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Rechtsrutsch als Quittung für populistische Anbiederung

Die Schweizer Presse zum grössten Rechtsrutsch in Österreich seit 1945. swissinfo.ch

Verlierer der Wahlen in Österreich sind die beiden grossen Regierungsparteien. Die extreme Rechte legte massiv zu. Die Schweizer Presse ortet die Gründe für den Rechtsrutsch in der Zerstrittenheit von ÖVP und SPÖ und im populistischen Wahlkampf.

“Diese Wahl war eine Protestwahl gegen ÖVP und SPÖ, die in der grossen Koalition ein unwürdiges Schauspiel voller Streit und Blockaden gaben,” kommentiert der Tages Anzeiger.

Profitiert hätten jedoch nicht die eine seriöse Opposition betreibenden Grünen, sondern “zwei Parteien, die keine Lösungen, aber viele Sündenböcke anbieten: die Europäische Union, den Islam, Ausländer, Asylbewerber”.

Die Basler Zeitung erinnert an die Zerstrittenheit der beiden staatstragenden Parteien ÖVP (Christdemokraten) und SPÖ (Sozialdemokraten), die zu den vorgezogenen Neuwahlen geführt hat. Im Wahlkampf hätten sich alle Parteien, ausser den Grünen, an populistischen Ideen überboten.

“Die ÖVP versuchte mit so krausen Ideen wie einer Österreicherquote für Ausländerbezirke die Rechte rechts zu überholen. Die SPÖ wollte die verunsicherten Bürger glauben machen, mit einer Halbierung der Mehrwertsteuer sei die globale Inflation zu lindern.”

Das Wahlergebnis lehre, folgert die Basler Zeitung, “dass es kontraproduktiv sein kann, rechtspopulistische Parteien mit den eigenen Waffen zu schlagen”. Der Wähler wähle “im Zweifelsfall lieber das Original, als die berühmten Imitatoren.

“Allotria Politik”

Die Neue Zürcher Zeitung erinnert an die “immer groteskeren Wahlversprechen” der beiden grossen Parteien und die “Fassungslosigkeit”, welche ihre “Allotria Politik” ausgelöst habe.

“Selbst die dümmsten Wählenden sind nicht so dumm, dass sie nicht genau wüssten, wie sie sich angesichts solcher grenzenloser Anbiederung zu verhalten haben: Sie geben die Stimme jenen, die den Populismus als Programm pflegen.”

Es sei lediglich ein Teil der Wahrheit, dass die Zerstrittenheit von ÖVP und SPÖ zum massiven Rechtsrutsch geführt habe, schreibt die Mittelland Zeitung. Die Schlussfolgerung sei bitter: “Nicht die Schwäche der Demokraten ist das Problem, sondern die Stärke der Rechten.”

Katholische “Insel der Seligen”

Deren Wähler wollten “Österreichs Reichtum gerechter verteilen – und niemanden von aussen daran teilhaben lassen.” Mann wolle wieder die “Insel der Seligen” sein, die “Papst Paul VI. einmal in Österreich glaubte gefunden zu haben: Ein harmonischer Nationalstaat mit viel ‘Wärme’ und gern auch mit ‘Fremden’, sofern diese nach drei Wochen wieder abreisen”.

Die Demokratie in Österreich befinde sich in einem “erbärmlichen Zustand”, kommentiert der Bund. Das habe der “populistische Wahlkampf der Regierungsparteien” klar gemacht. Der “bislang grösste Rechtsrutsch der Nachkriegszeit trägt gewiss nicht zur Stärkung der parlamentarischen Demokratie bei”.

Haider zurück auf der nationalen Bühne

In ihrer Struktur seien FPÖ und BZÖ “Führerparteien” und predigten “ein autoritäres Weltbild”. Die beiden staatstragenden Parteien müssten sich nun den neuen Verhältnissen anpassen, sonst sei es “nur noch eine Frage der Zeit, bis Jörg Haider Kanzler ist. Diese Wahl brachte ihn seinem Ziel ein schönes Stück näher”.

Mit der unmittelbaren Zukunft beschäftigt sich die Neue Zürcher Zeitung; “Man kann erahnen, wie schwierig es sein wird, aus diesem Schlamassel wieder eine handlungsfähige Regierung zu bilden”, kommentiert die NZZ.

“Es sei denn, am Schluss käme wieder eine typisch österreichische grosse Koalition heraus. Eine solche würde dann zwar von einem neuen Kanzler geführt, dem taufrischen SPÖ-Chef Faymann. Da dieser sich aber bereits als wendiger Meister der pragmatischen Prinzipienlosigkeit profiliert hat, ist eigentlich nicht viel Gutes zu erwarten. Glückliches Österreich, kannst weiterwursteln.”

swissinfo, Andreas Keiser

Mit zusammen knapp 30% der Stimmen sind die rechten Parteien FPÖ und BZÖ in Österreich der eigentliche Wahlgewinner.

Sie holten zusammengerechnet ihr bestes Ergebnis im Alpenland nach dem Zweiten Weltkrieg.

Laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis kam die sozialdemokratische SPÖ auf 29,7% der Stimmen, die konservative Volkspartei ÖVP lag bei 25,6%.

Die rechtspopulistischen Parteien FPÖ und BZÖ erreichten einen Stimmenanteil von 18 beziehungsweise 11%. Die beiden Parteien sind unter sich zerstritten.

Als fünfte Partei übersprangen die Grünen mit 9,8% die Vier-Prozent-Hürde für den Einzug in den Wiener Nationalrat.

Das amtliche Endergebnis wird erst am 6. Oktober nach Auszählung der Briefwahlstimmen feststehen.

Als wahrscheinlich gilt eine Neuauflage der grossen Koalition unter SPÖ-Spitzenkandidat Werner Faymann.

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