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Rahmenbedingungen für Forschung am Menschen

Der neue Verfassungsartikle ist der erste Schritt zu einem landesweiten Regelwerk über die Forschung am Menschen. Photopress/FNS

Der Würde des Menschen Rechnung tragen und gleichzeitig die medizinische Forschung nicht zu stark einengen: Das will der neue Verfassungsartikel über die Forschung am Menschen, über den die Schweiz am 7. März abstimmt.

Der Artikel schafft die Grundlage für eine schweizweit einheitliche gesetzliche Regelung für die Forschung am Menschen.

Die grosse Mehrheit des Parlaments und der Bundesrat sind sich einig, dass die heutige Regelung lückenhaft und uneinheitlich sei und dass der neue Artikel der Würde der Menschen genügend Rechnung trage und gleichzeitig die Forschung nicht zu stark einschränke.

Der Verfassungsartikel hält vier Grundsätze fest, an die sich das Ausführungsgetz halten muss.

So darf eine Person nur dann in ein Forschungsprojekt einbezogen werden, wenn sie dazu ihre Einwilligung erteilt.

Bei Personen, die wegen ihres Gesundheitszustandes oder wegen ihres Alters nicht in der Lage sind, einen solchen Entscheid zu treffen, liegt der Entscheid beim gesetzlichen Vertreter, also im Fall eines kleinen Kindes bei den Eltern.

Geistig schwer behinderte oder demenzkranke Personen dürfen nur dann in ein Projekt einbezogen werden, wenn die angestrebten Erkenntnisse nicht mit einwilligungsfähigen Personen gewonnen werden können.

Jedes Forschungsprojekt muss von einer unabhängigen Instanz – in der Regel von einer Ethikkommission – überprüft werden.

Die sensiblen Bereiche

Die Forschung am Menschen sei ein sehr breit abgestecktes Feld, hält die Christlich demokratische Nationalrätin Kathy Riklin fest. “Sie weckt Ängste. Es braucht einen Verfassungsartikel, der die Möglichkeiten und Grenzen der Forschung absteckt.“

Die Würde des MenschenGrenzen setze der Forschung Grenzen, so Riklin.sie dürfe nicht angetastet werden. “Fragen, wie, sich die Forschung gegenüber Menschen verhält, die ihren Willen nicht kundtun können oder der Umgang der Forschung mit Behinderten, das sind die sensiblen Bereiche, wo wir klare Grenzen setzen möchten. Auf der andern Seite muss eine breite Forschung möglich sein, weil der Mensch diese Forschung auch verlangt und vom medizinischen Fortschritt profitieren will.“

Artikel geht der SVP zu weit

In der Schlussabstimmung im Parlament lehnte lediglich die Schweizerische Volkspartei (SVP) den neuen Forschungsartikel ab. Die SVP stellte sich auf den Standpunkt, die im Artikel enthaltenen Grundsätze gehörten nicht in die Verfassung, sondern in ein Ausführungsgesetz.

SVP-Nationalrat Lieni Füglistaller nennt im Gespräch mit swissinfo.ch einen weiteren Grund für das Nein seiner Partei: “Es gibt in der Schweiz in diesem Bereich keinen Missstand. Ich habe noch nie von einem Fehltritt gehört. Niemand hat jemals ein Gesetz verletzt. Darum braucht es gar keine Verfassungsgrundlage. Und wenn schon, dann würde ein Artikel genügen ohne die Grundsätze, denn das sind Wiederholungen, die bereits anderswo bereits geregelt sind.“

Debatte ist nicht zu Ende

Grundsätzlich herrscht jedoch ein breiter politischer Konsens darüber, dass die Forschung am Menschen gesetzliche Rahmenbedingungen braucht. Die Debatte zur Abstimmung vom 7. März dreht sich vor allem um die Frage, ob der Verfassungsartikel bereits zu stark in die Details gehe oder nicht.

Im Parlament wird die Forschung auch nach dem 7. März noch einmal zu reden geben, nämlich dann, wenn es um das den Artikel konkretisierende Ausführungsgetz geht.

Beim Verfassungsartikel über die Forschung am Menschen handelt es sich um eine Verfassungsänderung, Eine Annahme der Vorlage durch das Volk setzt deshalb am 7. März ein doppeltes Ja, also die Mehrheit von Volk und Ständen voraus.

Andreas Keiser, swissinfo.ch

Zur Zeit ist die Forschung am Menschen auf Bundesebene in der Schweiz nur für einige spezifische Sektoren geregelt (Reproduktionsmedizin, Genetik, Organspende).

Der Verfassungsentwurf überträgt dem Bund eine umfassende Zuständigkeit zur Regelung der Forschung am Menschen und schreibt die vier wichtigsten Grundsätze fest:

1. Jedes Forschungsvorhaben setzt voraus, dass betroffene Personen nach hinreichender Aufklärung eingewilligt haben. Eine Ablehnung der Betroffenen ist in jedem Fall verbindlich. Damit darf niemand gegen seinen Willen in ein Forschungsvorhaben einbezogen werden.

2. Die Risiken und Belastungen für teilnehmende Personen dürfen nicht in einem Missverhältnis zum Nutzen des Forschungsvorhabens stehen.

3. Urteilsunfähige Personen dürfen grundsätzlich in Forschungsvorhaben miteinbezogen werden. Sie müssen aber im Vergleich zu urteilsfähigen Personen besonders geschützt werden und die “Risiken auf ein Minimum reduziert werden”.

4. Eine unabhängige Überprüfung der Forschungsprojekte muss ergeben haben, “dass der Schutz der teilnehmenden Personen gewährleistet ist”.

Am 7. März stimmen die Schweizer Stimmberechtigten über drei Vorlagen ab: Über die Herabsetzung des Umwandlungssatzes bei der beruflichen Vorsorge, über die Tierschutzanwalt-Initiative und über den Verfassungsartikel über die Forschung am Menschen.

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