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Didier Burkhalter: International geachtet, im Inland kritisiert

Zwei Schweizer Fahnen - in der Mitte leer, nur das Schild von Didier Burkhalter
Er geht - und sorgte damit für die Überraschung des Tages: Didier Burkhalter räumt im Herbst seinen Bundesratssessel. Keystone

Nach der Rücktrittsankündigung wird in den Medien abgerechnet mit Didier Burkhalter, welcher der Schweiz auf internationalem Parkett viel Beachtung verliehen hat, von gewissen Politikern und Medienvertretern aber oft kritisiert wurde. "Mehr Diplomat als Bundesrat", lautet der Tenor in zahlreichen Presse-Kommentaren.

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Niemand hat ein Rezept, wie die Schweiz den gordischen Knoten in den Verhandlungen mit der Europäischen Union (EU) lösen soll. Aber dies hätte die Schweizer Presse von ihrem Aussenminister erwartet. Dass Burkhalter als Vorsitzender der OSZE im Ukraine-Konflikt eine wesentliche Rolle als Vermittler spielte, geht in der Kritik zu Burkhalters Europa-Politik unter. Das zeigt ein Blick auf die Kommentare ausgewählter Zeitungen.

Tages-Anzeiger: “Packen wir diese Chance!”

Laut der Zürcher Tageszeitung gibt es in Burkhalters wichtigstem Dossier Versäumnisse zu beklagen: “Die fast mit Händen greifbare Orientierungslosigkeit der Landesregierung in der Europapolitik ist schwergewichtig dem führungsschwachen Aussenminister anzulasten.”

Dass Burkhalter jetzt geht, “schafft die Chance, den Beziehungen zur EU ein neues Gepräge zu geben. Die eigenartige Insistenz, mit der Burkhalter auf ein Rahmenabkommen drängte, nahm niemand mehr ernst. Burkhalters Nachfolger oder Nachfolgerin braucht mehr politisches Gespür, mehr Wille, sich damit zu beschäftigen, was wünschbar und machbar ist. Er oder sie muss dem Land wieder eine aussenpolitische Vision vermitteln, muss hinstehen, erklären – und begeistern. Und muss, besonders wichtig, zumindest das Regierungskollegium wieder hinter die eigene Strategie bringen können.”

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Le Temps: “Er hatte nicht mehr das totale ‘feu sacré’

“Hatte Didier Burkhalter wirklich Lust, Bundesrat zu werden?”, fragt die Westschweizer Tageszeitung Le Temps und meint: “Wahrscheinlich nicht.”

Der Bund: “Er war gar nie richtig Bundesrat”

Burkhalters Art habe zwar mitgeholfen, die schweizerische Europapolitik zu versachlichen, attestiert Der Bund, die zweitgrösste Tageszeitung im Kanton Bern, dem abtretenden Magistraten. “Inhaltlich lag der analytische Burkhalter ohnehin richtig: Es ist eine Illusion zu meinen, dass die Schweiz den erfolgreichen bilateralen Weg ewig fortsetzen kann, ohne ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU zu schliessen.”

Aber das Mitglied der Landesregierung habe zu wenig lustvoll für seine Sache gekämpft: “…die Dinge hundertmal erklären, Skeptiker umgarnen, Kritikern charmieren, auf die öffentliche Meinung einwirken, wenn nötig mit Tricks oder Pathos: All das behagte dem zurückhaltenden Freisinnigen nicht”, schreibt Der Bund und bilanziert: “Es schien, als habe sich Didier Burkhalter als Bundesrat gar nie richtig wohlgefühlt. Weil zu vieles zum Amt gehörte, das seinem technokratisch-rationalen Wesen widerstrebte und ihm deshalb zuwider war.”

Südostschweiz: “Rücktritt als Konsequenz”

“Das Rahmenabkommen mit der EU ist sein grösstes und wohl wichtigstes Projekt, um die Streitigkeiten mit der EU ein für alle Mal zu beseitigen. Seit vier Jahren versprüht er Optimismus, das Abkommen sei auf gutem Weg, ja stehe gar vor einem Abschluss. Nur: Mit seiner Freude darüber stand er – und steht er bis heute – ziemlich alleine da.” Jetzt gehe er unverrichteter Dinge, schreibt die Südostschweizer Tageszeitung. “Ohne die politische Auseinandersetzung gesucht, ohne für seine Herzensangelegenheit gekämpft zu haben… er hat es schlichtweg verpasst, die Notwendigkeit des Abkommens einer breiten Öffentlichkeit zu erklären.”

Fazit der Südostschweizer Zeitung: “Insofern zeugt es von einer gewissen Grösse, dies nicht nur zu erkennen, sondern auch die Konsequenzen daraus zu ziehen.”

Berner Zeitung: “Ankündigungsminister kündigt Rücktritt an”

Für die grösste Berner Tageszeitung (BZ) dominieren die negativen Erinnerungen: “Zwar hatte er gekonnte Auftritte auf internationalem Parkett, insbesondere 2014 als Präsident der OSZE”, aber “Burkhalter hinterlässt keine grossen Spuren. Dicke Stricke hat er nicht zerrissen.”

Es sei zwar nicht seine Schuld, dass es in der Europa-Politik keinen Durchbruch zu verzeichnen gebe, schreibt die BZ, dazu hätte es eines wahren Superhelden bedurft. “Aber aus den letzten Jahren bleibt vor allem Burkhalters ewig folgenlose Ankündigungspolitik in Erinnerung”, die grossen Probleme seien jedoch ungelöst.

24 heures: “Ein Moment der Collness, ein Augenblick der Einsamkeit”

“Das Foto ging um die Welt. Der Schweizer Bundespräsident schaut auf sein Mobiltelefon, wartet allein auf dem Perron auf den Zug. Gebräuntes Gesicht unter ergrautem Haar, natürliche Eleganz, ein Moment der ‘obamesken Coolness’ für Didier Burkhalter”, schreibt die Westschweizer Tageszeitung. Der treue Diener der politischen Institutionen der Schweiz habe plötzlich weltweite Aufmerksamkeit erreicht. Die OSZE-Präsidentschaft, die Burkhalter mitten im russisch-ukrainischen Konflikt übernommen habe, sei dessen glorreichste Stunde gewesen, erinnert 24 heures.  

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