesslich stimmt die Bevölkerung dort in der Regel alle drei Monate über Sachthemen und nicht über Personen ab.

Im deutschen Bundestags-Wahlkampf geht es vermeintlich um die Wahl zwischen einer CDU- oder eine SPD-geführten Regierung, jenen beiden Polen, zwischen denen die Berliner Politik seit Jahrzehnten hin- und herpendelt. Es sei denn, die beiden Parteien formen wie in den vergangenen Jahren eine grosse Koalition.

Die wollen sie nach eigenen Aussagen jedoch nicht fortführen. Die politischen Weichen sollen mit Hilfe von anderen Koalitionspartnern neu gestellt werden. “Solche Richtungsentscheidungen gibt es in der Schweizer Konkordanz-Demokratie ja nur in abgeschwächter Form”, sagt Tromp.

Alle vier Jahre ein Kreuzchen

Spannend sei der deutsche Wahlkampf deshalb trotzdem nur in Massen. “Ich lebe hier. Natürlich interessiert mich daher auch die deutsche Politik”, sagt die Ärztin. Und doch: “In der Schweiz wird viel mehr politisiert”, findet sie, ob abends im Restaurant, zwischen Kollegen oder daheim.

Die Themen der Abstimmungen bieten dafür permanent Stoff, auch weil sie die Menschen direkt betreffen, zum Beispiel, wenn die Bürger über den Steuersatz in ihrer Gemeinde abstimmen. In Deutschland habe sie solche Gespräche hingegen noch nie geführt. “Hier macht man alle vier Jahre ein Kreuzchen, und zu Sachthemen wird man meistens nicht gefragt.”

Diese Einbeziehung der Bürger in der direkten Demokratie sei wohl auch der Grund, “dass der Schweizer emotionaler ist, was Politik angeht”, findet Tromp. Politik sei eben Teil des Schweizer Alltags, jeden Tag und nicht nur in Wahlzeiten. Zumal sei die Schweiz eben ein kleines Land, da kenne man häufig die Menschen, die sich zur Wahl stellen. “Die deutsche Politik ist da viel mehr vom Typus des Berufspolitikers geprägt.”

Präsidentin der ASO-Deutschland

Ende Mai 2017 wurde die gebürtige Bernerin Annemarie Tromp in Berlin zur neuen Präsidentin der ASO-Deutschland gewählt und läutete damit einen Generationswechsel ein.

Mit ihrem deutlich verjüngten Team soll die Perspektive der jungen Generation in der Organisation eine stärkere Gewichtung erhalten. Das Alter der gewählten Delegierten in den Auslandschweizerrat reicht nun von 24 bis 68 Jahre.

Derzeit, so die neue Präsidentin, baue man sich als Team auf und verteile die Aufgaben neu. Auch die online-Präsenz der deutschen Auslandschweizer soll modernisiert werden.

Tromp ist zudem bereits seit 2015 auch Präsidentin des Schweizer Vereins Helvetia in Hamburg.

Dass sie voll berufstätig ist und mit ihrem Mann zwei kleine Kinder versorgt, ist für ihr Engagement dabei kein Hemmschuh: “Ich habe gelernt, mich zu organisieren, und das kommt meiner Aufgabe in der ASO durchaus zugute”, sagt sie.

Die Debattenkultur ähnle sich jedoch in beiden Ländern, bemerkt sie. Meist gehe man “anständig” mit dem Gegenüber um und greife sich nicht respektlos an. Im Einzelfall hänge der politische Stil aber doch mehr von der Person als von der Kultur ab, glaubt sie. “Dass Angela Merkel mit hochrotem Kopf aus der Haut fährt, wäre einfach gar nicht ihre Art.”

Mobil dank der Bilateralen

Deutsche Innenpolitik, Flüchtlingspolitik, Sozialpolitik, über all das ist die Anästhesistin auf dem Laufenden. Und doch liegt ihr näher, welche Entscheidungen in ihrer Heimat getroffen werden, zumal sie dort weiter wählt und abstimmt.

Ob es um die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative geht, die Schwierigkeiten von im Ausland lebenden Schweizern, daheim ein Bankkonto zu führen, oder die Probleme der Fünften Schweiz, sich in der Heimat freiwillig für das Alter zu versichern: Als Präsidentin der Auslandschweizer-Organisation Deutschland weiss sie um die Bedeutung der Entscheidungen in der Heimat für jene, die das Land verlassen haben.

Tromp wünscht sich von der deutschen Politik einen Einfluss in Brüssel, der die Personenfreizügigkeit mit der Schweiz zu erhalten sucht. Ohne die bilateralen Verträge zwischen ihrer Heimat und der Europäischen Union wäre ihre Generation bei weitem nicht so mobil und flexibel.

Sie selbst konnte vor neun Jahren problemlos von Bern in die Hansestadt ziehen, um dort ihre Ausbildung als Ärztin abzuschliessen. Derzeit arbeitet die Mutter von zwei kleinen Kindern in Hamburg in einem Krankenhaus als Anästhesistin.

Keine Entscheidung fürs Leben mehr

Aus Gesprächen mit älteren Landsleuten weiss Annemarie Tromp, wie viele Hürden der Umzug nach Deutschland vor den bilateralen Abkommen mit sich brachte. Für die alte Generation war die Auswanderung zudem meist eine Entscheidung fürs Leben. “Die heute 70- bis 80-jährigen Auslandschweizer wissen meist, dass sie nicht mehr aus Deutschland wegziehen werden”, sagt sie. Aus so einer Perspektive bekommt dann auch die Bundestagswahl eine andere Bedeutung.

Die 36-Jährige gehört hingegen einer Generation an, deren Biographien von mehr Mobilität gekennzeichnet sind. “Auslandschweizer meiner Generation wissen häufig nicht, wo sie in 30 Jahren sein werden und wo sie später Rente beziehen.” Sie studieren in der Schweiz, arbeiten einige Jahre in der EU, dann vielleicht in den USA – und vielleicht kehren sie auch zwischendurch für einige Jahre in ihre Heimat zurück, bevor sie erneut aufbrechen.

Statt Auslandschweizer verwendet Annemarie Tromp daher auch lieber den Begriff der “mobilen Schweizer”. Sie selbst zählt sich dazu. Ihr Hamburger Leben gefällt ihr, doch ob sie und ihre Familie auf Dauer dortbleiben werden, vermag sie nicht zu sagen.

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