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Reform der Altersvorsorge nimmt erste Hürde im Parlament

Immer mehr Rentner, aber weniger Beitragszahler: Die künftige Finanzierung der Altersrenten bereitet dem Schweizer Parlament Kopfzerbrechen. Keystone

Ein neuer Anlauf zur Reform der Altersvorsorge hat die erste Hürde im Parlament genommen, mit dem grünen Licht des Ständerats. Doch der Weg ist noch lang: Einen Kompromiss zu finden, der beim Stimmvolk auf Zustimmung trifft, scheint schwierig. Die Linke befürchtet einen Sozialabbau, die Rechte ein Milliardenloch.

Wie die anderen Industrienationen wird die Schweiz mit einer Überalterung der Bevölkerung konfrontiert, während immer weniger Babys geboren werden. Nicht einmal eine starke Einwanderung kann dies völlig ausgleichen.

Die Babyboomer

Für die Altersvorsorge ist diese demografische Entwicklung ein sehr konkretes Problem. Es gibt immer mehr Rentner und immer weniger arbeitstätige junge Menschen, die das System finanzieren.

Dieses Ungleichgewicht ist zwar nicht neu, doch die Situation könnte sich noch verschärfen. “Die Altersvorsorge muss sich den demografischen Veränderungen anpassen, sei es der steigenden Lebenserwartung oder der anstehenden Pensionierung der Babyboomer-Generation”, sagte der für Sozialversicherungen zuständige Bundesrat Alain Berset vor den Ständeräten.

Die drei Säulen

Das Schweizer System der Altersvorsorge basiert auf drei Säulen.

Die erste ist die staatliche Vorsorge: Jede in der Schweiz wohnhafte Person muss Beiträge in die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) einzahlen, eine Grundversicherung, die den Existenzbedarf garantiert.

Die zweite Säule ist die berufliche Vorsorge: Sie ist eine obligatorische, private Versicherung, an die Arbeitnehmende und Arbeitgeber zu gleichen Teilen Beiträge zahlen, die später in Form einer Rente oder von Kapital zurückbezahlt werden.

Die dritte Säule ist die private Vorsorge. Sie ist freiwillig und kann bis zu einem gewissen Betrag von den Steuern abgezogen werden.

Quelle: Bundesamt für Sozialversicherungen

Angesichts dieser Entwicklung schätzen die Bundesbehörden, dass die schweizerische Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) bis 2030 zusätzliche Leistungen im Umfang von jährlich 8,3 Milliarden Franken decken muss.

Den Kompromiss finden

Die Landesregierung (Bundesrat) präsentierte deshalb dem Parlament einen Vorschlag zur Reform der Altersvorsorge, der bis 2020 in Kraft treten soll. Doch diese Übung gleicht einem Hochseilakt.

Das Ziel ist, ein finanzielles Gleichgewicht des Systems zu erreichen. Dies erfordert eine Erhöhung der Mittel für die Sozialversicherungen, aber auch eine Kürzung gewisser Leistungen, um Kosten zu senken.

In der Schweiz – die direkte Demokratie erfordert dies – hat häufig das Stimmvolk das letzte Wort. Doch in den letzten Jahren hatte es Änderungen am System der Altersvorsorge zwei Mal abgelehnt. Es sagte Nein zur Erhöhung des Frauen-Rentenalters, wie auch zu einer Herabsetzung des Umwandlungssatzes in der beruflichen Vorsorge. Tatsächlich muss man bis 1995 zurückblättern, um eine gelungene Reform zu finden.

Um eine erneute Niederlage zu verhindern, ist ein Kompromiss unabdingbar. Es geht darum, weder die Linke zu stark zu verärgern, die sofort aufschreit, falls es zur Reduzierung von Sozialleistungen kommt, noch die Rechte, die sehr empfindlich auf finanzielle Unausgeglichenheit und höhere Ausgaben reagiert.

Ständerat folgt Bundesrat

Als Erstrat (erste Parlamentskammer, die ein Projekt behandelt) nahm der Ständerat die Reform ohne grosse Schwierigkeiten an. Grundsätzlich segnete er die Vorschläge der Regierung ab und modifizierte diese nur geringfügig.

Das Rentenalter soll für Frauen von 64 auf 65 Jahre (Rentenalter der Männer) angehoben werden. Zudem soll man früher (ab 62) oder später (ab 70) in Rente gehen können. Dafür ist eine Verringerung oder eine Erhöhung der Renten vorgesehen.

Im Bereich der Leistungskürzungen soll zudem der Umwandlungssatz für die berufliche Altersvorsorge von 6,8 auf 6% gesenkt werden. Konkret bedeutet das, dass ein angespartes Vorsorgekapital von 100’000 Franken jährlich das Recht auf eine Rente von 6000 statt 6800 Franken bedeutet. Im Gegenzug will der Ständerat neue AHV-Renten für Einzelpersonen um 70 Franken pro Monat (840 Fr. pro Jahr) erhöhen.

Zusätzliche Einnahmen sollen hauptsächlich durch eine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes generiert werden. Der Ständerat sprach sich dafür aus, diese schrittweise bis 2030 um 1% zu erhöhen. Zur Finanzierung der höheren AHV-Renten sollen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern je 0,15 Lohnprozente zusätzlich erhoben werden.

Nationalrat am Zug

Nach den eidgenössischen Wahlen vom Oktober wird der Nationalrat in der Wintersession das Thema debattieren. Dabei ist nicht sicher, ob die Abgeordneten alle Kompromissvorschläge des Ständerats annehmen werden.

Die Gewerkschaften wappnen sich bereits jetzt gegen jede Verschärfung: “Nur wenn die Bilanz für die Bevölkerung in der Endabrechnung stimmt, kann die Vorlage an der Urne bestehen”, schreibt der Schweizerische GewerkschaftsbundExterner Link (SGB). “An diesem Grundsatz wird sich auch der Nationalrat orientieren müssen, wenn die Reform nicht erneut scheitern soll. Dies gilt umso mehr, als die mit den Beschlüssen des Ständerats verbundenen Einschnitte nach wie vor enorm sind.”

Christliche Gewerkschaften verlangen bereits jetzt Verbesserungen des ständerätlichen Vorschlags. Für Travail SuisseExterner Link etwa sind die angenommenen Änderungen für die Arbeitnehmenden viel zu “bitter”.

(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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