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Soll das Stimmrecht der Auslandschweizer beschnitten werden?

Eine flächendeckende Einführung der elektronischen Stimmabgabe könnte mehr Auslandschweizer zur Stimmbeteiligung ermutigen - eine Idee, die nicht allen gefällt. Keystone / Gian Ehrenzeller

Den Auslandschweizerinnen und -schweizern nach einer bestimmten Abwesenheitsdauer das Stimmrecht entziehen: So lautet die Idee des FDP-Ständerats Andrea Caroni. Der Vorschlag, der möglicherweise zehntausende Wähler und Wählerinnen der Diaspora betreffen könnte, sorgt für eine Kontroverse.

“Es ist nicht normal, dass Personen, die nie in der Schweiz gelebt haben und die auch nicht die Absicht haben, zurückzukehren, hier das Stimm- und Wahlrecht haben, während ein bestens in der Schweiz integrierter Ausländer sich nicht zu Entscheiden äussern darf, die ihn direkt betreffen.”
Andrea Caroni, FDP-Ständerat

Seit dessen Einführung im Jahr 1977 wurde das Stimm- und Wahlrecht für Auslandschweizerinnen und -schweizer noch nie durch einen parlamentarischen Akt in Frage gestellt. Am Donnerstag aber wird der Ständerat (kleine Parlamentskammer) sich mit der Frage beschäftigen: In einer Interpellation hat Ständerat Andrea Caroni von der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen) den Bundesrat dazu aufgefordert, eine zeitliche Befristung des Stimm- und Wahlrechts für Auslandschweizer und -schweizerinnen nach dem Wohnsitzkriterium zu prüfen.

“Es ist nicht normal, dass Personen, die nie in der Schweiz gelebt haben und die auch nicht die Absicht haben, zurückzukehren, hier das Stimm- und Wahlrecht haben, während ein bestens in der Schweiz integrierter Ausländer sich nicht zu Entscheiden äussern darf, die ihn direkt betreffen”, sagt Caroni.

Der Appenzeller findet, man müsse zwischen zwei Kategorien von Auswanderern unterscheiden: Die einen leben während einer bestimmten Zeit im Ausland – und könnten somit bei ihrer Rückkehr von den politischen Entscheiden betroffen sein, zu denen sie sich äussern dürfen. Die anderen leben im Ausland und sind in Besitz eines Schweizer Passes, beispielsweise weil ihre Eltern oder Grosseltern Schweizerischer Herkunft sind. Sie haben keine engere Beziehung mehr zu ihrem Herkunftsland.

“Einige Länder machen diese Unterscheidung bereits. Grossbritannien spricht seinen Bürgern und Bürgerinnen das Stimm- und Wahlrecht ab, wenn sie länger als 15 Jahre im Ausland leben. In Deutschland liegt die Frist bei 25 Jahren”, so Caroni.

ASO-Direktorin wehrt sich

Rund 160’000 Ausgewanderte sind bei Schweizer Vertretungen im Ausland registriert und dürfen somit ihre politischen Rechte in ihrer Heimat ausüben. Das entspreche der Stimmbürgerschaft eines mittelgrossen Kantons, hält der Bundesrat in seiner Stellungnahme auf die Interpellation von Caroni fest.

Bei einer Frist von 15 Jahren wären rund 76’000 Auslandschweizer und -schweizerinnen betroffen und würden ihr Stimm- und Wahlrecht verlieren. Läge die Frist bei 20 Jahren, wären es deren 52’000, bei 25 Jahren 36’000 Personen, die ihre politischen Rechte in der Schweiz nicht mehr ausüben könnten.

Das sei “inakzeptabel”, findet die Auslandschweizer-Organisation (ASO), welche die Interessen der Auslandschweizerinnen und -schweizer in der Schweiz vertritt. Die Verbindung des Stimm- und Wahlrechts und des Zeitraums, während dem sich eine Person im Ausland aufhält, würde bedeuten, dass einem ganzen Teil der Schweizer Bevölkerung die politischen Rechte abgesprochen würden, wie ASO-Direktorin Ariane Rustichelli sagt. “De facto würden so Bürger verschiedener Klassen geschaffen.”

“De facto würden so Bürger verschiedener Klassen geschaffen.”
ASO-Direktorin Ariane Rustichelli

Die Altersreform, welche das Schweizer Stimmvolk am vergangenen Sonntag abgelehnt hat, sei nur ein Beispiel für ein Thema, das auch die Schweizerinnen und Schweizer im Ausland direkt betreffe – unabhängig vom Zeitraum des Aufenthalts, so Rustichelli.

Keine Mehrheit im Parlament

Caroni weiss, dass er ein Tabu gebrochen hat. Ihm sei klar, dass es für einen Politiker nicht sonderlich attraktiv sei, das Stimmrecht eines Teils seiner Bürger in Frage zu stellen, sagt er. Angesichts der zurückhaltenden Haltung des Bundesrats weiss der Abgeordnete auch, dass es unmöglich sein wird eine Mehrheit seiner Kollegen und Kolleginnen im Parlament für sein Anliegen zu gewinnen.

Der Appenzeller hat nicht die Absicht, in Kürze verbindlichere Wege einzuschlagen. “Ich finde aber, dass diese Debatte geführt werden muss. Die Frage könnte zum Beispiel bei der nächsten Revision des Bundesgesetzes über die politischen Rechte der Auslandschweizer diskutiert werden. Das wird aber erst in mehreren Jahren der Fall sein.”

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(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)

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